Freitag, 19. April 2024

Archiv

Theaterstück "Phantom" von Dieudonné Niangouna
Phantomschmerz am Berliner Ensemble

Der kongolesische Dramatiker Dieudonné Niangouna hat ein Stück für das Berliner Ensemble geschrieben. "Phantom" präsentiert einen ungewohnten Blick auf die deutsche Kolonialvergangenheit. Doch seinem Ruf als anarchischer, bildstarker Theatermacher wird Niangouna mit dieser Auftragsarbeit nicht gerecht.

Von Barbara Behrendt | 14.04.2018
    Die Schauspieler Bettina Hoppe und Oliver Kraushaar bei der Inszenierung von "Phantom"
    Bettina Hoppe und Oliver Kraushaar in der Inszenierung von "Phantom" (Matthias Horn)
    Das Phantom, das plötzlich vor dem Haus mitten im Schwarzwald steht und Schutz vor dem strömenden Regen sucht, trägt einen abgerissenen Mantel, wirres Haar, Dreitagebart. Er ist Deutscher, sagt er, kommt aus Afrika. Und er ist gekommen, um die Geschwister, die hier leben und die er angeblich noch von einer Kakaoplantage aus Kamerun kennt, ihrer verdrängten Vergangenheit auszusetzen. "Ihr müsst in das Zimmer eures Vaters zurückkehren", sagt das Phantom. "So oft der Adler wegfliegt, er kehrt doch immer wieder zurück in sein Nest. Es gibt nur eine einzige wirkliche Rückkehr für den Menschen: Das Bad in den Eingeweiden des Vaters." Es wird viel und in großen Metaphern gesprochen an diesem Abend. Das Ritual der Rückkehr soll vollzogen werden, in die Tiefen des Unbewussten und der Vergangenheit müssen die Geschwister eintauchen, nach allen Regeln der Psychoanalyse.
    Der Schwarzwald als Sinnbild der deutschen Seele
    Große, überdeutliche Sprachbilder zitiert Dieudonné Niangouna: der dunkle Wald als Sinnbild der deutschen Seele, das Hinabsteigen in den Keller als Erforschung des Unbewussten, der Verkauf des Hauses als Bruch mit der Vergangenheit. Der Plot aber ist verworren. Nicht realitätsscharf und stringent erzählt der kongolesische Autor, im Dunkeln bleibt stets, wer träumt, wer lügt, wer sich richtig oder womöglich falsch erinnert. Mühsam sucht man sich die Einzelteile der Geschichte zusammen: Thomas, der Fremde, enthüllt, dass Martha, die Älteste, nicht die Schwester der beiden Jüngeren ist, sondern als Sklavin unter deren Vater in Kamerun gearbeitet hat. Ein Verbrechen, das Thomas aus Liebe zu ihr beging, half ihr, mit den beiden Kindern in den Schwarzwald zu fliehen, ins Haus ihres ehemaligen Herrn.
    Ein Theaterabend, der ratlos macht
    Der ganz andere, für uns ungewohnte Blick Niangounas auf die deutsche Kolonialgeschichte in Afrika, macht seine Arbeit bemerkenswert – und doch steht man ratlos vor diesem Abend, dessen deutsche Schauspieler nicht recht zu Niangounas Sprache passen wollen. Die Figuren agieren als bloße Motivträger, hoch artifiziell, unendlich weit weg vom Zuschauer. Bettina Hoppe bleibt seltsam konturlos als Maria, die brave Gläubige, die wenig zu sagen hat. Ihre Schwester Martha ist bei Josefin Platt wie im biblischen Gleichnis die handfeste, hier sogar herrische Frau. Und Oliver Kraushaar gibt als Bruder Hermann den abgebrühten Kapitalisten, der von der Rampe aus proklamiert. Erklärtheater à la Brecht, psychologische Einfühlung ist unmöglich. Wolfgang Michael steigt als wunderbar verschrobenes Phantom aus den Erinnerungsschächten auf – aber auch er alles andere als eine Identifikationsfigur.
    Mythisch-biblische Rätsel
    Von weißen Nashörnern wird fabuliert, das Phantom soll seine Blase auf dem Grund des deutschen Hauses entleeren, um den Ort zu reinigen. Dazu bedeutungsschwangere Wald-im-Nebel-Bilder auf Leinwand und dumpfes Donnergrollen – oft bleibt unklar, ob man es mit großem Pathos oder befremdlichen Humor zu tun hat. Wenn Patrick Güldenberg als Hermanns Sohn zur Familienbeschimpfung ansetzt, darf man sich zumindest gemeint fühlen: "Ihr stinkt vor Anmaßung. Unter dem Vorwand, den Menschen die Segnungen der Bildung zu bringen, zwangt ihr ihnen eure ausbeuterischen Strukturen auf. Auch ihr wart und seid die Wunde der zeitgenössischen Zivilisation. Was ihr verdient, ist der Tod auf dem Scheiterhaufen und zwar ohne Gerichtsurteil. Ihr seid die fleischgewordene Mittelmäßigkeit." Niangouna schwelgt in mythisch-biblischen Rätseln, in einer sich geheimnisvoll verhüllenden Sprache. Doch seinem Ruf als anarchischer, bildstarker Theatermacher wird er bei dieser Auftragsarbeit fürs deutsche Stadttheater nicht gerecht. Ein sperriger, unzugänglicher Abend, emotional bleibt man außen vor.