Freitag, 19. April 2024

Archiv


Tödliche Geschäfte der USA

Den Krieg gegen den Terror führt Barack Obama geheimer und teilweise auch rücksichtsloser als sein Vorgänger George W. Bush, analysiert Pulitzer-Preisträger Mark Mazzetti in seinem Buch über die "geheimen Kriege der CIA".

Von Gregor Peter Schmitz | 23.09.2013
    Wenig hat die Anhänger von US-Präsident Barack Obama so sehr ernüchtert wie sein Gesinnungswandel im Kampf gegen den Terror. Der gelernte Verfassungsjurist, der einst versprach, mit dem Erbe von George W. Bush zu brechen und gegen dessen "dummen Krieg” Wahlkampf führte, hat sich zum obersten Anti-Terrorkämpfer gewandelt. Inzwischen beugt er sich höchstpersönlich über Todeslisten für Drohnenschläge und scheint dabei wenig Gedanken an legale Grenzen zu verschwenden. Wie es dazu kommen konnte und wie die Veränderung der Strukturen in den US-Geheimdiensten - deren Budgets nach den Anschlägen vom 11. September 2001 gigantisch anschwollen - diese Entwicklung erleichterten, beschreibt Mark Mazzetti, Geheimdienstexperte der New York Times, in seinem faszinierenden Buch "Killing Business: Der geheime Krieg der CIA”.

    Mazzetti gesteht im TV-Sender CBS ein, wie sehr ihn Washingtons Begeisterung für den Krieg im Schatten - ausgeführt von geheimen Spezialkommandos - gewundert hat:

    "Mich erstaunte am meisten, wie sehr diese Art der Kriegsführung von Politikern in Washington akzeptiert wurde. Zwei Präsidenten - ein konservativer Republikaner und ein liberaler Demokrat -, nutzten diese Technologie begeistert, um einen Geheimkrieg zu führen, ohne diesen mit der amerikanischen Öffentlichkeit zu diskutieren. Es ist erstaunlich, wie umfassend dieser Krieg ist. Und wenn man so eine Art von Krieg führt, stößt man auch auf alle möglichen überraschenden Charaktere, die ich im Buch zu beschreiben versuche."

    Zu diesen Charakteren gehören Menschen, die Obamas rasanten Gesinnungswandel juristisch rechtfertigen müssen und dabei oft Gewissensbisse verspüren - wie Präsidenten-Berater Harold Koh, der als Juradekan in Yale einst die Lebensläufe junger Studenten für die Zulassung prüfen musste und nun, wie er klagt, die Lebensläufe vermeintlicher Terroristen gleichen Alters studiert, um mitzuentscheiden, ob sie von US-Drohnen getötet werden dürfen oder nicht.

    Dazu gehören aber auch die Chefs von Pentagon oder CIA, deren Aufgaben zusehends verschmelzen. Hatte der Geheimdienst bis vor 2001 keine Autorität mehr, direkt zu töten, ist er mittlerweile wieder zu einer Art killing machine geworden, dessen enger Fokus auf die Terroristenjagd oft auf Kosten traditioneller Geheimdienstarbeit wie der Agententätigkeit geht. Gleichzeitig verändern sich die Abläufe im US-Militär: Immer häufiger übernehmen Elitesoldaten Aufgaben, die früher wenig zimperlichen Schlapphüten vorbehalten waren:

    "Das Militär führt heute mit Kommandoeinheiten Spionageeinsätze durch, denen Washington in den Jahren vor dem 11. September 2001 nicht einmal im Traum zugestimmt hätte. Vor dem Terrorangriff betrieb das Pentagon kaum Spionage mit menschlichen Quellen – und die CIA war nicht befugt, Menschen zu töten. Danach jedoch haben beide Institutionen viel von dem getan, was sie vorher nicht taten.

