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Titel-Verteidigung

Seit fast neun Monaten sieht sich Annette Schavan mit dem Vorwurf konfrontiert, sie habe in ihrer Doktorarbeit abgeschrieben. Heute berät der Fakultätsrat der Universität Düsseldorf über die Eröffnung eines Verfahrens zur Aberkennung des Titels. Für die Bildungsministerin steht viel auf dem Spiel.

Moderation: Christiane Wirtz | 22.01.2013
    Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) in Erklärungsnot
    Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) in Erklärungsnot (picture alliance / dpa / Martin Schutt)
    Christiane Wirtz: Meine Kollegen haben in den Informationen am Abend schon darüber berichtet: Zur Stunde tagt an der Düsseldorfer Universität der Fakultätsrat, um über die Doktorarbeit von Annette Schavan zu beraten. Doch was auch passiert – die Bundesbildungsministerin ist wild entschlossen, ihren Titel zu verteidigen.

    "Ich habe zu keinem Zeitpunkt meiner Arbeit an meiner Dissertation zu täuschen versucht. Ich weise diesen Vorwurf entschieden zurück. Ich werde kämpfen. Das bin ich mir schuldig und das bin ich der Wissenschaft schuldig."

    Christiane Wirtz: Wir werden Sie in den nächsten 20 Minuten auf dem Laufenden halten, Sie informieren, wenn es neue Informationen aus Düsseldorf gibt. Außerdem werden wir über die wissenschaftliche und auch die politische Bedeutung der Causa Schavan sprechen. Am Mikrophon begrüßt Sie Christiane Wirtz. Und aus unserem Hauptstadtstudio zugeschaltet ist mein Kollege Stephan Detjen An ihn zunächst die Frage: Kann eine Abiturientin Bundesbildungsministerin bleiben?

    Stephan Detjen: Naja, die Frage zielt ja darauf ab, dass Annette Schavan faktisch keinen Hochschulabschluss hätte, wenn sie diesen Doktortitel verlieren würde, ihr Doktortitel war damals der Abschluss ihres Studiums. Aber um die Frage zu beantworten: Natürlich kann eine Abiturientin Bundesbildungsministerin sein, genauso wie das ein Bäcker, Müller oder Schornsteinfegermeister sein könnte, das Problem ist nur, wenn ein Abschluss aberkannt wird, schon gar wegen - das war der Vorwurf - wegen Täuschung des Abiturienten, des Meisters oder des Doktoranden oder wegen gravierender Mängel in dem betreffenden Abschluss.

    Wirtz: Man muss sich das in etwa so vorstellen: Annette Schavan ist 24 Jahre alt, als sie ihre Doktorarbeit einreicht. Eine junge Frau, die monatelang Luhmann und Kant studiert, die wichtigsten Passagen auf Karteikarten schreibt und am Ende ihr handschriftliches Manuskript mit einer Schreibmaschine abtippt. Diesen Text, der jetzt über ihr Lebenswerk entscheidet, haben wir uns mal genauer angesehen:

