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Thomas Robert Malthus
Der Nationalökonom und die Angst vor den Volksmassen

"Malthusianische Katastrophe" oder "Bevölkerungsfalle", diese Schreckensszenarien gehen zurück auf Robert Thomas Malthus. Das Bevölkerungswachstum, so prophezeite der vor 250 Jahren geborene Nationalökonom, werde mit der Nahrungsmittelproduktion nicht Schritt halten und Kriege zur Folge haben.

Von Jochen Stöckmann | 13.02.2016
    Porträt des britischen Ökonomen Thomas Robert Malthus (1766-1834)
    Porträt des britischen Ökonomen Thomas Robert Malthus (1766-1834) (imago/Leemage)
    Womöglich war es die eigene Kindheit, die den Blick von Thomas Robert Malthus auf die "Bevölkerungsfrage" lenkte – zeitlebens und geradezu zwanghaft. Geboren am 13. Februar 1766 in der ärmlichen Grafschaft Surrey, musste er die täglichen Mahlzeiten mit immerhin sechs Geschwistern teilen: Zu wenig Essen für zu viele Mäuler! Davor warnte Malthus 1798 in seinem "Essay on the Principle of Population". Explosionsartig ansteigende Bevölkerungszahlen bei nur mäßig wachsender Nahrungsmittelproduktion prognostizierte der Historiker mit Blick auf Statistiken. Eine pessimistische Modellrechnung, die für fast zwei Jahrhunderte politische Diskussionen prägte. Auf Malthus' "Bevölkerungsprinzip" bezogen sich auch deutsche Nationalökonomen, sozusagen die "Wirtschaftsweisen" ihrer Zeit. Gustav Cohn, 1882:
    Gustav Cohn: "Das unerschütterlichste und wichtigste Naturgesetz der ganzen bisherigen Nationalökonomie."
    Dagegen Werner Sombart, 1938:
    Zitat Werner Sombart: "Das dümmste Buch der Weltliteratur, das nur eine bemerkenswerte Eigenschaft hat: Es enthält keinen einzigen neuen Gedanken."
    Nicht neu, aber umso wirksamer war um 1800, wie Malthus die Angst schürte vor den Volksmassen, die 1789 mit der Französischen Revolution die politische Bühne betreten hatten. Zugleich sagte der englische Konservative Hungersnöte und Kriege voraus. Als quasi naturgegebene Katastrophen, die in Malthus' Augen zum durchaus "hilfreichen", die Bevölkerung reduzierenden Teufelskreis wurden.
    Fritz Baade: "Ich glaube, dass die Lehre von Malthus, dass Krieg und Seuchen und hohe Kindersterblichkeit und Elend ein unvermeidliches Mittel wären, um das übermäßige Anwachsen der Erdbevölkerung einzudämmen – dass das eine grundsätzlich falsche Ansicht gewesen ist. Es ist genau das Gegenteil: Bildung und Wohlstand."
    Malthus bezog weltweit ersten Lehrstuhl für politische Ökonomie
    Was Fritz Baade 1960 als Direktor des Instituts für Weltwirtschaft gegen den Malthusianismus ins Feld führte, das hatte der Urheber dieser umstrittenen Theorie sogar selbst erlebt: Wohlstand durch Bildung. Im Gegensatz zu seinem Vater Daniel wartete Thomas Robert Malthus mit der Heirat, bis er auf der akademischen Karriere-Leiter ganz nach oben geklettert war – und setzte nur drei Kinder in die Welt. 1805 bezog Malthus den weltweit ersten Lehrstuhl für politische Ökonomie, mehr als auskömmlich finanziert von der Ostindien- Kompanie. Ein potenter Mäzen. Für Karl Marx kein Zufall:
    Zitat Karl Marx: "Das schülerhaft oberflächliche ‚Populationsprinzip‘, mitten in einer großen sozialen Krisis mit Pauken und Trompeten verkündet, wurde jubelnd begrüßt von der englischen Oligarchie als der große Austilger aller Gelüste nach menschlicher Fortentwicklung."
    Damit war Malthus abgestempelt als Reaktionär. Schlimmer noch: als geistiger Urheber des Rassismus, folgt man einer Radiocollage von "Stimme der DDR". Da heißt es 1978 über William Vogt, Vogelkundler, Ökologe und mit seinem Bestseller "Road to Survival" in den USA der radikale, aber erfolglose Verfechter einer weltweiten Geburtenkontrolle:
    "Stimme der DDR": "Die Atombombe ist die Antwort der Natur auf unsere Weigerung zur Senkung der Geburtenrate.": William Vogt – einer der führenden Neo-Malthusianer. Das heißt, er beruft sich auf den englischen Vulgärökonomen und Grundbesitzer – Thomas Robert Malthus, der um 1800 Material für Rassenauslesetheorien geliefert hatte."
    Aber Malthus selbst verstand sich immer nur als Statistiker. In diesem Sinne hatte er seine Bevölkerungstheorie 1820 in den "Principles of Economics" noch einmal weiterentwickelt. Problematisch wurde seine rein mathematische Fortschreibung, das Beharren auf dem einmal errechneten Zukunftsszenario. Ohne gesellschaftliche Veränderungen, soziale Reformen, technologische Umwälzungen in Betracht zu ziehen. Wohin das über die Jahrhunderte führen würde, hat – mit gebührender Ironie – der Philosoph Denis de Rougemont durchkalkuliert:
    Zitat Denis de Rougemont: "Kurz nach dem Jahre 2.600 berühren sich alle Menschen, und da hören meine Berechnungen notgedrungen auf. 'Man wird alle ernähren können', versichert mir ein Ernährungswissenschaftler, 'aber sie werden im Stehen essen müssen.'"