Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Thomas-Cook-Insolvenz
Luftfahrtexperte rät zu Überbrückungskredit für Condor

Durch die Insolvenz des Mutterkonzerns Thomas Cook gerate die deutsche Airline Condor in finanzielle Schwierigkeiten, sagte der Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt im Dlf. Er plädiert dafür, dem Unternehmen einen staatlichen Überbrückungskredit zu geben, um eine Pleite zu verhindern.

Heinrich Großbongardt im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 24.09.2019
Nach der Insolvenz des britischen Reiseveranstalters Thomas Cook prüft die Bundesregierung den Antrag der deutschen Tochter Condor auf einen Überbrückungskredit.
Die Insolvenz des britischen Reiseveranstalters Thomas Cook hat auch Folgen für das deutsche Tochterunternehmen Condor (imago / Arnulf Hettrich)
Tobias Armbrüster: Jede Menge enttäuschte Gesichter, wütende Gesichter. Das war das Bild gestern an vielen Flughäfen überall in Europa und auch im Rest der Welt. Es war der Tag der Pleite von Thomas Cook. Einer der größten Reiseanbieter in Europa war und ist plötzlich insolvent. Hunderttausende von Menschen sitzen an ihren Urlaubs- oder Reisezielen fest, und das hat jede Menge Folgen.
Am Telefon ist jetzt der Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt. Er berät mehrere Luftfahrtunternehmen und er war in der Vergangenheit unter anderem für den Boeing-Konzern tätig. Schönen guten Morgen, Herr Großbongardt!
Heinrich Großbongardt: Schönen guten Morgen, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Herr Großbongardt, diese Pleite von Thomas Cook, war die absehbar?
Großbongardt: Zum jetzigen Zeitpunkt vielleicht nicht. Aber Thomas Cook steht schon seit langer Zeit auf wackeligen Beinen. Der Konzern hat hohe Schulden, er musste 2011 schon mal gerettet werden von Banken und schleppt seitdem einen riesen Schuldenberg mit sich herum, der bedient werden muss.
Armbrüster: Hätte es da nicht eine Warnung geben müssen an Touristen, an Leute, die mit diesem Reiseveranstalter verreisen wollen?
Großbongardt: Das ist ja immer schwierig. In dem Moment, wo ich warne – Thomas Cook hat ja verhandelt um neue Kredite mit Banken, mit Geldgebern. Das Problem ist ja immer: In dem Moment, wo ich warne als Unternehmen, in dem Moment bin ich sowieso tot. Dann bricht der Laden sofort zusammen, weil natürlich niemand mehr bucht, niemand mehr fliegt, der ganze Geldfluss stoppt.
Armbrüster: Wir haben es gerade im Beitrag gehört. Die deutsche Thomas-Cook-Tochter Condor, die fliegt noch. Aber die Frage ist natürlich, wie gefährdet ist Condor jetzt. Wie gefährlich ist es für Condor, jetzt mit hinabgerissen zu werden in diesen Strudel?
Großbongardt: Das hängt ganz sicherlich davon ab, ob es Condor gelingt, diesen Überbrückungskredit zu bekommen, den sie bei der Bundesregierung beantragt haben. Denn Condor selbst ist zwar profitabel. Condor selbst macht 1,8, 1,9 Milliarden Umsatz pro Jahr, schreibt seit Jahren gute schwarze Zahlen. Das Unternehmen ist solide geführt. Aber im Augenblick beim Zusammenbruch der Mutter geht natürlich auch der Zugriff auf die nötigen Barmittel verloren, die das Unternehmen braucht, um den laufenden Betrieb zu finanzieren, um nicht nur Mitarbeiter zu bezahlen, sondern auch Landegebühren zu bezahlen, Sprit zu kaufen etc. etc.
"Es gibt schon seit dem Frühjahr Gespräche, die Condor zu verkaufen"
Armbrüster: Das heißt, Condor könnte letztendlich geopfert werden, damit die Muttergesellschaft Thomas Cook noch weitere Rechnungen bezahlen kann?
Großbongardt: Nein! Das ist einfach so: In dem Moment, wo die Muttergesellschaft Insolvenz anmeldet, in dem Moment ist natürlich der Zugriff auf die Finanzmittel dieses Konzerns sofort gestoppt. Solche großen Unternehmen arbeiten ja mit Cash-Pools, wo nicht jedes Unternehmen die eigene Kasse betreibt, sondern das Ganze aus einem großen Topf bedient wird. In dem Moment, wo jetzt Thomas Cook Insolvenz angemeldet hat, ist natürlich der Zugriff auf diese Mittel auch versperrt und Condor kann nur mit dem leben, was sie selbst in der Kasse haben. Das Problem ist wirklich als Fluggesellschaft: Man schaufelt Riesenbeträge durch, um den Betrieb am Laufen zu halten, und das Ganze mit einer sehr kleinen Marge.
Armbrüster: Was heißt das jetzt für Condor, neben diesem Kredit? Müsste das Unternehmen eigentlich möglichst schnell rausgelöst werden aus dieser Muttergesellschaft, aus Thomas Cook?
