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Tizian-Ausstellung im Frankfurter Städel
Freiheit und Erotik in der venezianischen Republik

Mit Tizian, Tintoretto, Veronese zeigt das Frankfurter Städel die Stars der Renaissance. Im Venedig des 16. Jahrhunderts hatten sie große Freiheiten. Die zentrale Figur dieser Kunstszene und der Ausstellung ist Tizian, von dem mehr als 20 Werke gezeigt werden, auch sein rätselhaftes Spätwerk.

Von Anja Reinhardt | 13.02.2019
    Ein Mann fotografiert in der Ausstellung "Tizian und die Renaissance in Venedig" im Städel ein Detail eines Bildes.
    Nackte Brüste, verführerische Blicke: Idealisierte Aktdarstellungen in der Ausstellung "Tizian und die Renaissance in Venedig" (picture alliance / Boris Roessler / dpa)
    Da lässt der Mann einmal die Frauen aus den Augen, und schon werden sie zügellos. Nein, das ist kein erzkonservativer Beitrag zur #metoo-Debatte, sondern venezianischer Humor um 1545. Der damals schon über sechzig Jahre alte Maler Lorenzo Lotto schildert hier voller Ironie und frivolem Witz den göttlichen Apoll, der es nicht ganz so ernst nimmt mit der Pflicht. Die farbig leuchtenden Kleider der Musen liegen ordentlich abgelegt in einem Waldstück, in der linken Bildhälfte tanzen sie ausgelassen, ohne dass der Hüter der Sittlichkeit etwas bemerkt.
    "Der ist einfach entschlafen, hat seine Leier zwischen die Beine fallen lassen. Die Musen laufen verrückt in der Gegend herum, tollen auf dem Berg, sind splitternackt, haben die Kleider abgelegt und es ist tatsächlich eine Persiflage auf einen bekannten Mythos. Und das war sicherlich kein Auftragswerk, sondern das hat Lorenzo Lotto vielleicht einfach gemalt, weil ihm danach war. Diese Freiheit konnten die Künstler sich auch nehmen."
    Politische Verhältnisse ermöglichen Meinungsfreiheit
    Projektleiterin Adela Kutschke hat die Ausstellung "Tizian und die Renaissance in Venedig" mitkuratiert und verweist auf die besondere Rolle der Lagunenstadt. Die Freiheit, von der sie spricht, lag in den politischen Verhältnissen begründet: Durch ein kompliziertes Wahlsystem, eine geschickte Verteilung der Macht und eine erstaunliche Sozialpolitik entstand eine gesellschaftliche Stabilität, die mit einem für damalige Verhältnisse relativ großen Anspruch auf Meinungsfreiheit einherging - gerade in religiösen Fragen.
    "Die Künstler in Venedig hatten einfach eine große Freiheit. Die konnten sich entfalten, es gab eben eine große Auftraggeberschaft. Sie haben ja meist in großen Werkstätten gearbeitet mit vielen Mitarbeitern und konnten einfach ihrer Kreativität freien Lauf lassen, weil sie nicht so sehr an eine höfische Auftraggeberschaft gebunden waren."
    Unideologische Umsetzung junger Ideen
    Die Ausstellung präsentiert Tizian als den Künstler, an dem sich alle anderen abgearbeitet haben, der wiederum aber die Ideen der jüngeren Generation ganz unideologisch aufgriff. Es gibt viele Mythen gerade bezüglich der Konkurrenz unter den großen Drei: Dem älteren, Tizian, und den beiden jüngeren, Tintoretto und Veronese. Tintoretto soll im Streit die Werkstatt Tizians verlassen haben - belegt ist das allerdings nicht. Adela Kutschke plädiert für eine andere Sicht.
