Donnerstag, 25. April 2024

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Themen der kommenden Bundestagswahl

30.11.2001
    Meurer: Haushalt, Konjunktur und Arbeitsmarkt - normalerweise würden diese Themen ja die kommende Bundestagswahl entscheiden. Aber, im Augenblick überlagert die internationale Lage rund um Afghanistan alles andere. Wird es so bleiben? Am Telefon begrüße ich den Berliner Zeithistoriker Arnulf Baring. Guten Tag Herr Baring.

    Baring: Tag Herr Meurer.

    Meurer: Glauben Sie, dass die Außenpolitik und der Anti-Terror-Kampf auf Dauer absolut im Vordergrund stehen bleiben?

    Baring: Das hängt natürlich davon ab, wie das weitergeht. Wenn die Ausweitung über Afghanistan hinaus droht - und da gibt es ja alle möglichen Szenarien, die auch von ernsthaften Leuten erwogen werden -, dann wird die Koalition ja möglicherweise eben nicht halten, denn das eigentlich bemerkenswerte an der Vertrauensabstimmung wie auch an den Parteitagen, ist ja gewesen, dass sich die gegenwärtige Koalition gegenseitig versichert hat, dass das, was sie da machen letzen Endes humanitär bestimmt ist. Wir wollen Afghanistan zu einem menschenwürdigen Regime verhelfen, usw.. Wenn das eben eine andere Richtung einschlägt - das Geschehen meine ich -, dann wird meiner Ansicht nach die Koalition nicht halten. Insofern ist die Frage, die Sie aufwerfen: Wann wird es zur Wahl kommen. Ob die Regierung gegenwärtig sicher sein kann, bis zum nächsten Herbst durchzuhalten ist meine Ansicht nach ganz offen. Das hängt auch nicht von deutschen Entscheidungen ab. Insofern können wir alle da nur im Nebel herumfuchteln.

    Meurer: Wenn diese Szenario aber so kommt wie Sie sagen, dann wird sowieso die Außenpolitik im Mittelpunkt der Wahlen stehen.

    Baring: Und das wäre komischerweise trotz der verheerenden Bilanz der Regierung - wie ich finde. Es zeigt sich doch in der Ära Kohl wie in der Ära Schröder, wenn wir sie so nennen wollen, eine völlige Unbeweglichkeit des Landes. Dass wir das Schlusslicht des Wachstums in Europa inzwischen sind, ist doch verheerend - für uns wie für unsere Nachbarn und Partner. Also, insofern kann man die Frage gar nicht ernsthaft genug stellen - man muss sie immer wieder stellen und muss sie erst recht in Zukunft stellen: Ruiniert das Parteiensystem, das wir haben, in welcher Kombination auch immer, die deutsche Politik, die deutsche Wirtschaft und damit das ganze Land?

    Meurer: Aus welchem Grund diese herbe Kritik am Parteiensystem?

    Baring: Ich glaube, dass man sich ernsthaft fragen muss, welche Kombination von Parteien uns denn gewissermaßen jene Erleuchtung und entsprechende Handlungsbereitschaft verschaffen könnte, die wir dringend brauchen. Und da bin ich relativ pessimistisch. Auch die Personalauswahl, die die Parteien anbieten, ist ja weit davon entfernt, das Land - und nicht nur uns beide, sondern eben auch die Bevölkerung in der Breite - mit Vertrauen zu erfüllen.

    Meurer: Die SPD hat zumindest im Moment einen Kandidaten, einen Kanzler, der hoch im Kurs in den Umfragen steht.

    Baring: Ja, und mit Recht. Wenn man sich den Weg ansieht, den seit 1998 Gerhard Schröder durchmessen hat, kann man nur den Hut vor der wachsenden Verantwortung und Realitätsbereitschaft, die er zeigt, ziehen. Was übrigens Kohl immer vorausgesagt hat: Jeder, der in das Amt kommt, egal wie seine Prämissen sein mögen, das Amt und die Verantwortung für das Land prägt die Leute. Man sieht ihnen das ja an den Gesichtern an, wie sehr das prägt.

    Meurer: Wie viel Kompetenz weisen den die Wähler der Union im Augenblick in der Wirtschaftspolitik zu?