Großbongardt: Das Unternehmen müsste möglichst schnell rausgelöst werden. Es gibt ja schon seit dem Frühjahr Gespräche, die Condor zu verkaufen. Aber die haben sich sehr schwierig gestaltet. Die Lufthansa war interessiert und ist sicherlich noch interessiert. Die Condor hat ja ursprünglich auch mal zur Lufthansa gehört. Aber es ist extrem schwierig, weil natürlich die Marktstellung der Lufthansa im deutschen Markt schon sehr, sehr stark ist. Das heißt, das kartellrechtlich genehmigt zu bekommen, ob das klappt, da stecken große Fragezeichen hinter, und man muss einfach sehen, welche anderen Käufer es denn geben könnte für diese Gesellschaft.
"Die Condor ist ein sehr solides, sehr gut geführtes Unternehmen"
Armbrüster: Sehen Sie da noch andere Käufer?
Großbongardt: Durchaus wäre es denkbar, dass da eine Beteiligung vielleicht der TUI kommt. Aber vielleicht finden sich auch andere ausländische Investoren, denn wie gesagt, die Condor ist ein sehr solides, sehr gut geführtes Unternehmen. Der CEO Ralf Teckentrup ist seit ganz langer Zeit da am Ruder und hat den Laden wirklich gut im Griff. In diesem ganz schwierigen Markt verdient die Condor beachtliches Geld.
Armbrüster: Was ist denn jetzt Ihre Einschätzung? Sollte die Bundesregierung Geld locker machen für so einen Überbrückungskredit bei Condor?
Großbongardt: Ja, auf jeden Fall! Denn erstens: Das Geld, das sie damals an Berlin rausgereicht hat, das hat sie ja zurückbekommen. Das zeigt, so was funktioniert. Und das zweite ist: Anders als eine Air Berlin oder auch anders als eine Germania ist Condor eben nicht eine der Fußkranken. Das waren ja beides Unternehmen, die wirklich wirtschaftlich in ganz schwieriger Situation waren. Die Air Berlin war seit Jahren überschuldet. Da ist überhaupt gar kein Vergleich mit Condor möglich und deshalb, denke ich, ist auch die Rettung von Air Berlin oder der Überbrückungskredit für Air Berlin auch für mich eine Art Präjudiz. Ich würde es nicht verstehen, wenn das Geld nicht rausgereicht würde.
Armbrüster: Was würde denn passieren oder was wären die Folgen für die Luftfahrt oder auch für die deutsche Wirtschaft, wenn Condor auch Pleite gehen würde?
Großbongardt: Wenn die Condor Pleite gehen würde, dann würden auf jeden Fall zunächst mal ganz unmittelbar irgendwie rund 7.000 Arbeitsplätze verloren gehen, hoch qualifizierte Arbeitsplätze in Deutschland, und der Reisemarkt insgesamt würde zusammenbrechen. Es haben ja schon viele Menschen mit Condor ihren Urlaub gebucht für die Winterferien. Condor fliegt viele Warmwasserziele in der Karibik an, um das Mittelmeer herum, in Nordafrika, im indischen Ozean. Das wäre natürlich ganz schwierig für die ganzen Menschen, die da auch schon ihren Urlaub gebucht haben und die dann auch noch das komplett neu organisieren müssten.
"Der Reisemarkt insgesamt würde zusammenbrechen"
Armbrüster: Herr Großbongardt, jetzt haben wir viel über Condor gesprochen. Gibt es noch weitere Firmen, bei denen Sie mit Pleiten rechnen im Zuge dieser Thomas-Cook-Insolvenz?
Großbongardt: Man muss sich immer anschauen, was mit den einzelnen Reiseveranstaltern, auch deutschen Reiseveranstaltern, die zum Thomas-Cook-Konzern gehören, passieren wird, wie überlebensfähig die sein werden. Das ist jetzt eine Frage. Das ist aber zurzeit ganz schwer zu beurteilen, denn die Bilanzen dieser Gesellschaften liegen nicht offen. Genau wie bei Condor ist das alles in die große Thomas-Cook-Bilanz eingeflossen. Aber da könnte es durchaus noch die eine oder andere zusätzliche Insolvenz geben. Das ist aber im Augenblick ganz schwer zu beurteilen.
"Da könnte es noch die eine oder andere zusätzliche Insolvenz geben"
Armbrüster: Einige haben sich gestern sicher einige wichtige Fragen gestellt, vor allem die: Man hat das ja mit Verwunderung gesehen. In Großbritannien ist gestern die Regierung aktiv geworden, um britische Urlauber von überall her aus der Welt zurück nach Großbritannien zu holen, und sie hat das überschrieben mit "Operation Matterhorn". In Deutschland dagegen müssen jetzt die Versicherer für solche Rückholaktionen bezahlen. Warum sind diese Systeme da so unterschiedlich?
Großbongardt: Warum die so unterschiedlich sind, ist schwer zu sagen. Da spielt in Großbritannien ganz sicherlich auch "national pride" oder so etwas eine Rolle. In Deutschland ist das einfach nicht vorgesehen. Die britische Regierung hatte ja schon seinerzeit vor zwei Jahren, als Monarch Pleite ging, eine ähnliche Aktion gestartet, wenn auch nicht in diesem Umfang. Hier haben wir die Situation, dass in Deutschland die Reiseversicherungen da entsprechend eintreten müssen. Von daher gibt es auch gar keine große Notwendigkeit, da öffentlich tätig zu werden, denn die Versicherungsunternehmen werden jetzt einfach die notwendige Kapazität chartern. Und die britische Regierung ist ja auch nicht schneller als Versicherer.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.