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Thüringens Innenminister schlägt zentrale Kontrolle von V-Leuten vor

V-Leute, also verdeckte Ermittler, sollten künftig von einer zentralen Stelle aus gelenkt werden, schlägt der thüringische Innenminister Jörg Geibert mit Blick auf die Pannenserie der Verfassungsschutzämter vor. 18 Stellen kümmerten sich zurzeit um die V-Leute - dort müsse Kompetenzwirrwarr entstehen.

Das Gespräch führte Jasper Barenberg | 20.07.2012
    Jasper Barenberg: Ein Abgrund tut sich auf, wo auch immer Untersuchungsausschüsse derzeit den Blick auf Arbeitsweise und auf Organisationen von Verfassungsschutzbehörden richten. Desaströse Verhältnisse allenthalben: Bunkermentalität, Betriebsblindheit und ein ungebrochener Dünkel bei so manchem leitenden Beamten, der nicht nur Abgeordnete in Untersuchungsausschüssen fassungslos macht. Eine Aufforderung aus dem Bundestag ist nötig inzwischen, damit auch Beamte im Innenministerium damit aufhören, ihren Schredder mit sensiblen Akten zum Rechtsextremismus zu füttern. Dass es einen grundlegenden Neustart für die Verfassungsschutzbehörden in Deutschland geben muss, das bestreitet inzwischen niemand mehr. Was aber verändert werden soll, ist bisher noch nicht recht zu erkennen. Eine Antwort darauf zu finden, gehört auch zu den Aufgaben von Jörg Geibert, denn der CDU-Politiker ist Innenminister von Thüringen und jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen.

    Jörg Geibert: Guten Morgen, Herr Barenberg.

    Barenberg: Herr Geibert, seit gestern ist die Empörung ja noch einmal groß: Es gibt einen weiteren Vorgang von Aktenvernichtung, auch angeordnet, nachdem die Mordserie der rechtsextremen Terrorzelle NSU gerade aufgeflogen war. Sind wir, Herr Geibert, am Tiefpunkt angelangt, oder müssen wir uns noch auf mehr einstellen?

    Geibert: Ich hoffe, dass wir am Tiefpunkt angelangt sind. Es hat ja jetzt schon eine Dimension erreicht, die man selbst in kühnsten Erwartungen nicht für möglich gehalten hätte.

    Barenberg: Wie würden Sie die beschreiben, diese Dimension?

    Geibert: Ja es ist eigentlich der totale Vertrauensverlust, der eingetreten ist, weil Seriosität der Verwaltung eine Kernaufgabe auch des Verfassungsschutzes ist, und offensichtlich ist dort an der Stelle erheblich geschlampt worden.

    Barenberg: Der Ausschussvorsitzende im Bundestag, Sebastian Edathy von der SPD, spricht mit Blick jedenfalls auf die bekannte Aktenvernichtungsaktion im Bundesamt von "gezielter Vertuschung". Sind wir also an dem Punkt, dass wir davon ausgehen müssen, dass es Beamte gibt in diesen Ämtern, die die Öffentlichkeit bewusst täuschen, die Vorgänge bewusst verschleiern wollen?

    Geibert: Diese Einschätzungen kann ich so nicht teilen, da fehlt mir schlichtweg die Kenntnis der detaillierten Vorgänge dazu. Aber was man natürlich feststellen muss, das ist selbstverständlich, dass in Verfassungsschutzämtern mit einer ganz bestimmten Philosophie vorgegangen wird, und ich denke, die muss dringend überdacht werden.

    Barenberg: Was ist das für eine Philosophie, die jetzt dringend korrigiert werden muss?

    Geibert: Die Philosophie beginnt ja eigentlich mit dem Obersatz, "Information nur dann, wenn es zwingend sein muss", und ich denke, das ist nicht die Kernaufgabe des Verfassungsschutzes. Sicherlich muss der Verfassungsschutz Informationen sammeln, er muss Informationen, die mit nachrichtendienstlichen Mitteln erlangt sind, auch ihrer Geheimhaltung entsprechend bewerten und verwahren, aber er hat die Aufgabe, aktiv unsere Verfassung zu schützen. Das heißt, er muss also auch in die Gesellschaft hineinwirken, er muss in die Politik hineinwirken.

    Barenberg: Und das heißt für die Zukunft, um mal zu einem Punkt zu kommen, wie die Zukunft aussehen könnte, mehr Transparenz? Wie könnte die aussehen?

    Geibert: Mehr Transparenz, denke ich, ist dringend erforderlich. Der Verfassungsschutz muss, meine ich, in die Öffentlichkeit hineintreten, er muss seine Informationen in noch größerem Umfang zugänglich machen. Es muss aber auch mehr Transparenz hergestellt werden gegenüber den parlamentarischen Kontrollgremien.

    Barenberg: Sie haben mit Blick auf die Verhältnisse in Ihrem Land davon gesprochen, dass es erhebliche strukturelle und organisatorische Baustellen gibt und Schwachstellen, die Sie nie für möglich gehalten hätten. Welche fallen denn da, was Thüringen jetzt angeht, am meisten ins Gewicht?

