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Thomaner-Chor
"Wer diese Musik singt, kann Legida nicht auf den Leim gehen"

Jede Motette des Thomanerchors sei im Grunde eine Veranstaltung gegen Pegida und Legida, sagte der frühere Pfarrer der Leipziger Thomaskirche, Christian Wolff, im DLF. Alles, was diese Gruppierungen sagten und täten, widerspreche diametral den Grundlagen des christlichen Glaubens.

Christian Wolff im Gespräch mit Christoph Heinemann | 30.01.2015
    Gruppenbild des Thomaner-Chors vor dem Altar der Leipziger Thomaskirche
    Der Thomaner-Chor 2012 in der Leipziger Thomaskirche. (dpa / picture alliance / Peter Endig)
    Er wundere sich nur, dass die Menschen das nicht erkennen würden. Wolff betonte, die Mitglieder des Thomanerchors könnten nur gegen diese Bewegungen sein: "Wer diese Musik singt, wer Choräle und Kantaten von Johann-Sebastian Bach singt, der kann diesen Rattenfängern von Legida und Pegida, was ja ein rechtsradikales Netzwerk ist, nicht auf den Leim gehen."
    Der Thomanerchor verliert zum 1. Februar seinen Kantor. Georg Christoph Bille legt das Amt nach 22 Jahren nieder, ein Nachfolger ist noch nicht benannt. Wolff betonte, der neue Thomaskantor müsse in seiner Weise die gottesdienstliche Musik profilieren und auch die Gegenwartsmusik ausreichend ins Repertoire aufnehmen. Er müsse zudem alles vermeiden, was dazu führe, dass der Chor und seine Musik museal würden.
    Pfarrer a.D. Christian Wolff gestikuliert mit seiner rechten Hand
    Pfarrer a.D. Christian Wolff (Peter Endig, dpa picture-alliance)

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Mit dem Begriff "Ära" sollte man sparsam umgehen, aber selbst unter dieser Einschränkung endet morgen in Leipzig eine Ära. Georg Christoph Biller kann nicht mehr, die Gesundheit spielt nicht mehr mit. Deshalb hat der Chorleiter und Hochschullehrer seinen Rücktritt vom Amt des Thomaskantors erklärt.
    Leicht wird ihm das nicht gefallen sein. Biller war in jungen Jahren selbst Thomaner und die Jungen und Jugendlichen bilden einen der berühmtesten und besten Chöre der Welt und einen der ältesten. 1212 in Leipzig gegründet, in der Folge wurde der Dreiklang Thomaskirche, Thomasschule und Thomaner-Chor ausgebaut. 1723 übernahm ein Mann die Thomaner, dessen Grab sich heute in der Kirche befindet, und jeder Thomaskantor steht in der Erbfolge dieses Johann Sebastian Bach. Seine Musik pflegen die Thomaner, freitags und samstags in den Andachten, den Motetten in der Thomaskirche, und in vielen Konzerten in der ganzen Welt.
    Georg Christoph Biller war der 16. Thomaskantor nach Bach und über ihn haben wir vor dieser Sendung mit Christian Wolff gesprochen, dem ehemaligen Pfarrer der Thomaskirche, der zwei Jahrzehnte lang mit Biller eng zusammengearbeitet hat. Ich habe ihn gefragt, wie sich der Chor unter Georg Christoph Biller musikalisch entwickelt hat.
    Christian Wolff: Der Thomaner-Chor hat in den 22 Jahren des Thomaskantorats von Biller eine ganz erstaunliche Entwicklung durchgemacht. Natürlich war dieser Chor wie jede andere Institution in den 90er-Jahren damit beschäftigt, erst einmal anzukommen unter den neuen gesellschaftlichen Bedingungen und seinen Ort zu finden.
    Heinemann: Das heißt, nach der Wende.
    Wolff: Nach der friedlichen Revolution. Und dann hat Biller es vermocht, im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts den Chor bis zuletzt zu einer Blüte zu führen, die ihres gleichen sucht, und vor allen Dingen hat er es geschafft, einen sich ständig erneuernden Chor zu einer ungeheueren Kontinuität in der Qualität zu führen.
    Heinemann: Schauen wir kurz noch mal zurück. Christoph Billers Vorgänger Hans-Joachim Rotzsch musste ja 1991 zurücktreten, als seine Mitarbeit bei der Stasi aufflog. Wie haben die 40 Jahre DDR diesen Chor geprägt?
