Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Thierse für Wahl Biskys zum Bundestagsvizepräsidenten

Der stellvertretende Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) würde es begrüßen, wenn der PDS-Politiker Lothar Bisky ebenfalls in dieses Amt gewählt würde. Bisky sei ein angenehmer intelligenter und moderater Mann, der durchaus gut in das Präsidium des Bundestages passen würde. Thierse begrüßte, dass Bisky die Bereitschaft geäußert habe, die Abgeordneten der Linkspartei auf ihre Stasi-Vergangenheit zu überprüfen.

Moderation: Friedbert Meurer | 20.10.2005
    Friedbert Meurer: Der Kandidat für das Amt des Bundestagsvizepräsidenten wird in der Abstimmung von der Mehrheit des hohen Hauses abgelehnt. Das war am Dienstag. Aber die PDS hält an der Nominierung von Lothar Bisky fest. Und Bisky sagte heute morgen bei uns, er wolle wieder antreten. Am Telefon begrüße ich nun den jetzt stellvertretenden Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse von der SPD. Guten Morgen, Herr Thierse.

    Wolfgang Thierse: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Es gibt ja verschiedentlich die Aufforderung, natürlich hat die PDS ein Recht darauf, einen der Vizepräsidenten zu stellen, aber man möge doch vielleicht einen anderen Kandidaten benennen. Sollte die Linkspartei einen anderen Kandidaten aufstellen?

    Thierse: Nun habe ich keine öffentliche Empfehlung zu geben an eine andere Fraktion. Sie beschreiben das richtig, niemand glaube ich bestreitet das Recht der PDS, einen stellvertretenden Parlamentspräsidenten zu nominieren, zu stellen. Aber in einer geheimen Wahl sind die Abgeordneten frei, diesen konkreten Personenvorschlag zu bejahen oder zu verneinen. In dieser Situation sind wir jetzt. Ich habe den Eindruck - wie gesagt, das ist eine geheime Wahl - dass sich diese Abstimmung auch eher gegen die Person von Lothar Bisky richtete als gegen diesen Anspruch der PDS. Es geht aber auch nicht um einen Ost-West-Streit, das wäre wieder zu trivial. Sondern das ist eine Interpretation der Biographie von Lothar Bisky, was mich ein bisschen überrascht. Denn soweit ich Lothar Bisky kenne, ist er ein angenehmer intelligenter und moderater Mann, der durchaus gut in das Präsidium des Bundestages passen würde.

    Meurer: Und wie interpretieren Sie seine Biographie?

    Thierse: Ein bisschen kenne ich das ja. Er war Rektor der Filmhochschule, er war Wissenschaftler, auch im Dienste der SED. Das ist keine Biographie eines Widerstandskämpfers. Aber wir kennen aus vielen Berichten, dass er für Studenten sich eingesetzt hat, sich um Differenzierung in Sachen Kulturpolitik und marxistisch-leninistischer Ideologie bemüht hat. Das muss man differenziert bewerten. Und deswegen begrüße ich sehr, dass er gesagt hat, ja, die Fraktion der Linkspartei ist bereit, sich freiwillig überprüfen zu lassen durch die Stasi-Behörde. Das ist wichtig, denn gelegentlich hören wir aus dieser Partei ja auch andere Signale. Man wird dann immer noch bewerten müssen, was das Ergebnis dieser Überprüfung ist. Aber dass es diese Bereitschaft gibt, finde ich ist begrüßenswert.

    Meurer: Wäre es sozusagen im Sinne des Amtes, des hohen Amtes als stellvertretender Bundestagspräsident, wenn die Person, die für die Linkspartei gewählt wird, auch über eine ausreichende Akzeptanz und Mehrheit in der Abstimmung verfügt?

    Thierse: Das ist ja eine Voraussetzung. In unserer Geschäftsordnung heißt es ja, die Kandidaten müssen mit der Mehrheit der Mitglieder des Hauses gewählt werden in einer geheimen Abstimmung, gerade weil sie von einem mehrheitlichen Vertrauen der Abgeordneten getragen sein sollen.

    Meurer: Sie haben selbst, Herr Thierse, auch nicht so viele Stimmen bekommen bei der Wahl, wie Sie sich vielleicht erhofft haben. Wie sehen Sie die Abstimmung für sich persönlich im Nachhinein?

