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Thomas-Mann-Forscher zu Mann-Villa in Kalifornien
"Es gibt da schon sehr konkrete politische Hoffnungen"

2016 kaufte die Bundesregierung die kalifornische Villa, in der Thomas Mann im Exil lebte, um sie vor dem Abriss zu schützen. Jetzt wird sie durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier als Ort des kulturellen Dialogs eingeweiht. Eine überzeugende Idee, sagte der Thomas-Mann-Forscher Tilmann Lahme im Dlf.

Tilmann Lahme im Gespräch mit Michael Köhler | 18.06.2018
    Das restaurierte Thomas Mann Haus in Los Angeles.
    Das restaurierte Thomas Mann Haus in Los Angeles (dpa/picture-allicane/rebuild.ing GmbH/H2S Architekten)
    Michael Köhler: Viele Jahre verbrachte der Literaturnobelpreisträger Thomas Mann im kalifornischen Exil. Von 1942 bis 1952 hat er in Pacific Palisades, einem Vorort von Los Angeles, als wichtigste Stimme des deutschen Exils gelebt. Manche wünschten sich Thomas Mann sogar zum Präsidenten eines Nachkriegsdeutschland. Andere verübelten den Exilanten ihr gutes Leben, ihre "Palmen- und Zitronentage". Im neu errichteten Haus schloss er den "Josephs"-Roman ab, den "Doktor Faustus" und schrieb die BBC-Reden "Deutsche Hörer". So auch die letzte am 10. Mai 1945.
    Adorno kam zum Klavierspielen, Bruno Walter erzählte von Gustav Mahler, Feuchtwanger wohnte um die Ecke und Horkheimer goss die Blumen, wenn die Manns verreist waren.
    Vor zwei Jahren erwarb die Bundesregierung die Villa, die sonst verkauft oder abgerissen worden wäre. Ab August ziehen Fellows ein. Am Montagabend weiht Bundespräsident Steinmeier die Villa ein, die ein Ort des transatlantischen Dialogs sein soll.
    Ich habe mit dem Thomas-Mann-Forscher Tilmann Lahme gesprochen, der Bücher und Briefwechsel der Familie Mann herausgegeben hat. "1550 San Remo Drive" so lautet die Adresse der Familie Mann - das ist auch ein Ort der Abnabelung von Deutschland?
    HANDOUT - Außenansicht der Villa des Schriftstellers Thomas Mann in Pacific Palisades (USA), undatierte Aufnahme. Zehn Jahre lang war es das Exil-Zuhause für Thomas Mann. Foto:Thomas-Mann-Archiv der ETH Zürich. (Zu dpa "«Süddeutsche Zeitung»: Deutschland kauft Thomas-Mann-Villa" vom 18.11.2016)
    Thomas Mann-Villa in Pacific Palisades (dpa-Bildfunk / Thomas-Mann-Archiv der ETH Zürich/Schweiz)
    Tilmann Lahme: Ja, durchaus. Und man kann fast sagen, es ist auch ein Ort der Entfernung von Deutschland oder, wenn man so will, der Abnabelung. Man muss ja auch einfach sagen, ganz praktisch gesprochen: Hier in diesem Haus wurde Thomas Mann zum Amerikaner, ganz offiziell mit Einbürgerungstest, mit Pass, und an diesem Ort schrieb Thomas Mann, warum er nach 1945 nicht nach Deutschland zurückkehrt.
    Das ist aber nur die eine Seite. Das ist und bleibt auch ein deutscher Ort. Hier hatte deutsche Kultur einen Fixpunkt, als sie in Deutschland verfolgt und erwürgt wurde. Wir haben irgendwie schon so was wie eine Entfernung und zugleich so etwas wie eine Annäherung an Deutschland. Das ist relativ kompliziert. Aber das ist doch ein guter Ausgangspunkt für neue heutige Impulse.
    "Da muss man schon die Besten schicken"
    Köhler: Sie geben das Stichwort. Heute Abend wird Bundespräsident Steinmeier, der den Erwerb der Villa vor zwei Jahren als damaliger Außenminister maßgeblich angestoßen hat, die Villa einweihen. Die ersten Fellows werden Heinrich Detering sein, der frühere Präsident der Akademie für Sprache und Dichtung, Jutta Allmendinger, die Chefin des Wissenschaftszentrums Berlin, und der Schauspieler Burghart Klaußner. Ich habe bewusst gesagt, die ersten Fellows, nicht Stipendiaten. Ist das eine gute Wahl, oder ist es die Wahl guter Freunde? Denn das sind ja auch für Herrn Steinmeier, der ein Kulturfreund ist, keine Unbekannten.
