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Therapeutisches Genie und esoterischer Schwachsinn

Auch wenn die Boulevardblätter profan vom "Sex-Guru" sprechen, Wilhelm Reich wurde als Psychoanalytiker und Sexualforscher zur Leitfigur der sexuellen Revolution der 1970er. Antonin Svoboda widmet ihm nun eine Filmbiografie.

Von Hartwig Tegeler | 05.09.2013
    "Ein Sex-Guru, ..."

    Nein, Anerkennung fand Wilhelm Reich, Psychoanalytiker, Sexualforscher, ehemaliger Kommunist in seinem US-Exil in den 1950er Jahren keineswegs.

    "... ein Arzt, der behauptet, Wunder zu vollbringen."

    Mit seinen unorthodoxen Therapiemethoden, die gar von der heilenden Kraft des Orgasmus ausgingen ... Es war von Anfang an ziemlich klar, Wilhelm Reich passte nicht in diese prüde US-Kultur mitten in der McCarthy-Ära.

    #"Diesen Mann muss man als Gefahr für unsere Gesellschaft betrachten."#

    Nicht zuletzt aufgrund der Idee, mit Akkumulatoren die ursprüngliche Energie des Lebens - Orgon-Energie - einzufangen:

    "Es ist die Fantasie eines Scharlatans."

    Wilhelm Reich war ein höchst umstrittener Mann. Eine Hetzjagd begann, gegen die Reich - gespielt von Klaus Maria Brandauer - nur wirkungslose Argumente hatte:

    "Und wenn dies so weitergeht, geht künftig jede Suche nach Erkenntnis unweigerlich vor die Hunde."

    Am Ende konnte Reich nicht mehr weiterforschen. Weil er sich wiederholt gerichtlichen Anordnungen widersetzte, wurde er zu einer Haftstrafe verurteilt und starb 1957 unter immer noch nicht geklärten Umständen im Gefängnis.

    Antonin Svoboda konzentriert sich in seinem Film auf Reichs letzte Jahre in den USA dieser 1950er Jahre, in denen die Idee einer freien Sexualität, und das noch postuliert von einem ehemaligen Kommunisten, extreme Abwehr hervorrief. Reich wurde überwacht, musste schließlich seine Orgon-Akkumulatoren ebenso wie alle Bücher darüber verbrennen. Eine böse Ironie der Geschichte, wenn man bedenkt, dass die Nazis, vor denen der Jude Reich aus Deutschland in das "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" geflohen war, dies zwei Dekaden zuvor ebenfalls mit seinen Büchern getan hatten.

    Filmemacher Antonin Svoboda nimmt in seiner Geschichte über Wilhelm Reich klare Position für den unliebsamen Wissenschaftler, der weder Dogmen noch Denkverbote akzeptierte.

    "Physik, Chemie, Medizin darf man sich nicht separiert vorstellen. Alles auf dieser Welt wirkt zusammen."

    Wilhelm Reich wird als Psychiater und Therapeut mit einer großen Empathie für seine Patienten dargestellt undso zu etwas wie ein Gegenbild zum psychiatrischen Mainstream der Zeit. Denn als Kontrapunkt erzählt Antonin Svoboda von dem Psychiater Donald Cameron, der zur gleichen Zeit, in der Reich mit dem als unwissenschaftlich verhöhnten Orgonakkumulator experimentierte, für die CIA ein Forschungsprogramm zur Bewusstseinskontrolle entwickelte, das als Grundlage für Verhör- und Foltermethoden diente. Und dient.

    Dieser Film wirkt allerdings merkwürdig leblos, als könne er selber den Mantel von Prüderie und Spießigkeit nicht abwerfen. Erst eine Dekade später werden Wilhelms Reichs Schriften zum intellektuellen Leitbild der 68er-Generation. Doch in den 50ern, von denen der Film erzählt, herrscht ein übermächtiges Grau. Während allerdings Klaus Maria Brandauer seine Rolle mit erstaunlich wenig Manierismus überzeugend spielt, wirken die anderen Figuren grau. Ein weiteres Problem ist die Vielzahl der Lebens- und Ideenstränge, die "Der Fall Wilhelm Reich" auffächert: von den Theorien über den Körperpanzer, den Triebstau, die befreiende Kraft des Orgasmus bis zur Arbeit mit der Orgon-Energie.

    Zusammenfügen kann Antonin Svoboda also all diese Fäden und Aspekte seiner Geschichte nicht. Trotzdem ist "Der Fall Wilhelm Reich" ein anregender Film, weil er, nicht immer überzeugend, aber dann wieder eindrucksvoll ein Verständnis zu eröffnen sucht für die Ursprünge eines Denkens, das für uns heute fast selbstverständlich ist. Ein Beispiel nur: Jede zeitgenössische körperorientierte Psychotherapie, die psychische und emotionale Probleme im Körperpanzer des Patienten sucht, basiert auf dem ganzheitlichen Ansatz Wilhelm Reichs. Dieser Denker ist in seiner Komplexität keineswegs erledigt. Ob allerdings auch die von Reich entwickelte Orgon-Therapie den Stempel des wissenschaftlichen Wahnsinns bzw. esoterischen Schwachsinns je verlieren wird? Nein, das ist nicht sehr wahrscheinlich. Obwohl: Überraschungen hat es ja auch in der Wissenschaftsgeschichte durchaus schon gegeben.