Freitag, 29. März 2024

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Tierwohl-Kennzeichnung
"Es nützt nichts, wenn wir freiwillig weitermachen"

Die CSU-Politikerin Marlene Mortler plädiert für ein verpflichtendes staatliches Tierwohl-Label und widerspricht damit Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU), die auf eine freiwillige Kennzeichnung setzt. Bauern wie Verbraucher bekämen so mehr Klarheit und Transparenz, sagte Mortler im Dlf.

Marlene Mortler im Gespräch mit Jasper Barenberg | 02.07.2019
08.05.2019, Berlin: Marlene Mortler, Drogenbeauftragte der Bundesregierung, stellt in der Bundespressekonferenz den Alkoholsurveys 2018 vor. Foto: Paul Zinken/dpa | Verwendung weltweit
Marlene Mortler, CSU, war bisher die agrarpolitische Sprecherin der Union im Bundestag. Jetzt vertritt sie ihre Partei im EU-Parlament. (dpa / Paul Zinken)
Jasper Barenberg: Wer Fleisch im Supermarkt kauft, der soll in Zukunft mehr darüber erfahren können, unter welchen Bedingungen die Tiere gehalten wurden, und zwar von der Geburt bis zur Schlachtung und wo man am ehesten von einer artgerechten Haltung ausgehen kann. Seit Monaten bereitet Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner dazu ein staatlich verbürgtes Siegel vor, in drei Stufen und - wichtig - freiwillig und zunächst nur für Schweinefleisch. Inzwischen aber hat die SPD Widerstand gegen die Pläne angekündigt. Die Sozialdemokraten fordern eine strengere und für alle verpflichtende Kennzeichnung, und dafür macht sich auch die CSU-Politikerin Marlene Mortler stark. Sie war bisher die agrarpolitische Sprecherin der Union im Bundestag. Ab heute vertritt sie ihre Partei im Europäischen Parlament und deshalb erreichen wir sie heute Morgen auch in Straßburg. Guten Morgen, Frau Mortler.
Marlene Mortler: Guten Morgen! Ich grüße Sie!
Barenberg: Am Wochenende haben Sie gesagt, die Verbraucherinnen und Verbraucher erwarten zurecht, dass wir endlich konsequent handeln. So Ihre Wortwahl. Wo verfehlt Landwirtschaftsministerin Klöckner dieses Ziel?
Mortler: Ich glaube, wir sollen den Blick nicht auf Frau Klöckner richten, sondern wir sollten den Blick auf unsere Bäuerinnen und Bauern richten und auf unsere Verbraucherinnen und Verbraucher, und wir sehen, dass aktuell viel zu viele Siegel – ich spreche immer von "Siegelitis" – den Markt überschwemmen und der Verbraucher immer weniger eine transparente, eine gute Entscheidung treffen kann. Deshalb ist es aus meiner Sicht überfällig, jetzt die Chance zu nutzen und zu sagen, der Handel ist mit seiner Tierhaltungskennzeichnung vorangegangen, es nützt jetzt nichts, wenn wir freiwillig weitermachen, sondern jetzt haben wir die einmalige Chance, eine staatliche Tierwohl-Kennzeichnung auf den Weg zu bringen, und zwar eine verpflichtende.
Barenberg: Aber in dem Punkt – das können wir festhalten an dieser Stelle – widersprechen Sie schon der war bisher die agrarpolitische Sprecherin der Union im Bundestag. Ab heute vertritt sie ihre Partei im Europäischen ParlamentKlöckner, denn für eines ist sie ja bekannt, dass sie immer und ausschließlich auf eine freiwillige Kennzeichnung gesetzt hat und dabei auch im Moment bleibt. Da widersprechen Sie ihr mit Nachdruck?
Mortler: Wir sollten auf alle Fälle jetzt nicht gegeneinander, sondern miteinander versuchen, die Sommerpause zu nutzen, um schneller an das Ziel zu kommen – und das ist ja das gemeinsame Ziel, ein verpflichtendes staatliches Tierwohl-Label einzuführen -, weil wir dann breiter im Markt sind, weil wir die Chance haben, eine hohe Marktdurchdringung zu erlangen. Ansonsten bleibt womöglich ein freiwilliges Kennzeichnen wieder bei wenigen Verbrauchern hängen und am Ende ist wieder weniger Transparenz auf dem Markt, und das ist ja unser Ziel, Verbesserung im Tierwohl, mehr Transparenz, das heißt eine echte Entscheidungshilfe für die Verbraucherinnen und Verbraucher und vor allem, wenn man so will, auch für die Tiere und Tierhalter, damit auch die endlich mehr Sicherheit haben.
"Macht eurem Bundesfinanzminister Beine"
Barenberg: Jetzt haben Sie gesagt, Ihre Absicht ist es zu erreichen, dass man schneller ans Ziel kommt. Jetzt sagte Frau Klöckner ja in Erwiderung auch gegen die Kritik, die jetzt laut wird, es würde auf die lange Bank geschoben, wenn man jetzt in Europa Pläne machen würde für eine verbindliche Kennzeichnung in Deutschland. Was antworten Sie ihr?
Mortler: Ich meine, wir haben jetzt in der Sommerpause genügend Zeit, einen Gesetzentwurf auf den Weg zu bringen, der diese verpflichtenden Kriterien beinhaltet. Das kann ich so an der Stelle nicht gelten lassen. Wir kommen bei anderen Dingen auch nicht immer so schnell in die Gänge. Und wenn wir wirklich dann am Ende den großen Wurf haben, selbstverständlich mit Europa abgesprochen, selbstverständlich in Rückkoppelung mit den zuständigen Stellen hier, dann, glaube ich, haben wir am Ende der Legislatur in Berlin ganz was Tolles auf den Weg gebracht.
