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Theologe Michael Seewald
Die "intellektuelle Strahlkraft" des Johann Baptist Metz

Michael Seewald lehrt - wie der gerade verstorbene Johann Baptist Metz - in Münster. Ist für den 32-Jährigen die Politische Theologie des Gelehrten von gestern? Nein, sagt Seewald im DLF. Theologie sollte sensibel sein für das konkrete Leid und Verantwortliche benennen.

Michael Seewald im Gespräch mit Christiane Florin | 04.12.2019
Michael Seewald ist Professor für katholische Theologie an der Universität Münster.
Michael Seewald ist Professor für katholische Theologie an der Universität Münster. Sein Fachgebiet ist Dogmatik. (privat)
Christiane Florin: Um den gerade verstorbenen Johann Baptist Metz wird auch digital getrauert. Viele Theologinnen und Theologen haben in den sozialen Netzwerken einen Satz gepostet, der ihnen wichtig ist. Zum Beispiel: "Gott ist kein Privateigentum der Kirche" oder "Jesu erster Blick galt nicht der Sünde, sondern dem Leid". Herr Seewald, haben Sie auch so einen Metz-Satz?
Michael Seewald: Ich habe auch einen Satz, der mich geprägt hat. Ich seinem Buch "Memoria Passionis", also ein Spätwerk, das 2006 erschienen ist, schreibt Johann Bapist Metz: "Das Christenum hat nicht eigentlich einen zeitlosen Kern, sondern einen Zeitkern." Also es geht nicht darum, ewige Wahrheiten zu verbreiten, sondern für Metz war das Christentum die Botschaft von der, wie er es nannte, "befristeten Zeit" ist.
Religion als Vermissungswissen
Florin: Was sagt das über einen Theologen aus, wenn Gedanken so wichtig geworden sind, dass man sie auswendig lernt, ein Leben lang mitnimmt, selbst darüber nachdenkt?
Seewald: Johann Baptist Metz hat es geschafft, viele Begriffe zu prägen. Er hatte eine Innovationskraft, die sich nicht nur im Kreise seiner unmittelbaren Schüler zeigt. Die Theologie ist in vielen Bereichen von Metz infiltriert und geprägt, selbst dort, wo gar nicht Johann Baptist Metz draufsteht. Das zeigt sich zum Beispiel auch bei dem Einfluss, den Johann Baptist Metz auf Philosophen wie Jürgen Habermas hatte. Habermas' bekannter Begriff "Religion als Bewusstsein von dem, was fehlt" geht nach Habermas' eigener Auskunft auf Johann Baptist Metz zurück, der von "Vermissungswissen" spricht.
Der Theologe Johann Baptist Metz steht am Freitag (18.07.2008) an einem Pult in seinem Haus in Münster. 30 Jahre lang lehrte Metz als Professor für Fundamentaltheologie an der Universität in Münster, wo er bis heute wohnt. Metz gilt als Begründer der von ihm selbst so benannten "neuen Politischen Theologie". 
Johann Baptist Metz (dpa / picture-alliance / Friso Gentsch)
Also Religion ist für Metz nicht in erster Linie eine affirmative Angelegenheit, die uns belehrt über Dinge, die wir vorher nicht wussten. Religion hat ein Bewusstsein für das wachzuhalten, was vermisst wird. Das steht symptomatisch für die sprachliche Prägekraft von Johann Baptist Metz und auch für die intellektuelle Strahlkraft, die von diesem Theologen ausging.
Florin: Das Wort Politische Theologie haben wir gerade in dem Nachruf gehört. Was heißt das?
