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Thomas Strobl
"Die Flüchtlingszahlen aus dem Westbalkan gehen deutlich zurück"

Die Reform des Asylrechts zeige erste Wirkung, sagte der CDU-Politiker Thomas Strobl im Deutschlandfunk. Schleuserorganisationen würden den Westbalkan als lukratives Geschäftsfeld aufgeben. Weitere Schritte müssten folgen. "Wir müssen alle Maßnahmen ergreifen, um den Zustrom von Flüchtlingen zu begrenzen und zu steuern."

Thomas Strobl im Gespräch mit Jochen Spengler | 31.10.2015
    Der CDU-Politiker Thomas Strobl
    Der CDU-Politiker Thomas Strobl (dpa / picture-alliance / Bernd Weißbrod)
    Der stellvertretende Chef der Unionsfraktion, Thomas Strobl, kritisierte den Streit innerhalb der Großen Koalition in der Flüchtlingsfrage. "Auch Seehofer hat kein Patentrezept", sagte er. "Niemand kennt den Knopf, auf den man drückt, und das Problem ist gelöst." Dennoch sei man nicht ohnmächtig. Von dem Krisengipfel der Großen Koalition an diesem Wochenende erwarte er konkrete Ergebnisse und wirkungsvolle Maßnahmen.

    Das Interview in voller Länge:
    Jochen Spengler: Wir bleiben beim Thema, das wir mit Thomas Strobl vertiefen wollen. Er ist der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende und er ist Chef des mächtigen CDU-Landesverbands Baden-Württemberg. Einen schönen guten Morgen, Herr Strobl!
    Thomas Strobl: Guten Morgen!
    Spengler: Die Kanzlerin, Herr Strobl, scheint ja derzeit sehr viel besser mit Sigmar Gabriel zu können als mit Horst Seehofer. Geht Ihnen das eigentlich auch so, dass Sie im Moment lieber mit den Sozialdemokraten zu tun haben als mit den CSU-Freunden?
    Strobl: Ganz ehrlich gesagt, das beschäftigt mich wenig. Wir haben da kein Wunschkonzert, sondern wir haben eine sehr, sehr ernste Lage. Wir haben eine ganz große Herausforderung zu bewältigen, das müssen wir gemeinsam tun. Wir haben das ja auch geschafft. In diesen Tagen tritt die größte Reform des deutschen Asylrechts seit den 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Kraft, das haben wir gemeinsam auf den Weg gebracht. Dieses Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz, wie es etwa sperrig und kompliziert heißt, ist ja in einer ganz, ganz großen Koalition im Deutschen Bundestag beschlossen worden. Der Bundesrat, die Länder haben ihre Zustimmung gegeben, und dieses Maßnahmenpaket entfaltet jetzt gerade in diesen Tagen seine Wirkung. Es muss jetzt von den Ländern umgesetzt werden.
    Wir müssen von den Geldleistungen wegkommen, stärker hin zu Sachleistungen, es müssen für abgelehnte ausreisepflichtige Asylbewerber die Abschiebungen durchgeführt werden - hier müssen die Bundesländer jetzt wirklich in die Gänge kommen -, und es gibt für ausreisepflichtige Asylbewerber ab sofort kein Geld mehr. Es gibt überhaupt keine Leistungen mehr - keine Sozialhilfe, keine Leistung nach dem Sozialgesetzbuch, keine Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz –, sondern sie erhalten nur noch das, was sie für ihre nackte Existenz gebrauchen, was sie zum Ausreisen brauchen. Und dieses Gesetzespaket, das ist jetzt in Kraft. Da haben wir auch ein paar Monate gebraucht, insbesondere weil wir eine Mehrheit im Bundesrat organisieren mussten, das heißt, wir brauchten auch die Zustimmung der Grünen, aber es ist gelungen. Und ich will das einfach einmal hervorheben, dass in einer so ernsten Lage wir doch in der Lage sind, 16 Bundesländer und der Bund, die Parteien von der CSU bis zu Teilen der Grünen dann eine solche Asylrechtsreform auch miteinander zu beschließen. Das war sicher nicht der letzte Schritt, das ist jetzt auch kein Allheilmittel, aber es entfaltet seine Wirkung, die Zahlen aus dem Westbalkan gehen deutlich zurück. Das war ein erster wichtiger Schritt, und weitere Schritte werden folgen müssen.
    Spengler: Sie haben völlig recht, Herr Strobl, die Politik ist nicht so hilflos, wie es manchmal erscheint. Das Asylbeschleunigungsgesetz wird morgen in Kraft treten, aber umso mehr müsste Sie doch der Streit, der unionsinterne Streit ärgern – er lenkt ab, er schadet doch der Union, er befördert die Angst im Land, dass es die Politik doch nicht schafft, oder?
