Freitag, 19. April 2024

Archiv

Thomas Bernhards "Das Kalkwerk"
Grausames Sprach-Experiment an der Berliner Schaubühne

Die Berliner Schaubühne zeigt den 1970 erschienenen Roman "Das Kalkwerk" von Thomas Bernhard. So kann sich Philipp Preuss ein bisschen als Thomas Bernhard fühlen, denn er hat den Text verhackstückt. Unser Rezensent hat sich das Ganze im Geiste beruflicher Pflichterfüllung angesehen.

Von Eberhard Spreng | 16.09.2014
    Ein grausames Experiment veranstaltet Konrad mit seiner behinderten Frau im Rollstuhl. Tagelang spricht er ihr den immer gleichen Satz vor, aus verschiedenen Richtungen, mit verschiedenen Intonationen. Dann wieder bekommt sie von ihm tagelang nur Worte mit o, mit u oder mit ö zu hören, allein mit dem Wort Rinnsal experimentiert er zehn Jahre lang, eine Tortur, der sie aufgrund ihrer Behinderung nicht entfliehen kann. Konrad arbeitet, wie er vorgibt, an einer großen Studie über das Gehör. Er hat sie schon seit Jahren im Kopf, schafft es aber irgendwie nicht, sie niederzuschreiben.
    Ort des Geschehens ist ein altes, im Wortsinne: still-gelegtes Kalkwerk, in dem es Konrad gelingt, sich von der Außenwelt vor allem akustisch völlig abzuschließen. Wie für jeden anderen Protagonisten im Werk von Thomas Bernhard geht es auch Konrad darum, den Raum seines seelischen Erlebens endlich von allen Einflüssen der Außenwelt abzuschirmen, von allen andern Menschen.
    "Die Schwierigkeit des Zusammenlebens mit Menschen hat für mich immer darin bestanden, dass ich immer vieles hörte und vieles sah, die andern aber nichts hörten und nichts sahen ... Einfach alles zu hören ist Folge der ununterbrochenen jahrzehntelangen Beschäftigung mit der Studie, Triumph, gleichzeitig furchtbar. Aber nichts schafft eine größere Klarheit als ein vollkommenes oder wenigstens ein nahezu vollkommenes Gehör."
    Spiel mit sado-masochistischem Furor
    Je mehr Konrad der absoluten Stille auf der Spur ist, umso lauter schreit es in ihm selbst. Felix Römer spielt den Mann, der sich in seiner Obsession offensichtlich mit sado-masochistischem Furor eingerichtet hat. Zunächst in schwarzem Frauenkleid und roten Lackschuhen bestreitet er die Theaterversion des Kalkwerks als Solo. Verzückt lauscht er den Tönen, die er einem alten Kassettenrekorder entlockt, sperrt verkrampft den Mund auf und schüttelt sich, wenn er zugleich den Abspiel- und den Rückspulknopf drückt und dabei die typischen Quietsch- und Zwitscherlaute hervorruft, die man von analogen Geräten kennt.
    Er sitzt mitten in einem kleinen silbrig ausgeschlagenen Bühnenkasten mit Aluboden auf einem Stuhl, zwei Mikrofone liegen herum und verstärken für Momente seine Spielerei mit dem Gerätchen. Dann leuchtet eine Videoprojektion auf. Mittig hinter ihm sieht man in Großaufnahme das Gesicht einer gequält dreinblickenden Frau, später Felix Römers Gesicht, wie es sich an einer Glasscheibe platt drückt, banale Bildfindungen, die irgendwie und diffus auf Leiden hinweisen und ein wenig auf Francis Bacon, von dem Konrad ein Gemälde zu besitzen vorgibt.
    In seiner Theateradaption hat der Regisseur Philipp Preuss die subtilen Spiegelungen und Brechungen getilgt, mit denen Thomas Bernhard die gruselige, im Mord an der Frau endende Ehegeschichte erzählt hat. Die indirekte Rede, mit der Nebenfiguren vom Kalkwerk und was in ihm geschehen sein soll erzählen, die Konjunktive, die sie dabei benutzen, sind hier völlig verschwunden. Das Grauen, von dem der Leser des Romans im Wesentlichen aus der Perspektive eines das Geschehen rekonstruierenden Erzählers erfährt, ist hier grell und unverschleiert. Außerdem ist bei Bernhard noch der allergrößte Wahnsinn von dem ordentlichsten Sprachgebäude eingefasst.
    Physische Veräußerlichung der inneren Verzweiflung
    Hier aber bekommen wir mit dem Geschrei, Gebrüll und den Verrenkungen des Akteurs nur noch die physische Veräußerlichung der inneren Verzweiflung Konrads vorgeführt. Sie endet damit, dass sich Felix Römer bis auf die Unterhose auszieht, dann einen Eimer Wasser über den Kopf schüttet, dann einen Eimer mit Mehl, einen mit Paniermehl und einen Eimer mit Eierpampe auf dem Aluboden ausschüttet, das alles vermanscht und sich drin wälzt, bis er fast so aussieht wie Max und Moritz in ihrem sechsten Streich bei Meister Bäcker. Was das mit Thomas Bernhard zu tun haben soll und warum Philipp Preuss den Roman wiederausgrub, um dann doch nur eine wenig inspirierte 08/15 – Performance zu veranstalten, war in eineinviertel Stunden nicht zu ergründen.