    Baring: Ach du liebe Güte, jetzt sind wir von einem Trauerthema zum nächsten gelangt. Ich selber habe den Eindruck, dass die Führungsunfähigkeit der Union - und zwar, wenn man sich die verschiedenen Kombinationen mal anguckt, dann sind die ja alle nicht vertrauenerweckend. Dieses Dilemma kann man an dieser Partei besonders deutlich ablesen. Ich würde heute keine Wette drauf eingehen, dass die Union diese Krisen überlebt. Man muss ja erstaunt sein, dass die Union in Umfragen so gut abschneidet, obwohl das Erscheinungsbild, das sie dem Kenner bietet doch alles andere als ermutigend ist.

    Meurer: Halten Sie es für möglich, dass sich die Union spaltet?

    Baring: Ach, das weiß man nicht.

    Meurer: Ja, weil sie gesagt haben, Sie wissen nicht, ob die Union überlebt.

    Baring: Wissen Sie, ich würde ja jede Veränderung, die sozusagen eine Handlungsbereitschaft erkennen lässt, dass sich eine Gruppe von Politikern zeigt, die entschlossen sind, notfalls auch mit solchen Mitteln Handlungsbereitschaft zu demonstrieren und dem Lande und sich selber plausibel zu machen, dass das machbar ist. Davon gehe ich fest aus, dass unsere Probleme an sich lösbar sind. Aber man muss eine Konfrontation wagen, eine Konfrontation auch mit ganz wichtigen Interessenverbänden, und dazu ist ja keine Partei bereit. Das Programm der Union, das Programm der SPD sind ja relativ nah beieinander.

    Meurer: Würden Sie der Union empfehlen, Wahlkampf mit der Einwanderung zu machen?

    Baring: Ich würde sagen, das Einwanderungsthema ist ja deshalb so verfahren, weil wir es jahrzehntelang - jahrzehntelang muss man betonen - haben liegen lassen. Und die Lösungen, die jetzt angeboten werden, sind ja so überraschend wie das, was vor einem Jahr in umgekehrter Richtung gesagt wurde. Ich kann mich sehr gut daran erinnern, dass es im letzten Jahr auch von Fachleuten hieß, wir brauchten dringend eine Einwanderung bei unserem Geburtenschwund, der jetzt ja sehr hoch ist, von etwa einer halben Millionen. Schwarz Schilling ging sogar soweit, zu sagen, 800 000, und jetzt redet man über ein paar Zehntausend. Mit anderen Worten, wir haben doch gar keine vernünftige Diskussion im Lande, die das Problem überhaupt erst mal ausbreitet und dem Lande klar macht, was die Alternativen sind. Wir sind doch immer nur bereit, an Symptomen herumzukurieren, wie in der Steuerreform, in der Rentenreform, in der Gesundheitsreform. Wir kurieren doch nur die Oberfläche. Im Kern ist das Land sozusagen ein Floss, das dahintreibt, aber führerlos.

    Meurer: Gibt es für die Union vielleicht die Hoffnung, sozusagen in der Parallele 1994. Ein Jahr vor der Bundestagswahl hat auch jeder gedacht, Helmut Kohl wird die Wahl nicht wieder gewinnen können und dann kam es völlig anders. Könnte es diesmal unter umgekehrten Vorzeichen zugunsten der Union sich wiederholen?

    Baring: Na ja, wenn die wirtschaftliche Lage durch die Kombination von den selbstgemachten Problemen und der Rezession, die ja deftig ausfallen kann, in der Tat im nächsten Herbst zu einem Wahlkampf führt, also wenn die Außenpolitik sich vorschiebt - denn bei der Außenpolitik hat ja die Union das traurige Schicksal, das sie gar nicht anderer Meinung als der Kanzler sein kann und insofern ein Wahlkampf von vornherein viel bessere Karten über außenpolitische Themen für die gegenwärtige Regierung böte, also jeweils für den Kanzler böte. Die Grünen wären ja wahrscheinlich von Bord. Also, insofern hängt es glaube ich sehr davon ab, wann die Wahl kommt und was sozusagen dann außenpolitisch, und auf der anderen Seite wirtschafts- und sozialpolitisch cder Bevölkerung vor Augen steht.

    Meurer: Der Berliner Zeithistoriker Arnulf Baring im Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen und auf Wiederhören Herr Baring.

    Baring: Ich danke Ihnen auch, Herr Meurer.