    "Man erkennt ganz klar, dass sich die drei Künstler gegenseitig beeinflusst haben. Interessanterweise war es nicht so, dass Tizian sich auf die Künstlergeneration bezogen hat, sondern ganz anders herum. Tintoretto hat eigentlich etwas dazu erfunden zu einem Männerbildnis. Und Tizian nimmt dann diese Neuerung dieser jungen dieser Künstlergeneration auf und entwickelt das weiter. Es ist sozusagen eine Konkurrenz, aber eben auch eine gegenseitige Befruchtung."
    Schwarzes Nichts und leuchtende Farben
    Vielleicht könnte man auch sagen: Ein Wettstreit auf höchstem künstlerischen Niveau. Einzigartig ist der Pinselstrich Tintorettos, ungeduldig, fast schon anarchisch. Bei Tizian dagegen lösen sich die Konturen mehr und mehr auf, die Bildmotive sind oft rätselhaft.
    "Das Spätwerk Tizians ist insgesamt sehr rätselhaft. Man weiß, dass er schlecht gesehen hat im Alter. Man weiß nicht, wie weit hat das auch das beeinflusst, dass er dann so ganz frei gemalt hat, weil er vielleicht einfach gar nicht mehr fein malen konnte. Man weiß nicht, wie viel vielleicht die Werkstatt dann doch auch Teil daran hatte. Man weiß nicht, ob vielleicht manche der späten Gemälde auch einfach unvollendet waren, dass wir eigentlich eher die Vorbereitung sehen. Vieles davon war auch beabsichtigt - aber es ist eine sehr sehr rätselhafte Phase in seinem Werk."
    Aber auch die Künstler, die nicht zu dem leuchtenden Dreigestirn gehörten, prägen den Mythos der venezianischen Renaissance. Jacopo Bassano malt die Heiligen Hieronymus und Johannes den Täufer als gequälte Männer von intensiver Körperlichkeit in wilder Natur. Seine Kreuzabnahme dagegen ist in ein schwarzes Nichts gebettet, aus dem die Körper heraus leuchten. Überhaupt: Die Farben. Ihnen ist ein eigenes Kapitel in der Ausstellung gewidmet, denn Künstler der Lagunenstadt konnten auf beste Pigment-Qualität zurückgreifen, Venedig war schließlich Handelsstadt mit Beziehungen in alle Welt.
    Verführerische Blicke und offensive Erotik
    Die Gliederung in acht thematische Kapitel ist klug. Sie setzt das Wirken der Maler in Beziehung zueinander, verdeutlicht aber auch die historischen, politischen und gesellschaftlichen Hintergründe. Neben den Farben, der Poesie oder den Naturbildern widmet sich ein Abschnitt den Frauen, den belle donne, idealisierten Frauen - und hier wird es geradezu explizit. Nackte Brüste, verführerische Blicke, ertappte, halb aufgelöste junge Frauen ohne allegorische oder religiöse Einbettung, vor allem Paris Bordone ist ein Meister der gar nicht mal so subtilen Erotik. Kein Wunder, dass der französische König Franz I. ihn an seinem Hof haben wollte. Auch Tizian hatte mit Karl V. einen fürstlichen Bewunderer, aber vor allem dessen Sohn Philipp II. wurde dann sein wichtigster Auftraggeber.
    "Er hat einfach eine große Anzahl an Werken in Auftrag gegeben, die Tizian dann für ihn gemalt hat. Er auch Werke gekauft und gesammelt. Er war sozusagen ein Star und jeder bekannte Herrscher, alle Höfe, der Papst wollten einfach, dass der bekannteste Künstler für sie arbeitet und wollten eben Werke haben und haben die dann sehr schnell auch tatsächlich gekauft."
    Die Bilder der venezianischen Renaissance sind heute in der ganzen Welt verstreut. Schon alleine deshalb lohnt sich der Besuch im Städel. Die Qualität der Ausstellung macht sich aber gerade in der Gegenüberstellung der Werke bemerkbar - und in der Präsentation der nicht mit Starstatus überfrachteten Maler wie Bassano.