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Thüringen
Kinoerlebnisse jenseits des Mainstreams

In Thüringen hat sich 25 Jahre nach dem Mauerfall eine vielfältige Kinolandschaft etabliert. Jenseits der großen Hollywoodstreifen wird den Menschen anspruchsvolles Programmkino geboten. Das ist vielfach jedoch nur mit staatlicher Förderung möglich.

Von Henry Bernhard | 26.12.2014
    Kino Zoo-Palast Berlin
    In Thüringen gibt es eine lebendige Programmkino-Szene. (picture alliance / ZB / Jens Kalaene)
    Thüringen, das Land der Schlösser und Residenzen, der Theater und Opernhäuser, der Parks und der Musikfestivals ist überreich an Kultur. Den Haushältern der vergangenen 25 Jahre war das teure Erbe oft ein Fluch. Einige Orchester haben den Übergang von der armen DDR in die reiche Bundesrepublik nicht überstanden, einige Bühnen mussten fusionieren. Doch im Kern hat die reiche Kulturlandschaft den Übergang geschafft. Auch die meist wenig beachteten Kinos.
    Weimar, etwas abseits der Innenstadt, aber doch nur zehn Minuten zu Fuß, im historischen Straßenbahndepot. Sven Opel poltert die Treppe hinab, an der schicken Kino-Bar vorbei, durch einen schmalen Gang in den Kinosaal. Das Lichthaus-Kino. "Also, zum Anfang standen da zwei Übersee-Container, die sind dann 2012 rausgekommen. Abgesehen davon, dass das Sitzpodest früher aus Euro-Paletten gebaut war, wo die ersten Stühle draufgestanden haben, das hat sich schon ein bisschen geändert. Aber sonst ist das unser Raum, der erste", sagt Opel.
    Blaue Kinostühle
    Eine sehr große Leinwand ist an der Frontseite aufgespannt, die rohe Klinker-Außenwand ist mit Stoffbahnen verhängt. Fünf Reihen blauer Kinostühle, davor eine lockere Mischung aus Sesseln und Sofas. Opel: "Wir haben aber ganz schnell mitgekriegt, dass wir diese Sessel und Couches nicht rausnehmen dürfen. Weil, komplett durch alle Altersschichten von Leuten, die finden das super so, die finden das schön. Die dürfen wir nie rausnehmen." Sven Opel hat das Kino mit einem Freund aufgebaut. Drei Säle. Mehr passt nicht in das alte Depot. Alles haben sie improvisiert, nebenbei gejobbt, um sich das Kino leisten zu können. Arthouse-Kino jenseits des öden Hollywood-Mainstreams der Sequels, Prequels und Remakes. Kino für Erwachsene. Ohne Popcorn, ohne Werbung. Elf Filme pro Tag.
    Das Lichthaus-Kino steht für einen Neuanfang in der Thüringer Kinolandschaft. Bis 1990 gab es viele Kinos, auch in den Kleinstädten. Der Eintritt war billig, die Technik alt, die Filmauswahl dürftig. Viel DEFA, wenig Ausländisches. Zudem gab es in einigen Städten regelmäßig Kinoklubs. In Erfurt öffnete 1975 eines der ersten Klubkinos der DDR, geleitet seit 1982 von Dagmar Wagenknecht. Ende 1989, erzählt sie, blieben die Kinos erst einmal leer. Doch dann öffnete sich die ganze Kinowelt und die Leute strömten zuhauf. Aber bald, 1990/91, ging es ums Geld. Wagenknecht: "Und diese Bezirksfilmdirektion, wo alle Kinos im Bezirk Erfurt drin waren, die hat ihre Kinos verkauft, und die sind ja alle praktisch an die Ketten gegangen, also zehn an die UFA, zehn an Kieft, und welche aus dem Osten, die haben überhaupt keine Chance gehabt."
    Große Ketten beißen Konkurrenz weg
    Andere Kinoleute erzählen - ohne Mikrofon -, dass die großen Ketten nicht nur die Kinos in den großen Städten aufgekauft, sondern jede Konkurrenz weggebissen hätten. Dagmar Wagenknecht mit ihrem Filmklub mit 50 Plätzen war für die allerdings uninteressant: "Ja, und da wusste ich genau: Mit diesem besonderen Programm, das kann nicht privat funktionieren. Und da gab es da diese glücklich Fügung mit der Initiative Kommunales Kino Erfurt. Denn ich hatte ein Kino und keinen Verein, und die hatten einen Verein und kein Kino."
    Mit viel staatlicher Förderung konnte sie ihr Klub-Kino modernisieren und Leute beschäftigen, mittlerweile arbeiten meist Ehrenamtliche für ein Taschengeld, um täglich drei bis vier Vorstellungen mit anspruchsvollen Filmen zu ermöglichen. Auch die Stadt fördert das Kino. Ein wirklich kommunales Kino gibt es nur noch in Weimar - geleitet von Edgar Hartung, der in den 80er Jahren bei Dagmar Wagenknecht als Filmvorführer angefangen hat. "Wir zeigen sehr viel für Kinder und Jugendliche, das ist auch so ein Auftrag, den wir von der Stadt haben, wir machen Filmreihen, das macht natürlich Kino aus. Und das ist nach wie vor so spannend wie vor 25 Jahren. Es ist nicht berechenbar. Und wenn die Kinobesucher berechenbar wären, dann würde es keinen Spaß mehr machen", sagt Hartung.
    Sinkende Zuschauerzahlen
    In seinem gut ausgestatteten Kino in Weimars Zentrum sinken die Zuschauerzahlen, denn die Konkurrenz ist groß: Fast ein Dutzend Leinwände in einer kleinen Stadt. Im Lichthaus-Kino aber kommen immer mehr Zuschauer. Knapp 50.000 im Jahr. Das Programm ist vielfältig, und nach zehn Jahren haben Sven Opel und sein Kompagnon es endlich geschafft, nicht nur Studenten und junge Leute, sondern auch die bürgerliche Mitte anzulocken, der amerikanisches Kino-Fastfood zu öde ist, die aber dennoch nicht immer nur den Faust im Nationaltheater sehen wollen. Opel: "Und das erreicht man durch die Art Filme, die wir dann zeigen. Dann ist eben auch eine Art Film dabei, der vielleicht eher leichter, der aber trotzdem gut ist: Woody Allen funktioniert, passt. Es gibt auch Filme, wo wir sagen: Da wissen wir, es kommen zehn Leute. Wenn zehn Leute kommen, dann ist es super, aber der muss einfach gezeigt werden."
    Ein ähnliches Kino gibt es in Jena, ein weiteres hat gerade in Gera wiedereröffnet - nach Jahren des Dornröschenschlafs. Wer also in Thüringen entlang der Städtekette an der A4 wohnt, hat gute Chancen, anspruchsvolles Kino und Popcornkino zu erleben. Weiter im Norden oder im Süden sieht es schlechter aus. In Kleinstädten bleibt dann nur der Fernseher oder das Auto in die nächste oder auch übernächste Stadt.