    Und es ist ein militärisch-geheimdienstlicher Komplex entstanden, mit dem eine neue amerikanische Art des Kriegs geführt wird. (...) Oder, um mit John Brennan zu sprechen, einem der engsten Berater Obamas, der von diesem im März 2013 zum CIA-Chef gemacht wurde: Statt mit dem 'Hammer' zuzuschlagen, setzt Amerika jetzt das 'Skalpell' an."

    Doch mit einem Skalpell lassen sich noch tiefere Wunden schneiden als mit dem Hammer. Mazzetti arbeitet in seinem Buch den explosiven Anstieg von Ausgaben für Geheimoperationen heraus, über die auch im US-Kongress nur ausgewählte Parlamentarier informiert werden. Er listet detailliert auf, wie Obama schon nach einem Teil seiner ersten Amtszeit den angeblich so kriegslustigen Vorgänger George W. Bush in der Zahl der Drohnenschläge und der gezielten Tötung vermeintlicher Terroristen weit übertroffen hat. Und er belegt durch Referenzen zu Meinungsumfragen, wie groß der Zorn über den Krieg im Schatten in besonders betroffenen Ländern wie Pakistan oder Afghanistan ist. Für Mazzetti keine überraschende Entwicklung, denn der Preis dieser scheinbar so effektiven Art von Kriegsführung sei enorm:

    "Das Bild vom Skalpell suggeriert, dass die neue Art des Kriegs ohne Fehler und unnötige Kosten vonstattengeht – wie eine Operation ohne Komplikationen. Doch das ist falsch. Sie schafft genauso schnell neue Feinde, wie sie die früheren vernichtet. (...) Diese neue Art von Krieg hat Erfolge gebracht – am Ende sogar die Tötung Osama Bin Ladens und seiner treuesten Anhänger. Aber sie hat auch die Schwelle der Gewaltanwendung gesenkt und dazu geführt, dass die USA heute leichter als jemals zuvor in den fernsten Weltregionen Tötungsoperationen durchführen können."

    Das ist wohl der Grund, warum selbst Präsident Obama mittlerweile langsam auf Distanz zu den Geheim-Programmen geht - etwa in einer Rede im Mai, in der er erklärte, wie jeder Krieg müsse auch der Krieg gegen den Terror schließlich enden. Doch Mazzetti bleibt skeptisch, wie glaubwürdig solche Ankündigungen sind:

    "Die Realität hinter der erhabenen Rhetorik sah düsterer aus. Es würde keine grundlegende Revision der geheimen Kriegführung geben, nur marginale Änderungen und das vage Versprechen auf eine konsequentere Reform irgendwann in der Zukunft. Aber der Drohnenstützpunkt der CIA in der südlichen Wüste Saudi-Arabiens existiert noch immer, und amerikanische Offizielle haben bisher mit keiner Silbe erklärt, wann genau die CIA mit ihren Tötungsaktionen im Jemen aufzuhören gedenke."

    Wird sich daran bald etwas ändern? Und wird es klarere Richtlinien geben? Die Hoffnung scheint gering, zumal die USA schon jetzt mehr Drohnenpiloten als Kampfpiloten trainieren. Auch das Budget für Drohnentechnologie haben sie unentwegt erhöht. Obama jedenfalls hat auch nach seiner Ansprache im Mai über Details weiterer Drohnenschläge eisern geschwiegen.

    Doch im kriegsmüde gewordenen Amerika beginnt sich die öffentliche Meinung zur vermeintlichen Alternativlosigkeit des Kriegs gegen den Terror zu drehen - und Mazzetti hat mit seinem glänzend recherchierten und geschriebenen Buch dazu erheblich beigetragen. Als sich bei einer kontroversen Kongress-Anhörung vor kurzem ganz linke und ganz rechte Gegner eines ausgeuferten Geheimeinsatzes von Drohnen öffentlich verbündeten, zitierten beide Seiten immer wieder ganz selbstverständlich einen Begriff: Mazzettis Buchtitel "Killing Business".

    Mark Mazzetti: Killing Business - Der geheime Krieg der CIA.
    Berlin Verlag, 416 Seiten, 22,99 Euro
    ISBN: 978-3-827-01174-9