Freitag, 29. März 2024

Archiv


Tod auf dem Bau

In diesem Jahr sind in Italien bereits fast 100 Bauarbeiter tödlich verunglückt. Damit stirbt alle zwei Tage ein Mensch auf einer Baustelle. Die Gewerkschaften beklagen laxe Kontrollen der Sicherheitsvorschriften. Kirstin Hausen berichtet.

28.06.2007
    Eine Baustelle an der Ausfallstraße von Mailand nach Segrate: Wo früher Mais angebaut wurde, wächst jetzt ein Wohnhaus für 64 Familien in die Höhe. Es wird gehämmert, geschweißt, geschwitzt. Mit nackten Oberkörpern stehen die Arbeiter auf den Gerüsten. Sie tragen Helme und Handschuhe, so wie es Vorschrift ist. Bloß die Arbeitsschuhe mit hohem Schaft und Metallkappen benutzen nicht alle: zu schwer, zu warm. Aber das Risiko, in zehn Metern Höhe auszurutschen, steigt.

    "Die Bauunternehmer sagen mir oft, die Arbeiter würden sich nun einmal nicht an die Sicherheitsvorschriften halten,"

    erzählt Sergio Lorenzi, Sicherheitsbeauftragter der FILLEA, der italienischen Gewerkschaft für das Baugewerbe. Aber dieses Argument lässt der gelernte Maurer nicht gelten. Er macht den Zeitdruck, den die Unternehmer ausüben, für die hohe Zahl der Unfälle verantwortlich.

    "Vor 30 Jahren gab es keine so gute Schutzkleidung wie heute, aber dafür gab es auch nicht diese Hetze, mit der inzwischen gearbeitet wird."

    Zeit ist Geld und der nächste Auftrag wartet schon. Claudio De Albertis, Präsident des Baugewerbeverbandes, formuliert es in einem Dokumentarfilm über die Unfälle auf Italiens Baustellen so:

    "Bei privaten wie bei öffentlichen Aufträgen erhält doch immer der den Zuschlag, der am billigsten ist. Das ganze ist ein Problem des Marktes."

    Marktregulierungen von oben, etwa Mindestpreise für bestimmte Bauprojekte oder ein Mindestlohn für die Arbeiter, sind aber das letzte, was Italiens Regierungschef Romano Prodi will. Im Gegenteil, der linksliberale Politiker kämpft für eine weitere Liberalisierung des Arbeitsmarktes. Die Auswirkungen im Baugewerbe: Immer weniger Arbeiter sind fest angestellt, immer mehr wechseln jeden Monat oder sogar jede Woche die Baustelle.

    "Das geht zu Lasten der Qualität und der Sicherheit,"

    sagt Sergio Lorenzi. Er verlangt härtere Strafen für die Unternehmer, die ihre Arbeiter nicht mit den Sicherheitsvorschriften vertraut machen, was seiner Ansicht nach viel zu oft passiert. Der Journalist Carmelo Abbate hat die Probe aufs Exempel gemacht und sich auf mehreren Baustellen in Norditalien als arbeitssuchender Sizilianer ausgegeben. Ergebnis:

    "In Piacenza habe ich auf einer riesigen Baustelle sofort mit der Arbeit begonnen, ohne irgend etwas zu hören von Sicherheitsvorschriften. Gemeinsam mit anderen blutigen Anfängern habe ich dort den ganzen Tag geschuftet. Und am Abend sagte mir dann mein Chef, morgen gehe es auf eine andere Baustelle."

    Wanderarbeiter werden auf Italiens Baustellen oft schwarz beschäftigt, ihr Lohn liegt bei sieben, acht Euro die Stunde. Der offizielle Tarif für ungelernte Arbeiter beträgt das Dreifache. Facharbeiter verdienen zwischen 1800 und 3000 Euro netto im Monat, je nach Ausbildungsgrad und Berufserfahrung. Unter den tödlich verunglückten Arbeitern waren vergangenes Jahr überproportional viele Ausländer, aber nicht nur.

    ""Fausto war mit einigen Arbeitskollegen Mittag essen. Als er zurück auf die Baustelle kommt, wird er von einer Baggerschaufel am Kopf getroffen","

    rekonstruiert der Gewerkschafter Domenica Ghirardi einen Fall. Fausto Spagnoli stirbt wenig später im Krankenhaus. Sein Unfall wird vertuscht, angeblich sei er auf dem Weg zur Baustelle mit dem Motorrad gestürzt, die Kollegen erinnern sich plötzlich nicht mehr an das Geschehene. Am Ende eines langen Gerichtsprozesses kommt heraus, dass die Sicherheitsvorschriften auf der Baustelle nicht eingehalten wurden. Der Bauunternehmer kommt mit einem Bußgeld davon.

    ""Ein großer Fisch, der seiner Strafe entgangen ist","

    seufzt Domenico Ghirardi.

    Das soll anders werden. Die Prodi-Regierung hat einen Gesetzesentwurf ausgearbeitet, der mehr Kontrollen auf Baustellen und in Fabriken vorsieht und Unternehmen mit Sicherheitsmängeln von weiteren öffentlichen Aufträgen ausschließt.