    351 Seiten ist sie dick, die Doktorarbeit von Bundesbildungsministerin Annette Schavan zum Thema "Person und Gewissen". 1980 wurde sie veröffentlicht und blieb danach erst einmal weitgehend unbeachtet – bis im Zuge der Guttenberg-Affäre auch die Promotion von Annette Schavan in den Fokus anonymer Plagiatsjäger rückte. Zunächst knapp 100, später dann 130 Fundstellen mit mutmaßlichen Plagiaten vor allem aus Sekundärliteratur wurden seit Mai 2012 im Internet veröffentlicht. Schavan selbst bat daraufhin den Promotionsausschuss der Philosophischen Fakultät in Düsseldorf, die anonymen Vorwürfe zu untersuchen. Und dessen Vorsitzender Stefan Rohrbacher kam im Herbst zu einem eindeutigen Ergebnis: Annette Schavan habe so stark plagiiert, dass man von einer - Zitat - "leitenden Täuschungsabsicht" ausgehen müsse. Ein Vorwurf, den die Ministerin strikt zurückwies. Seither tobt die Auseinandersetzung darüber, ob das Votum Rohrbachers richtig oder falsch ist und ob die Uni das Ganze Verfahren sorgfältig genug handhabt. Die Debatte zwischen Universität, Schavan-Kritikern und Schavan-Befürwortern wird so heftig geführt, dass die Hochschule eigens einen Rechtsgutachter bestellte, um sich bescheinigen zu lassen, dass sie juristisch korrekt handelt. Und dann auch noch das: Ende vergangener Woche mischten sich zehn deutsche Wissenschaftsorganisationen in den Streit ein und veröffentlichten eine Stellungnahme, in der sie der Universität Düsseldorf schwere Fehler im Fall Schavan vorwerfen. Wolfgang Marquardt ist Vorsitzender des Wissenschaftsrats und hat die Erklärung mit ausgearbeitet.

    "Wir sind hier einfach der Meinung, dass das – völlig unabhängig von diesem Fall – eine zu einseitige Bewertung von Verfahren in Plagiatsvorwürfen und ähnlichen Angelegenheiten ist. Und deshalb waren wir der Meinung, dass man das einfach geraderücken muss, dass es nicht nur verwaltungs-verfahrensrechtlich geprüft oder auf Korrektheit untersucht werden muss, sondern auch wissenschaftsgeleitet ablaufen muss."

    Wissenschaftsgeleitet, das heißt: Nach den Regeln guter wissenschaftlicher Praxis. Ergebnisse müssen demnach transparent und nachvollziehbar sein, andere Forscher müssen unter gleichen Bedingungen zu gleichen Ergebnissen kommen. Mit anderen Worten: Die Wissenschaftsorganisationen unterstellen der Universität Düsseldorf, bei ihrer Bewertung der Schavan-Arbeit nicht sauber gearbeitet zu haben.

    "Ein solches Verfahren muss im Grunde drei Ebenen berücksichtigen: Es gibt die wissenschaftliche Ebene, dort gibt's auch keine Verjährung, dann gibt's eine rechtliche Ebene, die von der wissenschaftlichen völlig zu trennen ist. Auf der kann man auch über Verjährung zum Beispiel nachdenken. Und es gibt eine persönliche Ebene, und diese drei, meine ich, die muss man herausarbeiten und sauber auch voneinander abtrennen."

    Wenn die Chefs der wichtigsten deutschen Wissenschaftsorganisationen vom Wissenschaftsrat bis zur Deutschen Forschungsgemeinschaft, von der Hochschulrektorenkonferenz bis zur Max-Planck-Gesellschaft sich so äußern, erzeugt das automatisch öffentliche Aufmerksamkeit – und Druck. Und genau das empört Bernhard Kempen, den Präsidenten des Deutschen Hochschulverbands.

    "Hier wird sich eingemischt. Hier wird der Versuch unternommen, zu intervenieren. Und das halte ich für absolut schädlich."

    Dass sich ausgerechnet Wissenschaftsorganisationen zu Wort melden, die mehr oder weniger mit Zuschüssen des Bundesbildungsministeriums finanziert werden, will Bernhard Kempen nicht kommentieren. Er interpretiert die Stellungnahme aber als eindeutiges Votum zu Gunsten von Annette Schavan.

    "Wir sind überrascht, wir sind aber auch irritiert, und wir sind auch ein ganz klein bisschen zornig, dass sich die großen Wissenschaftsorganisationen in einer solchen Weise zu diesen Vorgängen äußern. Denn klar muss doch sein: Der Wissenschaft erweisen die damit keinen Dienst."