    Wolff: Genauso wie diese Zeit jeden Menschen geprägt hat. Der Chor ist ja seit der Reformation eine städtische Institution und insofern war das auch für die Thomaskirche immer eine Gratwanderung, weil sich ja in der Thomaskirche Staat und Kirche begegnen, und unter den Bedingungen der DDR war das durchaus schwierig.
    Man muss immerhin bedenken: Die Erzieher im Thomaner-Chor waren zum Teil Parteisekretäre. Es war den Pfarrern der Thomaskirche kaum möglich, in das Alumnat, also in das Haus zu gehen, in dem die Thomaner lebten.
    Das hat sich dann unter dem Kantorat von Biller vollkommen geändert, weil sich Thomaskantor Biller als ein aktives Mitglied der Kirchengemeinde St. Thomas verstanden hat und eben auch als ein Kirchenmusiker.
    "Diese Bedingung wird Gott sei Dank nicht gestellt"
    Heinemann: Aber man muss nicht in der Kirche sein, um Thomaner zu werden?
    Wolff: Nein, überhaupt nicht. Wir haben Kinder, die sind katholisch, die gehören keiner Religionsgemeinschaft an, wir haben Jugendliche jüdischen Glaubens im Thomaner-Chor.
    Diese Bedingung wird Gott sei Dank nicht gestellt. Aber das ändert nichts an dem Auftrag des Thomaner-Chors, die Kirchenmusik in der Thomaskirche zu gestalten. Und das große Verdienst von Georg Christoph Biller ist, dass er den Chor wieder zu seiner Hauptaufgabe zurückgeführt hat, nämlich der "Musica sacra" zu dienen, also der Kirchenmusik.
    Ganz, ganz viele Menschen, unabhängig übrigens davon, ob sie der Kirche angehören oder nicht, haben gespürt, das ist authentisch und das ist die "musica sacra", die Kirchenmusik, die für diesen Raum geschaffen wurde, insbesondere von Bach, und die jetzt in diesem Raum nicht museal aufgeführt wird, sondern die für die Menschen heute dargeboten wird, und zwar so, dass sie davon wirklich aufgerichtet und getröstet werden.
    "Das Singen funktioniert dann ganz problemlos, wenn man es macht"
    Heinemann: Herr Wolff, die Ablenkungen für Kinder und Jugendliche sind mannigfaltig. Wie gewinnt man heute Jungen dafür, täglich zu singen, zu üben und obendrein noch in einem Internat zu leben?
    Wolff: Das Singen funktioniert dann ganz problemlos, wenn man es macht. Mehr gehört da nicht dazu. Mit diesem Grundsatz sind wir auch herangegangen, um die Nachwuchsarbeit für den Thomaner-Chor zu profilieren, und da hatte Biller die geniale Idee, Ende der 90er-Jahre, einen Bildungscampus zu errichten, also zu sagen, wir müssen schon in der Krippe anfangen, in der Kita, über die Grundschule bis hin dann zur Thomasschule, und so ist die Idee vom Bildungscampus "Forum Thomanum" entstanden, den wir seit 2002 aufbauen und inzwischen eine Kita haben, die ein musikalisches, sprachliches und religionspädagogisches Profil hat, und eine eben solche Grundschule, die jetzt in diesem Jahr begonnen wird, neu zu bauen. Aber sie existiert schon seit vier Jahren.
    Dort wird das gelebt, was ja auch dem großen Jubiläumsjahr das Motto gegeben hat im Jahr 2012, 800 Jahre Thomaner: "Glauben - Singen - Lernen".
    Diese drei Säulen - das ist ja auch ein reformatorisches Erbe - sind für die Entwicklung eines Kindes und eines Jugendlichen und auch für die Persönlichkeitsentwicklung von entscheidender Bedeutung und da wollen wir nicht nur die zukünftigen Thomaner dran teilhaben lassen, sondern möglichst viele Kinder und Jugendliche.
    Glauben "wird niemandem aufgedrückt oder abverlangt"
    Heinemann: Wobei Sie gesagt haben, dass das Glauben nicht zwingend ist.
