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Thüringen
Jede Menge Erbe

Die Wartburg bei Eisenach gilt als Sinnbild für die deutsche Burg schlechthin. Und nur wenige Kilometer entfernt im thüringischen Nationalpark Hainich kann man mitten in Deutschland durch einen Urwald spazieren. Beiden gemeinsam ist, dass sie zum UNESCO-Welterbe zählen.

Von Eva Firzlaff | 14.09.2014
    Die Wartburg Eisenach (Thüringen)
    Die Wartburg (picture-alliance/ dpa / Martin Schutt)
    "Das ist ein Minnelied des Herrn von Kürenberg, von dem wir nicht einmal den ganzen Namen wissen, gedichtet um 1160, eines der frühesten Beispiele des Minnesangs."
    Hans Hegner ist Minnesänger. Er hat mitgespielt, als im Jahr 2006 im Festsaal der Wartburg ein Sängerkrieg ausgetragen wurde - so, wie er sich vor 800 Jahren ereignet haben könnte. Gab es diesen legendären Sängerkrieg nun wirklich?
    "Es gibt zwei mittelalterliche Quellen, in denen ein Sängerkrieg auf der Wartburg beschrieben wird, mit teilweise historischen Minnesängern, aber auch welchen, die sonst unter den Minnesängern nicht auftauchen. Und von daher kann man schon annehmen, dass sich Wahrheit mit Sage schon im Mittelalter gemischt hat."
    Am Anfang waren die Minnesänger
    Aber Sängerwettstreite, die man geteiltes Spiel nannte, die hat es wohl schon seit Karl dem Großen gegeben, um 800. Die Wartburg ist Sinnbild für deutsche Burg und verkörpert 900 Jahre Geschichte. Burghauptmann Andreas Volkert:
    "Angefangen vom Minnesang, die Minnesänger Walther von der Vogelweide und Wolfram von Eschenbach waren nachweislich hier. Die Wartburg ist Wirkungs- und Lebensstätte der heiligen Elisabeth, der wohl bekanntesten Heiligen im deutschsprachigen Raum. Martin Luther war hier auf der Burg. Die berühmte Lutherstube, also den authentischen Wohn- und Arbeitsraum des Reformators sieht jeder Besucher im Anschluss an den Führungsrundgang, ein bisschen auch das Heiligtum der Wartburg. Nach Martin Luther wurde es dann allerdings still um die Wartburg. Sie hatte nicht mehr die große Bedeutung und verfiel sogar ein bisschen. Und dann kam Goethe 1777, er entdeckte die Burg, begann sie zu lieben und bewegte den damaligen Besitzer, das war der Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach Carl Alexander dazu, die fast verfallene Wartburg wieder zu beleben. Es wurde sehr aufwändig restauriert von 1838 bis 1890. Die Wartburg erhielt in dieser Restaurierungsphase des 19. Jahrhunderts quasi ihr heutiges Erscheinungsbild."
    Wagner setzte der Wartburg ein musikalisches Denkmal
    Der romanische Palas stammt zwar aus dem 12. Jahrhundert. Doch nur zum Teil wurde die Burg schlicht romanisch restauriert. Prunkstück ist der Festsaal. Große Wandgemälde zeigen, wie man sich Mitte des 19. Jahrhunderts Mittelalter und Sängerkrieg vorstellte.
    "Die Musik, mit der wir hier einmarschiert sind, die gehört eigentlich in diesen Saal. 'Freudig begrüßen wir die Halle' aus der berühmten Oper 'Tannhäuser' von Richard Wagner. Mit dieser Oper hat Wagner eigentlich der Wartburg schon ein musikalisches Denkmal gesetzt. Im Mittelalter sah der Saal, der auch als Festsaal genutzt wurde, natürlich völlig anders aus."
    Einst hatte der Saal eine flache Balkendecke, es gab wohl schon Fenster und 3 Kamine. Jetzt sorgt eine prächtige Kassettendecke für gute Akustik.