    Strobl: Sie haben schon recht, ein bisschen ärgerlich ist das schon, dass dieses große Gesetzespaket, das jetzt erst beginnt, zu wirken, weil es jetzt erst in Kraft tritt, dann die Umsetzung durch die Bundesländer erfolgen muss, das ist natürlich etwas durch diese öffentliche Diskussion, möchte ich einmal sagen, in den Hintergrund getreten. Nichtsdestoweniger trotz haben wir diese große Asylrechtsreform - ich möchte das einmal noch hinzufügen –, die vielleicht noch vor einem halben Jahr völlig undenkbar gewesen wäre, dass wir mit Sozialdemokraten, mit Grünen gemeinsam eine solche Änderung des Sozialrechts und des Asylrechts hinbekommen, das tritt etwas in den Hintergrund. Ich muss anerkennen, dass die Bayern wirklich eine noch einmal schwierigere Situation haben, als das in den anderen Bundesländern der Fall ist.
    "Da hat ja niemand ein Patentrezept"
    Spengler: Aber verstehen Sie denn, was Horst Seehofer jetzt noch will, über das, was ja schon beschlossen ist, hinaus?
    Strobl: Nun, es ist zunächst einmal wirklich völlig normal und auch in Ordnung, dass wir angesichts der Größe der Herausforderung und der Schwierigkeit der Lage jeden Tag darum ringen, wie können wir diese Lage besser in den Griff bekommen. Da hat ja niemand ein Patentrezept.
    Spengler: Nee, das ist schon klar, aber verstehen Sie den Herrn Seehofer, was der möchte?
    Strobl: Es kann ja auch niemand ein Patentrezept haben, weil diese Lage hat es ja in dieser Republik, seit sie nun seit knapp 70 Jahren besteht, auch noch nicht gegeben. Ob wir jetzt jeden Streit öffentlich austragen müssen, ob wir das in, sagen wir mal, auch Tonalität machen müssen, wie sie derzeit geführt wird, das ist eine andere Frage, das merken wir ja auch bei den Umfragen, dass uns das schadet, so wie wir derzeit in der Unionsfamilie, vor allem in der Art und Weise, wie wir miteinander umgehen, das spüren wir dann in der Demoskopie. Die Zahlen für die Union geben nach unten nach, und das hat etwas mit diesem öffentlichen Streit zu tun.
    "Niemand kennt den Knopf, auf den man drückt, und das Problem ist gelöst"
    Spengler: Das ist klar, ich will Sie auch nicht aufs Glatteis führen, Herr Strobl, ich würde nur gerne von Ihnen wissen, ob Sie verstehen, was Herr Seehofer erreichen will?
    Strobl: Das ist ehrlich gesagt nicht so ganz klar, weil auch er hat ja kein Patentrezept anzubieten. Schauen Sie, das bayerische Kabinett hat einen Maßnahmenkatalog beschlossen, da kann man nur sagen, jeden Satz kann man unterschreiben. Ich würde mir wünschen, dass viele Bundesländer einen solchen Maßnahmenkatalog gegenzeichnen. Ich denke, dass es schon ganz richtig ist, dass am Wochenende noch einmal in den Koalitionsspitzen einfach, ich möchte mal sagen, ein reiner Tisch gemacht wird und abgeklopft wird, was an internationalen, europäischen und nationalen Maßnahmen kann ergriffen werden, wo können wir es noch ein bisschen besser machen. Die Wahrheit ist doch, niemand kennt den Knopf, auf den man drückt, und das Problem ist gelöst, sondern es sind sehr, sehr viele Schrauben auf unterschiedlichen Ebenen - Kommunen, Länder, Bund, Europa, internationale Maßnahmen -, die wir jetzt gleichzeitig drehen müssen. Es ist wie bei einer Orgel, wir müssen jetzt alle möglichen Register ziehen, und wir müssen wirklich in absehbarer Zeit alle, ich betone: alle Maßnahmen ergreifen, um den Zustrom von Flüchtlingen zu begrenzen und zu steuern.
    Spengler: Diese Worte, die da gefallen sind, Verfassungsklage, Notwehr, Ultimatum, alles Worte des CSU-Chefs, glauben Sie, dass die am Ende auf eine Spaltung der Union hinauslaufen, auf den Rücktritt der CSU-Minister oder möglicherweise sogar die Aufkündigung der Fraktionsgemeinschaft?
    Strobl: Nein, das glaube ich nicht.
    Spengler: Warum nicht?
