Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


Thomas Druyens : Olymp des Lebens

Deutschland wird älter, mittlerweile eine Binsenweisheit. Die Weisheit hat eine Marktlücke ins Rampenlicht gestellt, die man als Lebensphilosophie des Alterns bezeichnen könnte. Der Amerikaner John Powys hat dazu vor Jahren den Auftakt mit dem klassischen Titel

Eine Rezension von Matthias von Hellfeld, | 05.01.2004
    Die Kunst des Älterwerdens gegeben und jetzt breiten sich auch auf dem deutschen Markt solche und ähnliche Titel aus. Der jüngste heißt "Olymp des Lebens". Matthias von Hellfeld, selber noch nicht ganz auf dieser Höhe angekommen, hat es für uns gelesen:

    Alte Menschen, sagte der griechische Philosoph Platon vor mehr als 2ooo Jahren, alte Menschen sind das Ebenbild der Vernunft und erfüllen deshalb eine Vorbildfunktion für die Gesellschaft. Von dieser weisen Einsicht sind die westlichen Gesellschaften von heute ziemlich weit entfernt. Sie hängen einem zum Grotesken gesteigerten Jugendkult an, der Menschen über 49 zur Kukident-Generation abqualifiziert. Thomas Druyens neues Buch ist eine überzeugende Gegenrede, die nicht in der Anklage stecken bleibt, sondern Chancen und Möglichkeiten aufzeigt, die eine ins gesellschaftliche Leben integrierte alte Generation bereithält.
    Die dramatischen Auswirkungen einer immer älter werdenden Gesellschaft werden uns heute lediglich durch Debatten über die Finanzierung der Altersvorsorge nahe gebracht. Thomas Druyen zeigt dagegen, dass die veränderte Alterstruktur nicht nur finanzielle Konsequenzen nach sich zieht. Der Alterungsprozess ist unumkehrbar und in allen entwickelten Gesellschaften zu erkennen:
    Deshalb basiert das Schicksal dieser Gesellschaften auf ihrer Fähigkeit, gerade die Menschen der Zweiten Lebenshälfte als integrativen Bestandteil ihrer gesellschaftlichen Zukunft zu erkennen und zu akzeptieren. Die Folgeprobleme der Alterung haben nachhaltige Auswirkungen auf die sozialen, kulturellen und ethischen Grundlagen jeder Gesellschaft.

    Zur Zeit sind 5,9 Prozent der Bevölkerung über einhundert Jahre, im Jahr 2o5o werden es vermutlich 11,3 Prozent sein, während im gleichen Zeitraum die Zahl der unter 20-Jährigen von 21 auf etwas über 14 Prozent sinken wird. Blickt man nun hinter die Kulissen dieses Altersphänomens, stellt man fest, dass eine Neubewertung des Alterns notwendig ist. Thomas Druyen beschreibt das Alter als einen Lebensabschnitt, der nicht notwendigerweise von Krankheit und fortschreitenden Funktionsverlusten gekennzeichnet sein muss. Die zukünftigen Alten verfügen über einen hohen Bildungsstand und haben ein sehr viel höheres Einkommen als vorherige Generationen. Vor allem aber sind sie mobil und unternehmungslustig, haben weniger Scheu im Umgang mit modernen Kommunikationsmedien und definieren deshalb ihren Lebensabschnitt als Höhepunkt und Vollendung all dessen, was sie vorher gemacht haben.
    Um ihre Erfahrungen - beruflicher und sozialer Art - für die Gesellschaft nutzbar zu machen, müssen Strukturen zur Verfügung gestellt werden, die es derzeit nicht oder in nicht ausreichendem Maße gibt. Architektur und Straßenbau, öffentliche Einrichtungen, Dienstleistungen und Freizeitangebote, Bildungseinrichtungen und öffentliche Verkehrsmittel müssen sich den Bedürfnissen der alten Generation anpassen, damit deren Möglichkeiten sich entfalten können. Das birgt sozialen Sprengstoff, der weit über die Frage der Finanzierbarkeit von Rentenzahlungen hinausgeht:
    Die Grenzen zwischen Arbeiten und Wohnen, Berufs- und Privatleben sowie zwischen Erwerbs- und Rentenphase werden immer mehr verschwinden. Dies verursacht enorme Unsicherheit bei allen Beteiligten. Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Gewerkschaften und Politik drehen sich auf einem Karussell und können die Umgebung kaum erkennen. Es zeichnet sich ein Paradigmenwechsel ab. Insofern ist ein auf wenige Jahrzehnte begrenztes Arbeitsleben eine enorme Vergeudung von Ressourcen, ganz zu schweigen von den positiven Effekten, die solche Tätigkeiten für den Menschen haben.
    Der gesellschaftliche Wandel wird also einerseits die Bedürfnisse älterer Menschen berücksichtigen müssen und andererseits den Prozess zu organisieren haben, der von der Erwerbsarbeit zur Lebensarbeit führt. Eine Zahl kann die Notwendigkeit dieser Umorientierung belegen. Im Jahr 2o1o wird die durchschnittliche Lebenserwartung bei 79 Jahren liegen, davon wird aber nur etwas mehr als ein Drittel - nämlich 30 Jahre - gearbeitet werden. Die Erwerbsarbeit heutiger Prägung bedeutet eine Verschwendung von Ressourcen, die sich keine Gesellschaft leisten kann:
    Die Vielfalt des Lebens im Alter und das Potenzial älterer Menschen wahrzunehmen und als wesentlichen Bestandteil der gesellschaftlichen Integration zu würdigen, können wir nur dann, wenn wir eine grundlegende Kultur der zweiten Lebenshälfte schaffen.

    Die Analyse von Thomas Druyen ist mit vielen Belegen untermauert. Seine Vision vom "Olymp des Lebens" ist ein Plädoyer für die Alten.
    Die von ihm skizzierte 'Kultur der zweiten Lebenshälfte’ sollte freilich nicht zu Lasten der jungen Generation gehen. Junge Menschen dürfen nicht das Gefühl bekommen, der un-wichtigere Teil der Gesellschaft zu werden. An dieser Stelle vermisst man klare Worte des Autors, der andererseits zweifellos recht hat, wenn er bemängelt, dass nur noch über Finanzierungsprobleme und über die 'Last mit den Alten’ diskutiert wird. Kaum einer hat den Mut, über Würde und Gerechtigkeit gegenüber älteren Menschen zu sprechen - übrigens auch über die Würde am Ende des Alterns. Hier ist sicher eine Ursache für die Orientierungslosigkeit der heutigen Gesellschaften zu suchen. Das ist auch eine Frage für die junge Generation. Hier bleibt Druyen merkwürdig blass. Die Konsequenzen für die junge Generation, die sich aus seiner mitunter etwas idyllischen Beschreibung der Zukunft ergeben, beleuchtet er nicht. Das harmonische Miteinander der Generationen ist zweifellos ein erstrebenswerter Zustand, aber wie verhindern wir, dass es vorher zu einem Kampf der Generationen kommt?

    Das war die Rezension von Matthias von Hellfeld über Thomas Druyen: "Olymp des Lebens", erschienen bei Luchterhand in München, 268 Seiten zu 29 Euro achtzig.