    Geibert: Am gravierendsten hat mich beschäftigt, dass die an sich sowohl im Gesetz, als sich auch aus der Verfassung ergebende Zusammenarbeitspflicht ganz offensichtlich in Praxis nicht in dem Maße stattgefunden hat, wie man sich dies wünscht. Die Verfassungsschutzämter haben in großen Teilen nebeneinander gearbeitet. Etwa im Bereich der Anwerbung und der Führung von V-Leuten ist es feststellbar, dass unterschiedlichste Dienste im gleichen Phänomenbereich aktiv waren, und das nicht hinreichend abgestimmt.

    Barenberg: Und jetzt haben Sie den Vorschlag gemacht, dass in Zukunft V-Leute nur noch vom Bundesamt für Verfassungsschutz geführt werden sollten. Ist das auch das Eingeständnis, dass die Beamten in Thüringen jedenfalls nicht in der Lage sind, solche Operationen durchzuführen?

    Geibert: Diese Bewertung würde ich damit nicht verbinden, ich würde diese Bewertung auch für andere Bundesländer nicht damit verbinden. Aber ich denke, es ist ein großes Problem, dass im Moment 18 Dienststellen parallel mit dem Führen von V-Leuten beschäftigt sind, das Bundesamt, der MAD und 16 Landesämter. Dort muss Kompetenzwirrwarr entstehen und ich würde deshalb gerne vorschlagen und mit meinen Kollegen entsprechend erörtern, dass V-Leute künftig nur noch an einer Stelle angeworben und geführt werden.

    Barenberg: Und wenn man voraussetzt, dass das die wichtigste Beschäftigung, die wichtigste Tätigkeit von Landesverfassungsschutzämtern ist, ergibt sich daraus auch gleich, dass Ämter kleinerer Länder zumal zusammengelegt werden müssten?

    Geibert: Diese Forderung würde ich daraus jetzt nicht dringend ableiten wollen. Das Führen von V-Leuten ist sicher eine ganz zentrale Aufgabe, ist ein ganz zentrales Mittel des Verfassungsschutzes, an Informationen zu gelangen, aber alle Verfassungsschutzgesetze geben an sich vor, dass sich der Verfassungsschutz aus öffentlich zugänglichen Quellen auch zumindest mal in der Fläche breit informieren muss. Das geschieht regional verteilt, denke ich, am besten. Man kann also regional verteilt die Informationen am sinnvollsten einsammeln.

    Barenberg: Nun hat der Bundesinnenminister, Hans-Peter Friedrich, ja schon gesagt, dass er das genau machen will, nämlich die Zentralstellenfunktion des Bundesamtes stärken. Was anderes könnte sich dahinter verbergen als die Absicht, Landesämter zusammenzulegen?

    Geibert: Es sind ja mehrere Diskussionsmodelle im Moment auf dem Markt. Das eine Modell ist das Auflösen aller Landesämter, Schaffen eines Bundesamtes mit Außenstellen. Das zweite Modell, was auf dem Markt ist, ist das Zusammenlegen von kleineren Landesämtern. Etwa eine dritte Möglichkeit wäre es, diese Struktur, die wir haben, durchaus als Struktur zu belassen, aber inhaltlich drastisch zu ändern. Das wäre der Vorschlag, dem ich mich nähern würde, und würde sagen, wir müssen Aufgaben konzentrieren.

    Barenberg: Aber wenn Sie sagen, die Kommunikation, die Abstimmung untereinander war in der Vergangenheit das Problem, dann behalten wir das Problem doch auch in der Zukunft.

    Geibert: Also es ist immer schwierig, sich zwischen Teufel und Beelzebub in gewissem Sinne zu entscheiden. Aber wenn man Ämter zusammenlegt und Landesämter entstehen, die für mehrere Länder zuständig sein werden, ergibt das schwierige Kompetenzfragen bis hin zu schwierigen Kontrollfragen. Welches parlamentarische Kontrollgremium von welchem Land übt dann die Kontrolle über dieses Amt aus? Wer führt die Dienstaufsicht? Wer steht für Fehler von Handelnden im anderen Bundesland ein? Diese Folgen muss man natürlich übersehen.

    Barenberg: Ein letzter Punkt noch. Bundesinnenminister Friedrich hat auch gesagt, Eckpunkte für eine Reform will er im Herbst vorlegen. Haben wir so viel Zeit, angesichts der drängenden Probleme, die gerade offenkundig werden?

    Geibert: Ich denke, man muss das, was heute erkennbar ist, auch zeitnah anfassen und man muss sich aber auch die Zeit nehmen, um über tiefgreifende Strukturänderungen einen Moment länger nachzudenken. Die Erwartung in der Öffentlichkeit ist sicher groß, weil ein Vertrauensverlust in dem Umfang nach konsequentem Handeln und Maßnahmen schreit. Deshalb, denke ich, muss man zweigleisig vorgehen. Es gibt schnell umzusetzende Maßnahmen und es gibt intensiver zu diskutierende und auch gesetzgeberisches Handeln voraussetzende Maßnahmen, die zeitlich da nur nachfolgen können.

    Barenberg: ... , sagt der CDU-Innenminister von Thüringen. Vielen Dank für dieses Gespräch, Jörg Geibert.

    Geibert: Ich danke Ihnen, Herr Barenberg.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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