Barenberg: Sie sehen nicht die Gefahr, die Frau Klöckner sieht, dass es Klagen geben wird gegen eine Kennzeichnungspflicht ausschließlich in Deutschland, die dann andere diskriminiert? Das ist ja das Argument.
Mortler: Ja, gut. Wenn ich immer nur Klagen im Hinterkopf habe, dann kann ich nie etwas Gutes beginnen. Aber wenn selbst der Wissenschaftliche Beirat der Ministerin, unter anderem Professor Grethe sagt, wir brauchen jetzt eine verpflichtende Kennzeichnung, sowohl für Herkunft als auch für Haltung, dann ist das doch schon mal ein guter Aufschlag. Und dass das Ganze natürlich mit finanziellen Mitteln, mit mehr Geld aus dem Bundeshaushalt verbunden sein muss, das ist auch klar. Da appelliere ich gleich an unseren Koalitionspartner in Berlin, an die SPD, macht eurem Bundesfinanzminister Beine, macht ihm Füße, denn es ist wichtig, dass gerade dafür wirklich die notwendigen Mittel in den Bundeshaushalt eingestellt werden. Wie gesagt, ich rede von einem großen Wurf, von einer einmaligen Chance, jetzt etwas Verpflichtendes auf den Weg zu bringen, damit endlich alle Sicherheit, Klarheit und Transparenz haben, nämlich Verbraucherinnen und Verbraucher und die Bäuerinnen und Bauern.
"Greenpeace ist nie zufrieden"
Barenberg: Wenn Sie von einem großen Wurf sprechen, Frau Mortler, heißt das dann auch, es muss noch viel strengere Kriterien in der Sache, in den einzelnen Stufen, in den Kennzeichnungssiegeln geben, als bisher vorgesehen?
Mortler: Das heißt natürlich, dass wir über den bisherigen gesetzlichen Standards sein werden oder sein müssen.
Barenberg: Das erfüllen ja die Kriterien nach Aussage der Ministerin.
Mortler: Aber auch das ist quasi ein Mehrwert an sich, dass diese verpflichtende Kennzeichnung dann wirklich und definitiv und klar zeigt, was steckt eigentlich dahinter. Ist es ein Siegel von vielen, oder kann ich mich wirklich darauf verlassen, weil es verpflichtend ist und keine Wunschkriterien vorsieht, sondern Kriterien, die der Praxis standhalten.
Barenberg: Wurde da bisher zu wenig geplant? Ich sage mal, 30 Quadratzentimeter mehr Platz für Tiere in der Schweinemast, ist das Grund genug, Anlass genug für ein Siegel? Oder hat Greenpeace recht und die Agrarexpertin dieser Organisation, die sagt, im Grunde genommen, Stand heute, befördert dieses Label geradezu das Leid von Tieren, weil es ihm gewissermaßen ein staatliches Siegel verleiht?
Mortler: Greenpeace ist nie zufrieden. Das muss man wissen. Aber mir geht es ja darum, Transparenz zu schaffen und das in den einmaligen Rahmen der verpflichtenden Kennzeichnung einzubetten. Insofern sind NGOs immer unterwegs und sagen, zu wenig, zu viel, zu schlecht. Das ist für mich kein Kriterium. Entscheidend ist, dass diese einmalige Chance in Berlin jetzt genutzt werden muss.
"Sehe eine Mehrheit für dieses verpflichtende Kennzeichnen"
Barenberg: Ich würde Sie noch nicht entlassen wollen, ohne dass wir doch über ein, zwei Details noch reden. Ich nenne mal ein Beispiel: Das Beschneiden von Ringelschwänzen, ein Beleg für eine schlechte, nicht artgerechte Haltung, im Grunde genommen verboten, nur noch in Ausnahmefällen erlaubt. Das soll aber im Moment noch Bestandteil für die geringste Stufe dieses Siegels sein. An diesem Beispiel noch mal bitte die Frage: Müssen diese Kriterien noch schärfer gemacht werden, um wirklich in den Ställen etwas zu erreichen im Sinne der Verbraucher, die das ja wollen und fördern?
Mortler: Das müssen wir dann gemeinsam in Berlin bereden mit den Experten, die sich tagein, tagaus mit dem Thema beschäftigen. Natürlich gibt es hier Für und Wider und insofern ist und bleibt das eine spannende Aufgabe, die wir hier nicht am Telefon in zwei Sätzen abschließen können, sondern da muss dann wirklich innerhalb der Experten noch mal intensiv gesprochen werden.
Barenberg: Ein Wort noch zur SPD. Sie haben appelliert an den Koalitionspartner, da jetzt auch mitzuziehen. Es gibt ja dort Widerstand. Ich habe es erwähnt. Fraktionsvize Matthias Miersch sagt ja, im Moment ist das eine Alibi-Veranstaltung ohne Substanz, und er wäre sich sicher, dass es im Moment unter den Koalitionspartnern, also auch in der Union keine Mehrheit für die Vorschläge gibt. Schätzen Sie das ähnlich ein im Moment?
Mortler: Nee. Ich war ja bis zuletzt in meiner Arbeitsgruppe im Deutschen Bundestag, in der Arbeitsgruppe für Ernährung und Landwirtschaft. Dort haben wir auch sehr intensiv diskutiert und ich sehe durchaus eine Mehrheit für dieses verpflichtende Kennzeichnen.
Barenberg: Aber Sie wollen von Brüssel aus erreichen, dass es noch besser wird und anders wird?
Mortler: Ich will im Gespräch bleiben. Ich will Brücken bauen. Ich will keine Schuldzuweisungen machen, sondern ich will Lösungen, gute Lösungen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.