    Lahme: Ja. Das sind aber ganz sicher keine Gefälligkeits-Fellows. Das sind ja alles herausragende Forscher, Intellektuelle, Künstler, die da als erste ins Thomas Mann Haus ziehen. Und es soll ja auch nicht so was wie ein Stipendiatenort werden oder ein Rückzugsraum für Fellows.
    Von dem Haus und seinen Fellows soll ja etwas ausgehen. Erwünscht ist so etwas wie ein transatlantischer Austausch auf intellektueller und auf kultureller Ebene. Und das in Zeiten, wo es gerade auf politischer Ebene ja eher schwierig ist. Da muss man schon die Besten schicken und wir werden schauen, was da herauskommt.
    Das Haus selbst ist ja gekauft und auch jetzt aufwendig renoviert worden. Alles andere muss sich noch entwickeln.
    Köhler: Alles andere entwickelt sich zum Beispiel ab morgen Früh. Da wird Bundespräsident Steinmeier im Getty Center in Los Angeles, ausgehend von der Thomas Mann Villa, einen kleinen Kongress eröffnen. "The Struggle for Democracy" heißt diese Konferenz. Bemerkenswert, wie ich finde, dass ein deutscher Bundespräsident eine Villa einweiht und dann auch noch einen Kongress. Das ist schon ein starkes Zeichen, oder?
    Lahme: Unbedingt! Und Frank-Walter Steinmeier, müssen wir auch sagen, hat sich sehr bemüht, in seiner Zeit als Außenminister, als es um dieses Haus ging – und es gab da ja ganz andere Pläne; das sollte abgerissen werden und dann wäre da irgendein amorphes Stück amerikanischer was weiß ich was Architektur entstanden an der Stelle. Das ist natürlich, muss man auch sagen, kein Engagement, das ausschließlich aus der Liebe zur Kultur und zur Literatur kommt. Es gibt da schon sehr konkrete politische Hoffnungen, denke ich, die sich da …
    Köhler: An welche denken Sie?
    Lahme: Ich glaube, es geht darum, dass der Dialog mit den USA ja nun gerade so schwierig ist. Das sehen wir alle. Und da setzt die Politik jetzt zunehmend (nicht erst mit diesem Haus, sondern auch in anderen Kontexten) auf so etwas wie eine Soft Power Strategie, so nennt man das. Da geht es dann darum, abseits der offiziellen Kanäle andere Möglichkeiten des Gesprächs zu erzeugen, und das soll auch mit diesem Haus geschehen. Und na ja, wir werden mal sehen, was da herauskommt. Die Idee, dass da ein Kulturaustausch gefördert werden soll, die überzeugt mich.
    "Vielleicht ein zeitweise offenes Haus"
    Köhler: Ich höre da heraus, Sie finden das einen gelungenen Auftakt und würden mir widersprechen, wenn ich Sie ärgere und sage, ein bisschen schmalbrüstig für den Anfang?
    Lahme: Nein! Ich glaube in der Tat, das ist ein guter Auftakt, und man sollte bei all den politischen Wünschen für die Gegenwart ja auch den literarischen und den, wie soll man sagen, historischen Kontext nicht ganz aus den Augen verlieren. Es geht hier um das Haus eines wirklich großen, wirkungsmächtigen deutschen Schriftstellers, und insofern finde ich auch schön, dass Frido Mann, der Enkel, dem Thomas Mann im Garten dieses Hauses unter Palmen vorgelesen hat, dass der bei der Eröffnung auch dabei sein wird. Und dass dann als einer der ersten Fellows der Thomas Mann Forscher Heinrich Detering zu den Fellows gehört, ist doch auch erfreulich.
    Man sollte auch darüber nachdenken, ob das Haus selbst nicht auch daran erinnern sollte, wer hier mal gelebt hat, eine kleine Ausstellung in der Art, und seit Jahren stehen da immer wieder Thomas Mann Begeisterte vor der Tür. Da ist so ein kleines Schild zu sehen.
    Köhler: … verschlossenen Tür.
    Lahme: Ja, vor der verschlossenen Tür. Man kommt nicht rein. Man kommt auch in den Garten nicht rein. Man sieht auch nichts, weil das alles sehr zugewachsen ist. Das wiederum könnte man ja jetzt vielleicht ändern.
    Man hat da natürlich gewisse Probleme. Das Haus liegt in einer noblen Wohngegend. Schauspieler wie Goldie Hawn, Matt Damon oder, ich glaube, Tom Hanks, die wohnen da. Man kann da kein Museum schaffen, aber vielleicht ein zeitweise offenes Haus.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.