Seewald: Man muss unterscheiden. Metz hat nicht einfach von politischer Theologie gesprochen, sondern von Neuer Politischer Theologie. Es war ihm ein Anliegen, die Neue Politische Theologie von dem zu unterscheiden, was man üblicherweise mit dem Begriff Politischer Theologie in Verbindung brachte. Also zum Beispiel eine Form der Reflexion in der Tradition von Carl Schmitt. In dieser Tradition hat Metz sich nicht gesehen. Sein Ansatz war zu sagen: Das Evangelium ist durchaus politisch und zwar in dem Sinne, dass - wie sie es eingangs zitiert haben - der erste Blick Jesu in der Deutung von Metz nicht der Sünde - also einer theologischen Kategorie - , sondern dem Leiden der Menschen galt. Dort, wo von Leid die Rede ist, stellt sich auch die Frage nach denjenigen, die Verantwortung für dieses Leid tragen. Genau diese Thematik - das Leid des Menschen und die Verantwortung für dieses Leid von Individuen und Strukturen - ist das, was er unter dem Begriff Neue Politische Theologie zu fassen versucht.
"Theologie darf nicht affirmativ sein"
Florin: Er hat vor einer verbürgerlichten Religion gewarnt. Bürgerlich klingt bei ihm wie ein Schimpfwort. Warum ist es so schlimm, bürgerlich zu sein?
Seewald: Wenn Metz von Verbürgerlichung spricht, dann meint er eine Religion, die seiner Ansicht nach zu glatt ist. Also eine Religion, die das, was Menschen erleiden müssen, ausblendet. Der Gegenbegriff zum Bürgerlichen ist das, was er eine leidsensible oder eine theodizee-sensible Form der Theologie nennt. Das heißt, eine Religion, die das Leid von Menschen in den Blick nimmt, aber gleichzeitig dieses Leid nicht wieder religiös zu verarbeiten sucht, indem sie versucht zu erklären, wie denn nun das Leid der Welt mit dem gütigen und allmächtigen Gott in Verbindung gebracht werden kann. Eine Theologie, die diese Stelle offenhält, die ein Bewusstsein in der Gesellschaft schärft für das, was fehlt, war in seiner Sprache vor allem etwas, das sich jenseits bürgerlicher Harmonie abspielt.
Florin: Also dass das Leid nicht immer einen Sinn hat, der religiös verkitscht werden kann, sondern dass es auch ein Auftrag für die Theologie ist, die Ursachen des Leids anzugehen, das Leid zu mindern.
Seewald: Ja. Metz hat der Theologie vor allem eine Aufgabe ins Stammbuch geschrieben: nicht überaffirmativ zu werden, nicht mehr zu sagen, als man wirklich weiß und als man guten Gewissens sagen kann. Was Sie als Verkitschung des Leids ansprechen, wäre genau ein solches Beispiel für diese überaffirmative Dimension, in der Leid nicht unbedingt verkitscht wird. Aber christologisch wird das konkrete Leid, das uns begegnet, durch die Rede vom leidenden Gott, der Metz sehr kritisch gegenüberstand, so verrechnet, dass es in einem theologischen System einen Ort hat und dadurch in dem, was es offenhält, in dem "Vermissungswissen" untergeht.
"Ich würde Metz nicht in die Kategorie der 68er einordnen"
Florin: Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem Priester, das ich für eine Sendung zum Katholikentag von 1968 geführt hatte, und er trug ganz feierlich Schriftstück ins Studio. Es war der von Metz inspirierte Text "Unsere Hoffnung" von der Würzburger Synode, also ein fast 50 Jahre alter Text. Sie sind mal gerade Anfang 30. Denken Sie: Diese 68er-Theologen träumen vom Aufbruch nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, das ist etwas Gestriges?
Seewald: Nein, so denke ich nicht. Ich würde Metz gar nicht unbedingt in die Kategorie 68er einordnen. Metz hatte die Begabung zu verschiedenen Generationen auf verschiedene Weise zu sprechen. Ich selber bin erst spät zu Metz' Schriften gekommen. 2006, also während meines eigenen Theologistudiums, ist dieses große Werk "Memoria Passionis" erschienen. Mich hat das sehr angesprochen und sehr berührt, einen solchen Ansatz von Theologie, der sprachlich vorsichtig ist und behutsam beobachtend ist, kennenzulernen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.