    Rückblende ins Frühjahr 2011. Karl Theodor zu Guttenberg, Verteidigungsminister und CSU-Politiker, war innerhalb weniger Wochen als Plagiator enttarnt worden. Der Shootingstar des Bundeskabinetts war zurückgetreten, nachdem ihm die Universität Bayreuth den Doktortitel aberkannt hatte. Der damalige Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG, Matthias Kleiner, lobte im Zuge der Affäre den Mentalitätswandel an den Hochschulen.

    "Die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis, die haben ja bewirkt, dass in den Universitäten Ombudsleute tätig sind; es gibt den Ombudsmann für die deutsche Wissenschaft. Und ich glaube, es ist auch eine höhere Sensibilität bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, insbesondere bei den jungen, entstanden. Sodass in manchen Bereichen vielleicht nicht unbedingt die Fälle selbst in ihrer Zahl anwachsen, aber man eher draufschaut und sie ans Tageslicht kommen – und das ist ne gute Sache. Denn jeder muss wissen: Das ist kein Kavaliersdelikt. Plagiat, Fälschung sind schwerwiegende Fehlverhalten im Wissenschaftssystem und müssen entsprechend untersucht und dann auch mit Konsequenzen belegt werden."

    So geschehen etwa bei den Promotionen der Tochter von Edmund Stoiber, Veronica Saß, der FDP-Europapolitikerin Silvana Koch-Mehrin und beim FDP-Bundestagsabgeordneten Jorgo Chartzimarkakis – sie alle verloren ihre Doktortitel. Andere Politiker unter Plagiatsverdacht kamen glimpflicher davon. Doch seither stehen gerade promovierte Politiker unter verschärfter Beobachtung. Diese gestiegene Aufmerksamkeit hat auch zum genaueren Blick in Annette Schavans Doktorarbeit geführt. Für Bernhard Kempen vom Deutschen Hochschulverband ist die für Bildung und Wissenschaft zuständige Bundesministerin damit dauerhaft beschädigt.

    "Die Dinge werden einen Schatten werfen, egal, was nun rauskommen wird. Da bleibt am Ende, dass jedenfalls der Verdacht bestand, dass es mit der Verleihung des Titels nicht ganz korrekt zugegangen ist. Nun muss die Ministerin selbst die politische Entscheidung treffen, ob es dann klug ist und im Dienst der deutschen Wissenschaft, weiter im Amt zu bleiben."

    Dabei genießt Annette Schavan in weiten Teilen der Wissenschaftsgemeinde einen guten Ruf. Die Ministerin, seit 2005 im Amt, gilt als kompetent und politisch durchaus erfolgreich. Die Exzellenzinitiative und der Ausbau mehrerer Forschungsschwerpunkte sind mit ihrem Namen verbunden. Tatsächlich hat Annette Schavan dafür gesorgt, dass der Etat ihres Ressorts in den vergangenen Jahren kontinuierlich gewachsen ist – und das, obwohl andere Kabinettskollegen zum Teil deutlich Einbußen hinnehmen mussten. Dafür wird die Ministerin unter anderem von Erich Thies gelobt, dem langjährigen Generalsekretär der Kultusministerkonferenz:

    "dass es Frau Schavan, aus meiner Sicht jedenfalls, gelungen ist, in dieser schwierigen wirtschaftlichen Situation durch ihr Auftreten eine Verbindung herzustellen zwischen Wirtschaftssituation und dem Erfordernis, in Bildung zu investieren."

    Derzeit aber konzentriert sich das öffentliche Interesse nicht auf die forschungspolitischen Erfolge, sondern auf die Promotion der Ministerin. Nicht nur für die unter Plagiatsverdacht stehende Politikerin, auch für die Universitäten sei das eine belastende Situation, sagt Bernhard Kempen vom Hochschulverband.

    "Ich glaube, der Schaden ist da. Der Schaden ist schon da seit dem Fall Guttenberg, das muss man sagen. Seitdem ist in der Gesellschaft das Vertrauen, dass die Zuerkennung von akademischen Graden und Titeln, dass die korrekt ist und dass es da ordentlich und ordnungsgemäß zugeht, dieses Vertrauen ist erschüttert worden. Das kann man sich nicht schönreden."

