Freitag, 19. April 2024

Archiv

"This was tomorrow”
Londoner Pop-Art in Wolfsburg

Wer an Pop-Art denkt, der hat vermutlich schnell die Bild-Serien von Andy Warhol vor Augen. Falsch ist das nicht, doch die Pop-Art-Bewegung ist schon viel früher entstanden, nämlich im England der Nachkriegsjahrzehnte. Das Kunst-Museum Wolfsburg widmet dem Swinging London jetzt eine groß-angelegte Schau - und hat die Metropole als "Pop Art City" in einer riesigen Halle nachgebaut.

Von Alexander Kohlmann | 01.11.2016
    Dieses Objekt von Künstler Allen Jones ist Teil der Ausstellung "This was tomorrow" im Kunstmuseum in Wolfsburg
    Dieses Objekt von Künstler Allen Jones ist Teil der Ausstellung "This was tomorrow" im Kunstmuseum in Wolfsburg (dpa/Peter Steffen)
    Ein Musik-Laden. Irgendwo im Swinging London. In den Fenstern: Auslagen von Schallplatten-Covern. Drinnen: Bilder aus dem pulsierenden Kessel des Londons der 70er Jahre.
    "Zeitschriften, die Szene, die Akteure. Es geht eigentlich darum, in diesem orangenen Raum noch einmal den ganzen Kosmos ineinander zu verqueren - und zu zeigen, wie lebendig das war."
    Swinging London. Für die Ausstellung "This was tomorrow" hat das Kunstmuseum Wolfsburg nicht nur Bilder an die Wände gehängt, sondern eine ganze Stadt aufgebaut. Zweigeschossig und verwinkelt. Von einer Dach-Terrasse blickt Museumschef Ralf Beil auf die Kunstmetropole.
    "Wir haben hier wirklich eine veritable Pop-Art-City aufgebaut. Sie hören Musik aus allen Enden und Kanälen. Sie haben Fernseher dort, die eben berühmte Pop-Art-Fernsehdokumentationen zeigen. Es gibt Kinos, in denen sie eintauchen können in die Welt von "Blow Up." Das heißt, wir haben wirklich ein multimediales Ereignis."
    Mehr als Andy Warhol
    Pop-Art. Wer an diese Kunst-Epoche denkt, hat vermutlich schnell die Bild-Serien Andy Warhols vor Augen. Falsch ist das nicht, doch die Pop-Art-Bewegung wurde schon viel früher, nämlich in England geboren. Eine Trümmerstadt war das London nach dem 2. Weltkrieg und ein Ort des Smogs. Eine riesige Wandbespannung zeigt einen Londoner Bus. Kaum zu erkennen ist die Ikone im dunklen Nebel der Abgase. In dieser düsteren Welt blickten junge Künstler nach Amerika. Männer wie Eduardo Paolozzi begannen Kollagen zu basteln - aus dem Material des amerikanischen Traums. Mode-Zeitschriften, Comics, Pin-Ups: die Anzeige als Kunstwerk. Symbol für eine Leichtigkeit des Seins, die man in London so schmerzlich vermisste. Aus der Auseinandersetzung mit den kommerziellen Bildwelten Amerikas wurde eine Bewegung, die Jahrzehnte anhielt. Und bis heute andauert.
    "Das war der Spiegel der Zeit, das ist immer noch der Spiegel unserer Konsumgesellschaft. Wir verkaufen eben nicht nur Waren, sondern auch Körper - und manchmal auch unsere Seele. Und das ist alles in den Bildern da."
    Zweideutige Positionen
    Pop-Art als Spiegel der Zeit. Wer durch die stilisierten Gassen der künstlichen Stadt wandert, steht immer wieder vor nackten Frauen. Männerträume in allen möglichen Variationen. Gerald Laings "California Girl No. 67" zum Beispiel. Eine grob-gerasterte, idealtypisch-gebaute amerikanische Schönheit. Oder die Arbeiten von Allen Jones: Schon aus der Ferne sehen wir in einem Schaufenster die dreidimensionalen Skulpturen. Knieende, fast völlig unbekleidete Frauenkörper, die als Abstelltisch für Drinks fungieren. Oder als Sitzmöbel mit weit in die Höhe gespreizten Beinen.
    "Positionen ist da schon zweideutig, jetzt muss man ganz stark aufpassen, was man sagt."
    betont Kuratorin Uta Ruhrkamp. Dennoch will sie die Arbeiten nicht als sexistisch verstanden wissen. Im Gegenteil: Die Künstler spiegelten einen Zeitgeist wieder, den wir auch heute noch in der Werbung finden.
    "Machen sie es aus einer männlich sexistischen Perspektive oder machen sie es, weil sie das, was sie in Werbung und Zeitungen sehen und einfach in die Bilder übertragen und dann eben analysieren. Dann kann man ihnen den Sexismus nicht vorwerfen, sondern kann nur sagen, dass sie übernehmen, was populär sich verbreitet hatte."
    Nackte Frauenkörper, als Manifestation eines männlich geprägten Zeitgeists. Wer in das Wolfsburger "Swinging London" reist, taucht tatsächlich in eine andere Epoche ein. Und es ist die große Leistung dieser Ausstellung, dass sie die Exponate in ihrem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang zeigt - in dieser faszinierenden Pop-Art-City, die jeder Besucher für sich persönlich immer wieder neu entdecken kann.