    "Der Bayernkönig Ludwig II. war hier 1867, sah die Wartburg, sah diesen Saal und war so fasziniert, dass er zwei Jahre später, nämlich 1869, den Grundstein legen ließ für seine Wartburg, das Schloss Neuschwanstein. Und diesen Saal gibt es auf Neuschwanstein noch einmal, dort heißt er Sängersaal, auf der Wartburg ist es der Festsaal."
    Ein Walwirbel als Luthers Fußbank
    Der vom Kaiser geächtete und vom Papst gebannte Martin Luther verbarg sich in der Vogtei der Wartburg. Als Junker Jörg lebte er in einem kargen Raum und übersetzte in nur zehn Wochen das Neue Testament ins Deutsche. Schon wenig später wurde die Lutherstube zur Pilgerstätte.
    "Authentisch ist hier der Walwirbel. Man weiß nicht so genau, wie er auf die Burg gekommen ist, eines steht fest, er diente Luther als Fußbank. Der Tisch ist nicht der, an dem Luther hier gesessen hat. Er stammt aus dem Familienbesitz der Luthers. Man hat den originalen Luthertisch im 19. Jahrhundert durch diesen ersetzen müssen, weil der originale den Souvenirjägern zum Opfer gefallen ist, genau wie der Tintenfleck. Denn man hatte die Vorstellung, ein Holzspan des Luthertisches der Wartburg ist hilfreich bei Zahnschmerzen."
    Und von wegen Tintenfleck. Luther hat den Teufel mit Tinte bekämpft, eben indem er schrieb. Daraus wurde die Geschichte mit dem Tintenfass, das er nach dem Teufel geworfen haben soll. Da, wo mal ein dunkler Fleck war, ist der Putz gründlich von der Wand gekratzt. Doch das war gar keine Tinte.
    "An der Stelle stand ein Kamin, der hat gerußt. Also der Fleck war Ruß, keine Tinte. Aber jeder glaubte an die Geschichte und nahm ein Souvenir mit, ein Stück Putz mit Tinte von Luther. Und weil die Nachfrage so groß war, wurde dieser Tintenfleck bis ins vorige Jahrhundert sogar noch regelmäßig erneuert."
    Einer der letzten Buchenwälder
    Von der Wartburg bei Eisenach sind es nur zehn Kilometer bis an den Rand des Hainich, seit drei Jahren Teil des Weltnaturerbes "Alte Buchenwälder Deutschlands". Teile dieses Waldgebietes waren etwa 150 Jahre lang Truppenübungsplatz, dort kam kein Waldarbeiter rein.
    "Er hat, obwohl er der drittkleinste Nationalpark in Deutschland ist, die größte ungenutzte Laubwaldfläche in ganz Deutschland. Und was das Welterbe ausmacht, ist die besondere Besiedlungsgeschichte durch die Buche. Man spricht ja beim Welterbe von diesem outstanding universal value, also dieser besondere universelle Wert. Und das Besondere ist, dass es die Buche als Baumart geschafft hat, innerhalb relativ kurzer Zeit, in 4.000 bis 5.000 Jahren, große Teile Mitteleuropas zu erobern und zu dominieren. Und das ist eine weltweit einmalige Geschichte. "
    Nationalpark-Leiter Michael Großmann: Hätte der Mensch nicht schon im Mittelalter eingegriffen, würde es in ganz Deutschland so aussehen wie hier im Hainich.
    Buche im Herbst
    Buche im Herbst (AP)
    "Deutschland wäre von Natur aus ein Waldland und dominieren wäre die Rotbuche. Heut ist von diesem nahezu 100 Prozent Wald nur ein Drittel übrig geblieben. Und dieses Drittel ist komplett verändert worden."
