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Tod auf dem Atlantik

1957 ereignete sich eine der größten Schiffskatastrophen der deutschen Nachkriegsgschichte. Ein tropischer Orkan brachte die "Pamir" in Seenot, durch menschliches Versagen kenterte der Viermaster. Von den 86 Mann an Bord überlebten nur 6 Seeleute das Unglück.

Von Bernd Ulrich | 21.09.2007
    "Verkünde folgenden Spruch des Seeamtes: Die Viermastbark Pamir – ein frachtfahrendes Segelschulschiff – ist am 21. September 1957 gegen 16 Uhr Mittel-Greenwichzeit im Atlantik auf Position 35 Grad 57 Minuten Nord, 40 Grad 20 Minuten West etwa 600 Seemeilen westsüdwestlich der Azoren bei schwerem Nord-Nordoststurm im Sturmfeld eines tropischen Orkans gekentert und gesunken."

    Hinter dem nüchternen Juristendeutsch, mit dem im Januar 1958 das Urteil des Seeamtes über den Untergang der "Pamir" eingeleitet wurde, verbarg sich eine der größten Schiffskatastrophen der bundesdeutschen Nachkriegszeit.

    "Von der 86 Mann starken Besatzung konnten nur sechs Mann gerettet werden. Sie sind an den nachfolgenden Tagen aus zertrümmerten Rettungsbooten geborgen worden. "

    Es waren Tage der Apathie und der Halluzinationen:

    "Wir sahen an diesem Tag – da fingen wir an, also alle, zu phantasieren. Wir sahen die unmöglichsten Dinger, der eine sah Schnellboote, der andere, der sah Flugzeuge, die irgendwelche Namen an den Himmel schrieben, der nächste sah Land, der andere, der wollte nach England schwimmen, also, es war allerhöchste Zeit. "

    Der als Kochsmaat gemusterte Karl-Otto Dummer gehörte zu den sechs Überlebenden der "Pamir". Drei Tage seit dem Untergang des Schiffes im Hurrican "Carrie" hatten die Männer, verteilt auf zwei beschädigte Beiboote, schon ausgeharrt, bis zum Bauch im Wasser stehend, kaum zu entdecken zwischen 12 bis 14 Meter hohen Wellentälern, notdürftig versorgt mit Büchsenmilch und Hartzwieback, halb wahnsinnig vor Durst.

    "Und in dieser Zeit, ungefähr zwei Stunden, bevor wir gerettet wurden, da sprang noch einer von uns Außenbord."

    Über 20 Männer der 86köpfigen Besatzung verloren wahrscheinlich so ihr Leben. Am Nachmittag des 24. Septembers 1957 wurden die wenigen Schiffbrüchigen der Viermastbark "Pamir" endlich entdeckt.

    "Da kam eine Regenböe auf uns zu, also eine schwarze Wand. Und diese Regenböe wurde an einer Seite von einem Regenbogen begrenzt, und zwischen Regenbogen und Regenböe, das sah aus wie ein Tor, da war auf einmal riesiggroß vor uns, so schien es uns jedenfalls, ein Schiff, das direkt auf uns zukam."

    Ein Wunder, umso mehr als die "Saxon", ein Schiff der amerikanischen Küstenwache, die Suche eigentlich schon aufgegeben hatte. Einen Tag später fand ein weiterer Dampfer der Küstenwache den letzten Überlebenden.
    Die sechste und letzte Reise der 115 Meter langen "Pamir" begann am 1. Juni 1957 in Hamburg. Ziel war Buenos Aires, das sie am 10. August mit über 3700 Tonnen Gerste wieder verließ. Doch die "Pamir" lief nicht nur als Frachtsegler, sondern zugleich auch als Segelschulschiff. Neben der 35 Mann umfassenden Stammbesatzung waren 51, teils 16 Jahre junge Offiziersanwärter an Bord, um das seemännische Handwerk von der Pike auf zu lernen. Segelschiffe galten damals wie heute als besonders geeignet, um der künftigen Schiffsführung Charakterstärke und Ausdauer beizubringen. Von Panik war denn auch nichts zu spüren, als das Unglück am frühen Nachmittag des 21. September 1957 seinen Lauf nahm.

    "Die Pamir führte sämtlich Marssegel, Fock- und mehrere Starksegel und segelte hart am Wind, als der mit Stärke 9 wehende Sturm in kurzer Zeit stark zunahm. Das Schiff war diesem Winddruck mit den geführten Segeln, der Segelstellung, seinem Beladungszustand und dem nicht mit Ballastwasser gefluteten Tieftank stabilitätsmäßig so wenig gewachsen, dass es eine starke Backbordschlagseite erhielt."

    Und schließlich kenterte, wie es im Bericht des Seeamtes hieß. Der Untergang war weder bloßes "Schicksal" noch Folge höherer Naturgewalten allein. Der, wie wir heute wissen, schlechte Gesamtzustand des Liners spielte ebenso eine Rolle wie das Versagen der Schiffsführung. Sie hatte sowohl die falsch getrimmte, schließlich verrutschende Gerstenladung zu verantworten, als auch die mangelnde Vorbereitung auf den drohenden, aber angekündigten Sturm. Anlässlich der Trauerfeier am 8. Dezember 1957 in Hamburg sprach Bischof Volkmar Herntrich im Hinblick auf die jungen Kadetten an Bord davon, alte Seefahrtsromantik belebend, dass sie wohl

    "wussten oder instinktiv empfanden, dass hier das Schöne und Wesentliche ihres Berufes auf sie zukam, all das, was beschlossen ist in den Worten: Wagnis, Mut, Kühnheit und Vertrauen."

    Zumindest das Vertrauen ist enttäuscht worden.