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Theaterszene New York
Shakespeare auf Amerikanisch

"Troilus und Cressida" von William Shakespeare erzählt vom Trojanischen Krieg. Die New Yorker Wooster Group - eine Avantgarde-Truppe seit 40 Jahren - hat die Tragödie neu interpretiert und bemüht dabei amerikanische Ureinwohner und britische Rowdies. Doch das Ergebnis wirkt wenig überzeugend.

Von Andreas Robertz | 04.02.2014
    Die Performing Garage ist seit vielen Jahren die Heimat der Wooster Group. Büro, Bühne und Lager sind hier mehr oder weniger in einem Raum untergebracht.
    Die Schauspieler schminken sich während des Einlasses unter den Zuschaueremporen, sprechen noch schnell mit Regisseurin Elizabeth LeCompte Dinge ab und ein letzter Tontest wird gemacht. Dies alles erzeugt eine Atmosphäre von Konzentration, Beiläufigkeit und Ritual, die den Geist dieser, man möchte fast sagen, Mutter des amerikanischen experimentellen Theaters ausmacht.
    Dass sie sich für "Troilus und Cressida" entschieden haben, ist nicht verwunderlich, denn das Fragmentarische des Stückes mit seinen verschiedenen, am Ende nicht zusammenkommenden Handlungssträngen, wirkt selber wie ein Experiment Shakespeares. Es spielt im siebten Jahr des Trojanischen Krieges und erzählt unter anderem von zwei müden Kriegsheeren, einer Liebesgeschichte, die Opfer politischer Machtpolitik wird und dem heimtückischen Tod des Helden Hectors.
    Die neue Version der Wooster Group mit dem Titel "Cry, Trojans!" spricht ganz die Sprache eines Wooster'schen Experiments.
    Ursprünglich aus einer Kooperation mit der Royal Shakespeare Company geboren, ist der Abend nicht nur eines der üblichen Klassiker-Dekonstruktionen mit Hilfe von Mikrofonen, Videobildschirmen und entfremdeten Requisiten, sondern gleichzeitig auch die Rekonstruktion einer Aufführung, nur ohne den zweiten Spielpartner: "Troilus und Cressida" ohne die Griechen.
    Und als wäre das Stück selbst nicht schon verwirrend genug, spielen die durchweg weißen Schauspieler die Trojaner als nordamerikanische Indianer, die angesichts ihres drohenden Unterganges versuchen, die eigene Würde zu bewahren.
    Die eindrucksvollen Kostüme, die der niederländische Künstler Folkert de Jong angefertigt hat, sind von der Kleidung amerikanischer Ureinwohner inspiriert und durch moderne Materialien ergänzt, sei es der Lendenschurz, der Kopfschmuck, die Friedenspfeife oder umgehängte Felle. Letztere bestehen aus Latexabzügen griechischer Götterstatuen, die die Trojaner wie abgezogene Häute um ihre Schultern tragen und als Rüstungen benutzen. Ihre Waffen bestehen aus Hockeyschlägern und aufgeschnittenen Autoreifen und erinnern an schamanistische Objekte. Auf der Bühne steht nur ein Tipi mit einem Plastiklagerfeuer. In den Ecken und auf der Spielfläche sind Bildschirme angebracht, die lange Passagen aus Zacharias Kunuks Inuit-Film "Atanarjuat: The Fast Runner” oder Elia Kazans "Splendor in the Grass” mit Natalie Wood und Warren Beatty zeigen.
    Eine wirklich seltsame Inszenierung
    Die Schauspieler koordinieren ihre Bewegungen und Gesten mit den Film-Szenen. Das führt dann schonmal dazu, dass Cressida während ihrer Liebesszene mit Troilus einen Bildschirm zurechtrücken muss, um Natalie Wood in ihrem Liebesschmerz kopieren zu können oder Paris und Hector einen freundschaftlichen Zweikampf nach der Inuit-Vorlage führen, während sie müde vom Krieg eine neue Strategie debattieren.
    Das passt manchmal gut, und manchmal eben auch nicht. Der Sprachduktus der Männer ist oft monoton und wird durch plötzlichen Indianergesang unterbrochen, als bräche das Animalische bei Shakespeare durch. Ziehen sie in den Kampf, tanzen sie vorher einen ziemlich lächerlich wirkenden Wiegetanz.
    Falls man die Griechen doch braucht, um zum Beispiel die Szene zwischen Cressida und Diomedes, den Klagegesang des Achilles oder dessen Kampf mit Hector zu zeigen, werden schnell schwarze Pappmasken aufgesetzt, der Tipi unter einer Plastikplane versteckt und ein roher britischer Akzent aufgesetzt. Die edlen Trojaner werden zu betrunkenen Rowdies eines britischen Fußballklubs.
    Man kann viele gute Motive in dieser wirklich seltsamen Inszenierung entdecken, sei es die oft lächerlich wirkende Suche nach geschichtlicher Authentizität, der Studie männlichen Imponiergehabes, oder der Versuch, zwei historische Völkermorde miteinander zu verbinden. Doch der Abend löst sich in den vielen Motiven der Entfremdung und einem letztendlich unsäglichen Klischee von den Indianern völlig auf.
    Die Sprache wirkt unnötig künstlich, die Tragödie bleibt bedeutungslos. Vielleicht versucht die Wooster Group sich hier neu zu erfinden, doch sie lässt ein ratloses und ziemlich verwirrtes Publikum zurück. Man kann nur hoffen, dass nie ein wirklicher Nachkomme der Ureinwohner Amerikas anwesend ist. Er würde sich wahrscheinlich in seiner Tradition deutlich missverstanden fühlen.