    Man hat abgeholzt und schnell wachsende Kiefer und Fichte gepflanzt, möglichst in ordentlichen Reihen. Es gibt noch einige wenige Buchenwälder, zum Beispiel nördlich von Berlin und auf der Insel Rügen. Der Hainich ist der letzte große und eben ungenutzt. Ein kleiner Urwald mitten in Deutschland mit uralten und riesengroßen Eichen und Buchen. Wobei man auch den Kampf beobachten kann zwischen Eiche und Buche, weil eben die Natur sich selbst überlassen bleibt.
    Wandern auf dem Saugrabenweg
    "Die Eiche schafft es nicht, sich im Alter noch mal auszudehnen, erreicht nicht die Höhen. Das heißt, sie wird dann von den jungen Buchen, von Eschen und Bergahorn überwachsen, ihr wird das Licht genommen. Und sie wird dann über kurz oder lang eingehen, weil sie eben sehr lichtbedürftig ist."
    Was umfällt, bleibt liegen, hellgrünes Moos macht sich breit auf dem Stamm. Neue Bäumchen kriegen Platz und Licht.
    "Bei einer Eiche muss man von 100 Jahren ausgehen, bis sie einigermaßen verschwunden ist. Also so eine dicke Eiche kann wirklich 100 Jahre liegen und man sieht sie immer noch."
    Etliche Wanderwege durchziehen den Hainich. Einer geht auch durch die Kernzone.
    "Das ist der Saugrabenweg. Der Ausgangspunkt südlich von Kammerforst. Hat eine Länge von zehn Kilometern und eignet sich wunderbar, um die verschiedenen Lebensräume des Nationalparks vom Offenland über Jungwald zum Altwald kennenzulernen. Und vor allem eben Bestände zu durchlaufen, die ein Gefühl vermitteln, was es heißt, Urwald mitten in Deutschland."
    Wandeln auf dem Baumkronenpfad
    Und man kann auch in die Höhe gehen. Im Hainich steht einer der ersten Baumkronenpfade Deutschlands. Der Betonturm hat etwa die Figur eines Wasserturms. In zehn Metern Höhe führt ein Holzsteg weg vom Turm, schlängelt sich durch den Wald und kommt in 24 Metern Höhe wieder zum Turm. Schlanke Stahl-Stützen tragen den Holzpfad, die sind so geschickt in den Wald eingepasst, als seien sie zusammen mit den Bäumen dort gewachsen. Vom Erdboden hoch in die Baumkronen gucken – das kann man in jedem Wald, von oben auf einen Wald runter zu gucken, dafür braucht man schon einen Berggipfel oder Aussichtspunkt, ist aber auch nicht so einmalig. Doch das Erlebnis, sich empor zu arbeiten vom Stamm, durch die Krone bis darüber, das ist es schon. An diesem Baumkronenpfad stehen elf verschiedene Baumarten. Im Frühjahr ein besonderes Erlebnis, meint der Förster Jens Wilhelm.
    "Weil man tatsächlich hier oben die Chance hat, hautnah blühende Bäume zu erleben. Wer kennt schon die Blüten einer Buche oder den Unterschied zwischen der Rotbuche und der Hainbuche, den man hier an den Blüten richtig plastisch auch erkennen kann. Und wenn dann auch etwas später noch die Linden dazu kommen, kann man die Blüten nicht nur sehen, sondern auch den Duft erleben, richtig in den Baumkronen. Das ist einfach eine tolle Möglichkeit, mit einer ganz anderen Perspektive Wald zu erleben."
    Und die Vögel zwitschern nicht irgendwo in der Ferne, sondern gleich neben dem Ohr.
    "Wenn man bedenkt, es waren zwei ehemalige militärische Übungsplätze ohne jegliche Infrastruktur, selbst in Thüringen und bei den Anwohnern mehr oder weniger unbekannt, war er über Jahrzehnte nicht zu betreten. Der Hainich lag 40 Jahre lang im Schatten der innerdeutschen Grenze. Und als wir 2011 Welterbe geworden sind, war das sozusagen die Krönung dieser Entwicklung. Also innerhalb kürzester Zeit, in 15 Jahren vom militärischen Übungsplatz zum Welterbe, das ist schon erstaunlich."