    Wirtz: Zugeschaltet – weiter – ist uns Stephan Detjen aus unserm Hauptstadtstudio. Herr Detjen: Für Studenten heute ist das ja kaum vorstellbar, wie man in den 70er-, 80er-Jahren Doktorarbeiten geschrieben hat. Ist das gerecht, fair, wenn man dieselben Maßstäbe an die Arbeiten damals und heute anlegt?

    Detjen: Ich glaube, dass das zur wissenschaftlichen Beurteilung dieser Arbeit gehört, dass sie in der Tat vor 30 Jahren geschrieben worden ist und sich dieser Fall deswegen von den meisten der Fällen unterscheidet, über die wir in der Vergangenheit gesprochen haben – zu Guttenberg, an erster Stelle, die Tochter des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber oder des FDP Politikers Chartzimarkakis. Das ist eine Frage, die muss geklärt werden, galten damals unter Umständen andere Maßstäbe des wissenschaftlichen Arbeitens, ist man damals anders mit Zitierweisen umgegangen, als das heute der Fall ist? Und das muss dann in die wissenschaftliche Beurteilung dieses Falls einfließen.

    Wirtz: Sie haben über die wissenschaftliche Beurteilung gesprochen, Ich würde gerne auf die juristische Beurteilung dieses Falls kommen. Welche Möglichkeiten hätte Frau Schavan denn, sich praktisch gegen eine Aberkennung ihres Titels zu wehren. Sie hat ja angekündigt, dass sie durchaus bereit ist und willens, juristische Schritte einzuleiten.

    Detjen: Die Aberkennung ihres Doktortitels wäre ein Verwaltungsakt der Universität Düsseldorf, gegen den kann sie vor dem zuständigen Verwaltungsgericht Klage erheben, die Frage ist natürlich zunächst, ob die Universität sich nun darauf verständigt, ein weitergehendes Prüfungsverfahren einzuleiten, in dem Frau Schavan dann Ansprüche auf Prüfungsmaßstäbe erheben könnte, etwa darauf, dass ein weiteres Gutachten eingeholt werden muss, dass sie selber angehört werden kann, das sind Dinge, die sind geregelt nach den Vorschriften des nordrhein-westfälischen Landesrechts. Das ist also eine Frage, die sich heute Abend ja entscheiden muss. Geht dieses Prüfungsverfahren zunächst noch einmal weiter oder haben wir es hier mit einer endgültigen Entscheidung zu tun, gegen die dann geklagt werden könnte?

    Wirtz: Wir haben ja darüber berichtet, zurzeit tagt der Fakultätsrat noch. Welche Möglichkeiten gibt es denn, wie er entscheiden könnte?

    Detjen: Er könnte - er ist das entscheidende Gremium - er könnte heute auf der Grundlage der vorliegenden Beurteilung des Falls durch den Promotionsausschuss die Entscheidung treffen, dass der Doktortitel aberkannt werden sollte, dann wäre der Rest, der kommt, die Ausfertigung eines entsprechenden Verwaltungsaktes nur noch juristische Formalität. Aber genauso könnte dieser Fakultätsrat jetzt entscheiden, dass er weitere Begutachten einholen möchte, dass er Anhörungen durchführen möchte, etwa der Ministerin.

    Wirtz: Für Annette Schavan ist das ja eine entscheidungsreiche Woche. Heute wird das Votum ihrer Alma Mater, der Universität in Düsseldorf erwartet. Am Freitag soll dann die Entscheidung der CDU im Wahlkreis Ulm/Alb-Donau erfolgen: Dort soll Annette Schavan wieder als Kandidatin für die Bundestagswahl nominiert werden. Seit 2005 pendelt sie zwischen Wahlkreis und Hauptstadt, zwischen Abgeordnetenmandat und Ministeramt. Da ist es nicht immer leicht, es allen recht zu machen:

    Es ist Januar 2011 und Bundesbildungsministerin Annette Schavan sitzt gemeinsam mit ihrem politischen Freund Stefan Mappus, dem damaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, in einem Elektroauto. Sie kurven über den Hof des Helmholtz-Zentrums für Batterieforschung an der Universität Ulm. Für Annette Schavan ist es ein guter Termin, denn sie war es, die das Zentrum in ihren Wahlkreis nach Ulm geholt hat - finanziert mit reichlich Forschungsgeldern aus ihrem Ministerium.