    Thierse: Also ein Vertrauensbeweis, dass die CDU-Kollegen bereit sind, auch mental und emotional bereit sind, in eine große Koalition zu gehen, war das nicht. Das wird man hier wohl sagen können. Denn die Gegenstimmen oder Enthaltungen kamen ja vermutlich mehrheitlich aus der CDU/CSU-Fraktion. Da wirkt sich immer noch nach, es ist offensichtlich eine Schwierigkeit für manche CDU-Kollegen und CSU-Kollegen, dass ich eben nach dem Parteiengesetz dieser Partei kräftige Sanktionen zumessen musste. Das war immer umstritten, aber ich habe vor sämtlichen Gerichten bis hin zum höchsten deutschen Gericht, dem Verfassungsgericht, Recht bekommen. Sie haben mir immer bescheinigt, dass ich mich absolut korrekt nach Recht und Gesetz verhalten habe. Aber es schmerzt offensichtlich immer noch, und man wird dann diesen Ruf der Parteilichkeit, obwohl wie gesagt gerichtlich nachgewiesen, dass das nicht stimmt, man wird ihn nicht mehr los.

    Meurer: Im Nachhinein betrachtet hätten Sie vielleicht bei mancher Diskussion sich mehr zurückgehalten können. Denn das hat ja einige auch provoziert.

    Thierse: Aber wissen Sie, in Deutschland im Bundestag waren die Bundestagspräsidenten immer profilierte Parteipolitiker. Denken Sie an Hermann Ehlers, er war stellvertretender Parteivorsitzender von Adenauer, Gerstenmeier war es. Frau Süssmuth war eine profilierte Persönlichkeit. Also ich habe mich in der Ausführung meines Amtes fair und neutral zu verhalten. Das habe ich getan. Dass ich im übrigen auch politische Ansichten habe, das ist ja nicht zu verbergen, das schadet ja auch dem Amt nicht.

    Meurer: Es gibt ja auch Kritik daran, dass die SPD jetzt zwei Vizepräsidenten bekommen hat, also einen Posten für Sie und dann für Ihre Kollegin Frau Kastner. Musste das sein?

    Thierse: Also, es war dies die Regel bis 1994. Da war es immer so, dass die beiden großen Parteien, die beiden Volksparteien, im Präsidium mit zwei Personen vertreten waren. Das ist 1994 dann von der CDU verändert worden, gewissermaßen vollkommen überraschend, um den Grünen einen zuzubilligen. Der wurde der SPD weggenommen. Jetzt stellen wir diesen alten Zustand wieder her, im Sinne der Repräsentation, der angemessenen Repräsentation, der unterschiedlich starken Parteien im Präsidium. Ich kann das nicht für wirklich falsch halten.

    Meurer: Auf der anderen Seite, der Bundestag wurde verkleinert, warum das Präsidium jetzt aufblähen?

    Thierse: Ja, im Sinne der Repräsentation der unterschiedlich starken Parteien. Die CDU und CSU sind de facto gleich stark. Der minimale Unterschied ist da nicht erheblich. Und sie sind jeweils viermal so stark als die anderen Parteien. Und dieser Gesichtspunkt hat dazu geführt, dass die SPD diesen Vorschlag gemacht hat, und die SPD ihm zugestimmt hat.

    Meurer: Norbert Lammert von der CDU, der jetzt Präsident des Bundestages geworden ist, damit ihr Nachfolger, hatte ein sehr gutes Ergebnis erhalten am Dienstag und viel Lob. Jetzt hat er die Diskussion um die deutsche Leitkultur wieder angestoßen, die in der Vergangenheit schon mal für heftige Kritik gesorgt hat. Ist er gut beraten mit diesem Vorstoß?

    Thierse: Also ich weiß nicht, ob der Begriff der richtige ist für eine solche Diskussion, aber dass wir immer wieder neu der Verständigung bedürfen, was denn das ist, was diese Gesellschaft zusammen hält. Das muss doch mehr sein, als die Ware-Geldbeziehung, die Beziehung, die wir über den Markt und über die Arbeitswelt eingehen. Dass wir darüber reden, was sind gemeinsame diese Gesellschaft in allen ihren Unterschieden und Gegensätzen tragende Gemeinsamkeiten, gemeinsame Grundüberzeugungen? Sich darüber immer wieder neu zu verständigen, das halte ich für richtig. Davon habe ich in der Vergangenheit auch immer mal wieder gesprochen. Und wenn es gelingt, eine neue Diskussion darüber anzuregen, dann will ich das nur begrüßen. Ob der Begriff Leitkultur dafür angemessen ist, das weiß ich nicht. Er ist ein bisschen einseitig belastet.

    Meurer: Wolfgang Thierse, stellvertretender Bundestagspräsident von der SPD. Vielen Dank, Herr Thierse und auf Wiederhören.

    Thierse: Auf Wiederhören, Herr Meurer.