    Strobl: Zunächst einmal weil ich davon ausgehe, dass wir am Wochenende und auch in der nächsten Woche gemeinsam Lösungen erarbeiten werden, hinter die sich die Unionsfraktion dann ganz, ganz einstimmig auch stellen wird.
    "Europa muss zwingend in die Gänge kommen"
    Spengler: Könnte es sein, dass Horst Seehofer einfach ein Signal von Frau Merkel möchte, nach dem Motto: Wir korrigieren unsere Haltung von vor zwei Monaten, wir heißen jetzt doch nicht mehr alle willkommen, wir zeigen der Welt ein hässliches Gesicht.
    Strobl: Die erste Frage ist, ob wir das überhaupt können, die Flüchtlingsströme gibt es ja. Und zum Zweiten: Ich hab nichts dagegen, dass Frau Merkel ein freundliches Gesicht hat angesichts der Herausforderungen, die wir in den nächsten Monaten, ja, vielleicht in den nächsten Jahren zu bewältigen haben. Der erste Punkt ist, Europa muss zwingend in die Gänge kommen. Es ist inakzeptabel, dass von 28 Staaten in der Europäischen Union zwei, drei Staaten Flüchtlinge aufnehmen und 25 machen sich einen schlanken Fuß. Da müssen wir wirklich ein paar harte Worte mit unseren europäischen Freunden sprechen - das macht im Übrigen besser mit einem freundlichen Gesicht. Wenn sich die Flüchtlingsproblematik nicht nur auf zwei, drei Staaten verteilt, sondern 28 europäische Staaten mithelfen, stellt sich die Thematik ja schon etwas ganz anders dar. Wir werden bei den Flüchtlingen, die da sind, und denen, die kommen werden, und vor allem bei denen, die längere Zeit hier im Land bleiben werden, ihnen sagen müssen, dass es bei uns ein paar Regeln gibt, die zwingend zu beachten sind, dass Sprachkurse nicht nur ein Angebot, sondern eine Verpflichtung sind, dass bei uns die Schulpflicht nicht nur für deutsche Kinder gilt, sondern auch für Kinder von Migranten, und anderes mehr. Auch diese Dinge tun wir besser mit einem freundlichen Gesicht.
    Mit dem Gesetz werde ein Signal gesendet
    Spengler: Aber wieso sagt Frau Merkel dann nicht einfach, wenn das doch die Union insgesamt befriedigen würde, ja, gut, alle Flüchtlinge der Welt können wir natürlich, werden wir natürlich nicht aufnehmen können?
    Strobl: Ich denke, ich habe einen solchen Satz von Frau Merkel sogar schon gehört. Wir müssen nur ein bisschen aufpassen und die Bundeskanzlerin muss ganz besonders vorsichtig sein, dass mit Sätzen, die in diese Richtung gehen, nicht sofort ein neuer Migrationsschub sozusagen in Kraft gesetzt wird, weil 100.000 Flüchtlinge dann sagen, oje, oje, bevor das in Deutschland nicht mehr geht, machen wir uns noch ganz schnell auf den Weg, um es nach Deutschland zu schaffen. Ich finde, dass wir mit dem Gesetz, das jetzt in Kraft tritt, bereits ein Signal senden, beispielsweise in den westlichen Balkan, das da lautet: Verkauft nicht euer Haus und euer Auto, um den Schlepper, um den Schleuser bezahlen zu können, denn ihr werdet sehr schnell wieder zurückgeführt werden, da, wo ihr herkommt, und es wird euch dann noch schlechter gehen, als es euch zuvor gegangen ist.
    Dieses Signal ist ja auf dem Westbalkan auch angekommen. Das kann man daran sehen, dass die Zahlen deutlich zurückgehen, und das kann man auch daran sehen, dass wir hören, dass die großen internationalen Schleuserorganisationen den Westbalkan aufgeben, sich sagen, das ist kein lukratives Geschäftsfeld mehr für uns, hier können wir kein Geld mehr verdienen. Und insofern sind wir auch nicht ohnmächtig, sondern wir haben durchaus die Möglichkeit, Maßnahmen zu ergreifen, und das müssen wir jetzt Stück für Stück weiter tun und auch die entsprechenden Signale in die Welt hinaussenden.
    Spengler: Herr Strobl, kurze Frage zum Schluss: Was erwarten Sie vom Koalitionsgipfel heute und morgen?
    Strobl: Ich erwarte, dass es ganz konkrete Ergebnisse gibt und dass wir weiter handeln und eine konkrete und gute Gesetzgebung und wirkungsvolle Maßnahmen ergreifen.
    Spengler: Das war der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende und Chef des CDU-Landesverbandes Baden-Württemberg, Thomas Strobl. Danke für das Gespräch!
    Strobl: Schönen Dank und einen guten Tag!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.