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Tod auf dem Acker

Zoologie/Umwelt.- Wissenschaftler aus Deutschland und der Schweiz haben in einem Versuch herausgefunden, dass herkömmliche Pflanzenschutzmittel Frösche innerhalb weniger Stunden töten können. Ob Pestizide aber die Ursache für das globale Amphibiensterben sind, bleibt unter Fachleuten umstritten.

Von Marieke Degen | 04.02.2013
    Der Auftrag für das Schweizer Labor war klar: Herausfinden, was passiert, wenn Frösche mit Pflanzenschutzmitteln in Kontakt kommen. Die Versuchsfrösche wurden dafür in Plastikboxen gesetzt, die mit Erde ausgekleidet waren.

    "Also wir haben angenommen, ein junger Grasfrosch geht aus dem Tümpel an Land, sitzt auf einem Feld, auf dem Feld wächst allerdings nichts, deshalb ist es sicherlich ein extremer Fall, aber ein Landwirt spritzt dann."

    Die Boxen wurden mit herkömmlichen Pflanzenschutzmitteln besprüht, mithilfe eines Spritzarms, wie er auch in der Landwirtschaft eingesetzt wird – und mit Mengen, die Landwirte auch sonst auf ihren Feldern verteilen.

    "Wir haben Pflanzenschutzmittel ausgesucht, die in der Schweiz, in Deutschland im Obst-, Gemüse- und Getreideanbau eingesetzt werden."
    Die Brühe sickerte auf den Boden und durch die empfindliche Amphibienhaut - mit schrecklichen Folgen, sagt der Studienleiter Carsten Brühl von der Universität Koblenz-Landau.

    "Bei einem Mittel waren die Frösche, die getestet wurden, sofort tot, nach einer Stunde, nach zwei Stunden, bei anderen hat das ein bisschen gedauert. Also es gab Mittel, da hat es dann tatsächlich sieben Tage gedauert, bis ein hoher Prozentsatz gestorben ist. Andere, da ist die Hälfte der Tiere z. B. am Tag 3 gestorben und dann hat sich da wenig verändert. Die anderen Tiere haben überlebt. Das ist sehr spezifisch, und sehr mittelabhängig. Auch von der Menge, die wir getestet haben. Wir haben ja unterschiedliche Mengen getestet."

    Das Umweltbundesamt in Dessau hatte die Studie in Auftrag gegeben. Frühere Versuche hätten zwar schon darauf hingedeutet, dass Pflanzenschutzmittel schädlich für Amphibien sein könnten, sagt Jörn Wogram vom Umweltbundesamt. Aber:

    "Überraschend war dann für uns aber doch das Ausmaß der Auswirkungen, die sich in diesen Versuchen gezeigt haben, auf Amphibien."

    In der Europäischen Union werden Pflanzenschutzmittel eigentlich umfangreich geprüft, bevor sie zugelassen werden. Dafür gibt es klare Vorgaben: Getestet wird die Wirkung auf Säugetiere, Vögel, Fische und andere Wasserorganismen. Amphibien spielen bislang keine Rolle. Eine echte Lücke im Zulassungsverfahren, so die Forscher. Denn: Amphibien können sich nicht von ihrer Umwelt abschotten – wie Vögel mit ihren Federn oder Säuger mit ihrem Fell, sagt Carsten Brühl.

    "Die Haut der Amphibien ist dazu da, dass sie mit der Umwelt im Austausch steht, die nehmen da Wasser auf, die atmen über die Haut, die ist also sehr durchlässig, und aufgrund dieser Durchlässigkeit gehen diese Pflanzenschutzmittel eben durch die Haut durch. Und das ist eben der Unterschied zu Vögeln und Säugetieren, die man bisher in der Zulassung dieser Mittel berücksichtigt."

    Pflanzenschutzmittel könnten also mit dafür verantwortlich sein, dass die Amphibienpopulationen zurückgehen, so das Fazit der Forscher.

    "Wir wissen, dass Amphibien - Frösche und Molche - in der Agrarlandschaft vorkommen, also auch über ein Feld laufen, dass sie dem Pflanzenschutzmittel ausgesetzt sind. Wie stark diese Aussetzung ist, das ist schwierig, da muss man weitere Studien durchführen, aber wir wissen eben, dass es über einen längeren Zeitraum passiert ist. Und wenn dann ein geringer Anteil der Population betroffen ist, führt das natürlich insgesamt dann auch zu einem Rückgang von Populationen. Und diese Populationsrückgänge bei Fröschen, die sind ja auch in Deutschland oder Europa klar ersichtlich."