    Wolff: Das wird niemandem aufgedrückt oder abverlangt. Aber die Musik, die gemacht wird, ist eine Musik, die durch Wort und Ton die Grundbotschaften des christlichen Glaubens vermittelt.
    Das ist ja der Ursprung auch reformatorischer Musik. Und da muss man ganz schlicht sagen: Das hat noch niemandem geschadet, dadurch auch Grundwerte des Lebens zu verinnerlichen.
    Die "gottesdienstliche Musik profilieren"
    Heinemann: Welche Aufgaben liegen vor dem künftigen Thomaskantor, dem 17. nach Bach?
    Wolff: Er hat sicherlich die Aufgabe, in seiner Weise weiter die gottesdienstliche Musik zu profilieren und natürlich auch, was Biller ja auch getan hat, die Gegenwartsmusik ausreichend ins Repertoire des Chores aufzunehmen und alles zu vermeiden, was sozusagen dazu führt, dass der Chor und seine Musik museal wird.
    Heinemann: Gibt es schon einen Namen?
    Wolff: Nein.
    Heinemann: Herr Wolff, Sie sind ein politisch engagierter Theologe, SPD-Mitglied, aktiv bei den Kundgebungen gegen Legida in Leipzig.
    Wolff: Für das Grundrecht auf Asyl! Das ist das vor allen Dingen Wichtige.
    Heinemann: Sie haben mir im Vorgespräch gesagt, Sie hätten sich darüber gefreut, dass Sie bei den Gegendemonstrationen mehrere ehemalige Thomaner getroffen haben. Kann abendländische Kultur, so wie die Thomaner sie mitbekommen haben, vor Abendlandschützern schützen?
    Wolff: Ganz sicherlich! Wer diese Musik singt, wer Choräle und Kantaten von Johann Sebastian Bach singt, der kann diesen Rattenfängern von Legida und Pegida, was ja ein rechtsradikales Netzwerk ist, nichts anderes, der kann diesen Rattenfängern nicht auf den Leim gehen.
    "Jeder muss wissen, was er tut, wenn er diesen Leuten nachläuft"
    Heinemann: Nun würden Legida- und Pegida-Mitglieder widersprechen und sagen, wir sind nicht rechtsradikal.
    Wolff: Alles, was diese Gruppierungen sagen und tun, widerspricht diametral den Grundlagen des christlichen Glaubens. Es ist nicht vereinbar, davon zu reden, dass Schluss gemacht werden muss mit dem Kriegsschuld-Kult. Das ist original Legida/Pegida. Und jeder muss wissen, was er tut, wenn er diesen Leuten nachläuft.
    Heinemann: Wobei dieser Gedanke jetzt zumindest in den 19 Punkten von Pegida nicht auftaucht.
    Wolff: Das ist ja gerade die Masche, dass sie dann irgendwie was aufschreiben, wo sie denken, das ist Konsens. Sie reden aber ganz anders, sie handeln ganz anders. Seit 1990, seit der friedlichen Revolution versucht das rechte Netzwerk in Deutschland, Sachsen zum Aufmarschgebiet zu machen. Sie hatten durchaus Erfolg damit. Jetzt ist die NPD am Boden, also müssen andere Organisationsformen gefunden werden. Und das ist Pegida/Legida. Mich wundert nur, dass das Leute in Dresden nicht erkennen.
    "Das ist eine reine Provokation"
    Heinemann: Legida plant für heute Kundgebungen unter anderem auf dem Thomaskirchhof und dem der Nikolaikirche. Sind das angemessene Orte, um für abendländische Kultur zu demonstrieren?
    Wolff: Das ist eine reine Provokation. So was haben noch nicht mal die Kommunisten zu DDR-Zeiten fertig gebracht. Immer wenden sich Veranstalter, die etwas im Umfeld der Kirchen machen wollen, an die Kirchen selbst, um das abzusprechen, damit man sich nicht stört.
    "Jede Motette ist eine Gegenveranstaltung gegen diesen Quatsch von Legida"
    Heinemann: Könnten die Thomaner nicht zum Gegenkonzert einladen?
    Wolff: Die Thomaner - das ging dann nur aus zeitlichen Gründen nicht - wollten auch schon singen, und jede Motette ist eine Gegenveranstaltung gegen diesen Quatsch von Legida und Pegida.
    Heinemann: Christian Wolff, der frühere Pfarrer der Leipziger Thomaskirche.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.