    "Geld zur Verfügung zu stellen ist das eine. Aber mindestens so bedeutsam ist eben, die richtigen Akteure zusammenzubringen, auch die Forschungsaktivitäten bündeln, so etwas wie eine nationale Strategie entwickeln, das wollen wir."

    Im Wahlkreis der Ministerin wurde so etwas gern gehört. Denn es war nicht immer so. Als sie im Jahr 2005 von der Landes- in die Bundespolitik wechselte und das Ministerium für Forschung und Bildung übernahm, vernachlässigte sie den neu übernommenen Wahlkreis Ulm/Alb-Donau. Die Parteibasis kritisierte, dass die Bundestagsabgeordnete Schavan zwar oft im Fernsehen neben der Bundeskanzlerin zu sehen war, aber selten daheim im Wahlkreis. Der CDU-Kreisvorsitzende Paul Glökler:

    "Das war zu dem Zeitpunkt ein Stück weit berechtigt, weil es einfach die Situation nicht zugelassen hat, dass sie häufiger im Wahlkreis war.

    Die Quittung dafür gab es 2008. Bei ihrer zweiten Nominierung zur Bundestagskandidatin des Wahlkreises erreichte Schavan nur knapp 56 Prozent der Stimmen. Die Ministerin verstand den Warnschuss: Immer öfter lässt sie sich seitdem im Wahlkreis blicken. Mal privat und ohne Personenschützer bei einem Einkaufsbummel in der Ulmer Innenstadt. Oder auf zahlreichen politischen Terminen wie etwa bei der Einweihung des Helmholtz-Zentrums.

    ""Generell kann festgestellt werden, dass die Wahlkreisabgeordnete im ehemaligen Ludwig-Erhard-Wahlkreis insgesamt eine hervorragende Arbeit abliefert, auch vor allem inhaltlich","

    erklärt der Vorsitzende des CDU-Kreisverbandes. Annette Schavan habe sich auch Zeit genommen, vor der CDU-Basis in ihrem Wahlkreis Rede und Antwort zu stehen – als die ersten Vorwürfe wegen ihrer Promotion aufgetaucht waren. Die Ministerin wies die Plagiatsvorwürfe energisch zurück, und Paul Glökler hat keinen Grund, ihr nicht zu glauben.

    "Wir haben überhaupt keinen Anlass, an der Richtigkeit und der sachlichen Vollständigkeit dieser Doktorarbeit zu zweifeln."

    Was im Übrigen auch von ihrem damaligen Doktorvater bestätigt werde. Die Einladungen für den Nominierungsparteitag am Freitag dieser Woche sind bereits raus. Annette Schavan ist die einzige Kandidatin. Und ihre CDU zu Hause steht hinter ihr - unabhängig von der heutigen Entscheidung des Fakultätsrates der Uni Düsseldorf:

    "Die Partei innerhalb des Kreisverbandes steht, das haben auch die Aussagen des Fraktionsvorsitzenden von Ulm, Dr. Kienle, und des Stadtverbandsvorsitzenden von Ulm, Dr. Holz, bestätigt, und das ist auch tatsächlich die Haltung der Mitglieder."

    Annette Schavan muss vielleicht um ihren Doktortitel fürchten, um ihr Bundestagsmandat zittern muss sie wohl nicht.

