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Tierseuche in Bulgarien
Aufstand der Hirten

In Bulgarien ist ein bislang in der EU nicht aufgetretener Pesterreger bei Schafen und Ziegen festgestellt worden. Die Behörden haben eine umfassende Quarantäne verhängt und töten erkrankte Tiere. Hirten und Bauern beklagen Willkür, fürchten um ihre Existenzgrundlage und reagieren mit Protesten.

Von Srdjan Govedarica | 13.09.2018
    Hirte mit Hausschafen und Hausziegen, bei Pleven, Bulgarien / picture alliance / Arco Images GmbH | Verwendung weltweit
    Angst vor der Pest und vor den Behörden: Hirte in Bulgarien (picture alliance / Arco Images GmbH)
    Ana Petrova ruft ihre Schafe zusammen. Es ist früher Abend und die Tiere sind hungrig. Sie stürzen sich auf das duftende Heu, das Ana in den Trögen verteilt hat.
    Routine im Landwirtschaftsbetrieb könnte man meinen - doch für Schafshirten im Südosten Bulgariens verläuft dieser Sommer alles andere als normal. Auch für Ana.
    "Seit 65 Tagen leben die Tiere, sie haben keine Symptome, ich habe auch keine kranken Tiere, seit 65 Tagen."
    Pest-Ausbruch bei bulgarischen Schafen und Ziegen
    Ana lebt im äußertsen Südosten Bulgariens, im Ort Boljarovo. In der Gegend ist Ende Juni die so genannte Pest der kleinen Wiederkäuer ausgebrochen. Eine ansteckende und tödliche Krankheit für Schafe und Ziegen, die in der EU bislang noch nicht vorgekommen ist und möglicherweise über die Türkei nach Bulgarien gekommen ist. Auch bei zwei von Anas Schafen besteht der Verdacht auf diese Krankheit. Das sollen Bluttests ergeben haben.
    Ana zeigt auf das Protokoll mit den Ergebnissen der Bluttests. Es ist an mehreren Stellen fehlerhaft, sagt sie. Daten stimmen nicht, an einer Stelle ist von Ziegen die Rede, obwohl sie nur Schafe hat. Das Dokument haben mehrere Tierärzte unterzeichnet, ihre Unterschriften sehen sich verdächtig ähnlich. Ana wird misstrauisch. Weil sie ihre Tiere für gesund hält, verweigert die 41-jährige den Behörden den Zutritt zu ihrem Hof.
    "Ich habe sie nicht mehr reingelassen. Denn ich hatte schon meine Zweifel an ihren Handlungen."
    Checkpoints und Protest gegen Massentötungen
    Seit mehr als zwei Monaten hält Ana zusammen mit Freunden und Nachbarn Wache vor ihrem Hof -Tag und Nacht. Sie schlafen in Zelten und haben eine Art Checkpoint vor dem Hof aufgebaut. Ana hat Angst, dass es ihr so ergehen könnte wie fast allen Landwirten im benachbarten Dorf Sharkovo. Dort sind bereits fast 2.000 Schafe und Ziegen auf Geheiß der Behörden getötet wurden.
    Landwirtin Dojka Panajotova fährt mit ihrem zerbeulten Geländewagen zu einer Anhöhe wenige Hundert Meter entfernt von dem Ortsausgang.
    Dojka Panajotova steigt aus und zeigt auf einen meterlangen Haufen aufgeschütteter lehmiger Erde, die sich vom satten Grün des Grases absetzt.
    "Hier sind meine 700 Tiere begraben."
    Dojka Panajatova fällt es schwer, über die Geschehnisse des Juli zu sprechen. Nach dem Ausbruch der Seuche wurden ihre Tiere untersucht, Blutproben wurden entnommen:
    "Mir wurde gesagt, von meinen 700 seien 20 krank. Aber ich wollte ein Papier sehen. Und ich wollte, dass man mir sagt, welche der Tiere krank sind. Ich konnte sie nicht erkennen, sie sahen alle gleich gesund aus. Aber ich habe gar kein Papier gesehen, mir wurde nichts gezeigt."
    Existenzangst bei den Landwirten - trotz Entschädigung
    Wie viele im Dorf erfährt Dojka Panajatova erst am Abend davor, dass ihre Tiere getötet werden sollen. Auch dazu bekommt sie nichts Schriftliches, anderen Landwirten aus dem Dorf geht es genauso. Dojka Panajatova macht bei einer Protestaktion mit, blockiert die Hauptstraße, versucht, ihre Tiere zu retten. Doch Polizei und Tierärzte nehmen Schleichwege, besetzen ihren Hof und töten in einer Zehnstundenaktion alle 700 Schafe und Ziegen:
    "Pat! Pat! Pat! Sie haben eine Art Pistole benutzt."
    Neben dem Trauma, ihre Tiere verloren zu haben, plagen Dojka Panajatova finanzielle Sorgen. Umgerechnet 95 Euro pro Tier hat man ihr als Entschädigung versprochen, das ist etwas weniger als der aktuelle Marktpreis. Dabei hat sie gerade einen Kredit aufgenommen, um ihren Hof zu modernisieren:
    "Wir haben alles verloren, ich weiß nicht, was ich mit diesem Geld anfangen soll, ob ich meinen Lebensunterhalt damit bestreiten soll, oder Versicherungen bezahlen oder den Kredit tilgen soll. Ich weiß wirklich nicht, wie ich jetzt weitermachen soll."
    Behörden handeln "im Einklang mit Vorschriften"
    In der zuständigen Agentur für Nahrungssicherheit in Sofia spricht Aleksandra Miteva von einer ernsten Krise, die noch nicht ausgestanden sei. Bulgarien verfahre hier streng im Einklang mit nationalen und internationalen Vorschriften. Und diese besagen, dass alle erkrankten Tiere und alle, die mit ihnen im Kontakt waren, getötet werden müssen. Außerdem sei über die Region eine Quarantäne bis zum Ende des Jahres verhängt worden, bis dahin werde man die dortigen Tiere engmaschig untersuchen.
    Für die Sorgen der Bauern habe sie Verständnis, das Vorgehen der Behörden im Dorf Sharkovo hält sie für angemessen, sagt Aleksandra Miteva. Sie widerspricht den Klagen der Bauern, sie seien unzureichend informiert worden und betont, dass sie großzügig entschädigt worden sind. Protestaktionen, wie die von Ana Petrova seien nichts anderes als kontraproduktiv:
    "Wenn das aber so weiter geht und wir in unseren Bemühungen weiterhin behindert werden, müssen wir diese Quarantäne-Frist verlängern. Wenn das weiter so geht, wird sie verlängert."
    Auch Ana Petrova wünscht sich, dass irgendwann wieder Normalität einkehrt. Ihre Tiere sind zur Zeit ständig im Gatter eingesperrt und verbrauchen das Winterfutter, weil sie nicht auf den Wiesen grasen dürfen. Mit den Behörden will Ana Petrova aber dennoch nicht zusammenarbeiten:
    "Keine Ahnung, wie es jetzt weitergehen soll. Das ist eine richtige Qual schon. Denn meine Tiere dürfen nicht raus. Warum ich sie nicht reinlasse? Weil ich nicht sicher bin, dass sie die Ergebnisse nicht manipulieren."