    Aber sind Pflanzenschutzmittel tatsächlich eine Gefahr für Amphibien – auch draußen auf dem Acker? In der Fachwelt ist das umstritten.

    "Die Studie ist sehr nützlich. Sie füllt eine Wissenslücke – darüber, wie Pestizide auf Amphibien wirken",

    sagt etwa Daniel Pickford, ein Ökotoxikologe von der Brunel University in Uxbridge, England.

    "Die Studie zeigt meines Erachtens aber nicht, dass Pestizide zwangsläufig ein Problem für Amphibien sind oder sogar die Ursache für das globale Amphibiensterben. Ich denke, es gibt da noch viele Unsicherheiten. Der Laborversuch lässt sich nicht eins zu eins auf die Situation im Feld übertragen."

    Kritik kommt auch vom Chemiekonzern BASF, der zwei der getesteten Pflanzenschutzmittel herstellt. In einer Stellungnahme für den Deutschlandfunk heißt es:

    "Diese Studien wurden unter unrealistischen Laborbedingungen durchgeführt. Amphibien werden in der Praxis und unter normalen landwirtschaftlichen Bedingungen solchen Konzentrationen nicht ausgesetzt. Der Wirkstoff Pyraclostrobin wird nicht auf freien Boden appliziert, sondern auf die Pflanze. Somit ist gegeben, dass die Pflanzen die Exposition von Amphibien gegenüber dem Produkt reduzieren. Zusätzlich tendieren Amphibien dazu, sich während der Applikationszeit zu verstecken (unter Blättern oder im Boden)."

    Auch Carsten Brühl sagt, dass sich der Laborversuch nicht eins zu eins ins Freiland übertragen lässt. Dennoch - es sind die einzigen Daten, die die Wissenschaftler haben. Was sich auf dem Acker tatsächlich abspielt, in welchem Ausmaß die Frösche mit Pestiziden in Kontakt kommen und mit welchen Folgen – das weiß einfach keiner.

    "Es hat niemand bisher richtig nachgeschaut, ob tote Frösche auf dem Feld liegen. Das ist auch gar nicht so ganz einfach: Wenn so ein Frosch auf dem Feld stirbt, ist der am nächsten Tag auch schon wieder weg, weil nachts andere Tiere unterwegs sind, die den dann wieder fressen."

    Sicher ist: Frösche und Kröten wandern über die Felder zu ihren Laichplätzchen, und sie halten sich auch außerhalb der Wanderungszeiten auf Äckern und Feldern auf. Deshalb fordert Jörn Wogram vom Umweltbundesamt:

    "Die Mitgliedstaaten und die europäische Kommission sind jetzt aufgefordert, sich Spielregeln und Normen zu überlegen und auch Methoden, nach denen Pflanzenschutzmittel auf ihre Gefährlichkeit für Amphibien bewertet werden können. Gleichzeitig sehen wir auch die Industrie mit in der Pflicht, sich Gedanken zu machen, wie sie ihre Pflanzenschutzmittel, ihre Produkte so umgestalten können, dass sie weniger schädlich auf Amphibien wirken."

    Genauso wichtig sei aber, dass Rückzugsräume für Amphibien und andere Tiere geschaffen werden, in denen sie gar nicht erst mit Pflanzenschutzmitteln in Berührung kommen.

    "Das bedeutet konkret, dass der ökologische Landbau größeres Gewicht bekommt in der EU, das bedeutet auch, dass wir längere Ruhephasen auf den Äckern einbinden, also brach liegen lassen, und das bedeutet, dass wir Schutzstreifen entlang von Gewässern anlegen."

    Davon, sagt Carsten Brühl, würden nicht nur die Frösche und Kröten profitieren.

    "Sicherlich hat jeder Landwirt ein Interesse daran, dass eine große Froschpopulation in der Nähe seiner Felder sitzt, weil diese Frösche doch einiges an Mücken und an anderen Organismen eben fressen, die womöglich schädigend auf seine Felder wirken."