    Wirtz: Wir haben es gerade gehört, der Wahlkreis steht hinter der Ministerin und offenbar, so ist zu hören, wohl auch das Kanzleramt. Wie lange wird Angela Merkel ihrer langjährigen Vertrauten wohl noch die Treue halten?

    Detjen: Annette Schavan ist in der Tat eine langjährige Vertraute, wichtige Ratgeberin der Bundeskanzlerin. Ich glaube, Angela Merkel wird auch aus persönlicher Loyalität, so lange es irgendwie geht, an Annette Schavan festhalten. Die Frage ist natürlich, wann ein Schaden durch laufende und weiter geführte Verfahren so groß wird, dass sie politisch einfach nicht mehr haltbar wäre. Wenn sich eine klare Entscheidung für eine Aberkennung des Titels ergäbe und sich eine weitere Auseinandersetzung womöglich vor nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichten abspielen würde, ich glaube, dann wäre ein Rücktritt der Bundesbildungsministerin unvermeidlich. Gäbe es hingegen ein verlängertes Prüfungsverfahren der Universität, in dem es dann auch eine möglicherweise öffentlich weiter begleitete Auseinandersetzung zwischen Positionen der Universität und Schavans gäbe, dann wäre Schavan möglicherweise noch länger haltbar.

    Wirtz: Ist das denn für Angela Merkel, also für die Kanzlerin, in einem Wahljahr zumutbar, dass man praktisch jetzt noch länger wartet bis an der Uni in Düsseldorf das Verfahren ganz abgeschlossen ist?

    Detjen: Ja, das ist eine Frage des politischen Kalküls. Die Frage ist auch, kann man abschätzen, möglicherweise heute oder in den nächsten Tagen, wie lange sich ein solches universitäres Prüfungsverfahren noch hinziehen würde. Mitten im Wahlkampf im Hochsommer wäre das sicherlich schädlich, wenn dann die Auseinandersetzung ihren eigentlichen Höhepunkt erreichen würde. Nicht ausgeschlossen ist es, dass man darauf rechnet, dass sich eine solche Auseinandersetzung noch hinter den Wahltermin ziehen könnte.

    Wirtz: Aus der Zeit der Guttenberg-Affäre gibt es ja dieses bekannt gewordene Bild von Merkel und Schavan: Da bekommt Merkel eine SMS und zeigt sie Schavan, die gleich neben ihr steht. In ihr Handy gucken lässt sich die Kanzlerin wohl nicht von jedem oder?

    Detjen: Nein, aber ich glaube, man muss wirklich sehen, dass diese Politikerin Annette Schavan für Angela Merkel, die in der CDU neu hinzugekommene, ostdeutsche, protestantische Politikerin Angela Merkel eine wichtige Rolle gespielt hat. Annette Schavan ist zwar am Ende in Baden-Württemberg politisch aktiv gewesen, aber sie kommt sowohl politisch, aber auch geistig vor allem aus der Tradition des rheinischen Katholizismus. Sie war Referentin, am Ende Leiterin des katholischen Cusanuswerks, hat im Generalvikariat Aachen gearbeitet und ist vor allem intellektuell in dieser Tradition, die eine der Gründungsbewegungen der CDU ist, verhaftet und hat das Angela Merkel auch nahe gebracht. Sie war insofern eine wichtige Ratgeberin für die Bundeskanzlerin, für die Parteivorsitzende, und das hat dieses Verhältnis ganz bestimmt maßgeblich geprägt.

    Wirtz: Herr Detjen – herzlichen Dank für diese Einschätzung aus Berlin. Wir werden Sie über die weiteren Entwicklungen in unseren nachfolgenden Sendungen auf dem Laufenden halten. Am Mikrophon bis hierher verabschiedet sich Christiane Wirtz.


    Anmerkung der Online-Redaktion:

    Der Fakultätsrat der Universität Düsseldorf hat am Abend des 22. Januar 2013 entschieden, ein offizielles Verfahren zur Aberkennung des Doktortitels von Bundesbildungsministerin Annette Schavan zu eröffnen.

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