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Tödliche Salzseen

Paläontologie. - Vor 250 Millionen Jahren ereignete sich das größte Massenaussterben aller Zeiten. Es gibt verschiedene Theorien dazu, was damals die globale Katastrophe ausgelöst haben könnte - und nun gibt es eine neue: Riesige Salzseen sollen das größte Massenaussterben der Erdgeschichte ausgelöst haben.

Von Dagmar Röhrlich | 16.07.2009
    Vor 250 Millionen Jahren bildeten alle Landmassen einen Superkontinent: Pangäa. Das Klima war heiß, das Landesinnere eine gigantische Wüste. Selbst an den Rändern gab es lebensfeindliche Areale. So schwappte über weiten Teilen des heutigen Europas das Zechsteinmeer - eine flache See, in der sich Salz absetzte, das im Lauf der Zeit mächtige Lagerstätten formte. Solche Salzmeere und -seen sollen das größte Massenaussterben aller Zeiten ausgelöst haben. Das jedenfalls glaubt Ludwig Weißflog vom Umweltforschungszentrum Leipzig nach der Analyse eines Umweltproblems unserer Tage:

    "Zwischen Kaspischem Meer und Schwarzem Meer befinden sich viele Salzseen und es befindet sich dort auch eine Wüste, die sich derzeit ausbreitet. Und man war daran interessiert zu erforschen, welche weiteren Faktoren außer den bisher bekannten zu dieser Wüstenausbreitung geführt haben."

    Gibt es also andere Faktoren als Überweidung, Bodenversalzung durch falsche Bewässerung und Industrieschadstoffe? Ludwig Weißflog und seine Kollegen aus Russland, Südafrika, Österreich und Deutschland gingen in Südrussland auf Spurensuche. Das Ergebnis: Dort lassen vor allem Stoffwechselprodukte von Salzsee-Mikroben die Wüste so schnell wachsen. Es geht dabei um Stoffe wie Chloroform, Trichlorethen und andere giftige Gase:

    "Das sind Halogenkohlenwasserstoffe, die von Archäen, das sind also eine Art Urbakterien, synthetisiert und in das salzige Wasser abgegeben werden der Seen, und von dort aus in die Atmosphäre emittieren."

    Diese Substanzen schädigen Pflanzen in der Umgebung - und zwar besonders stark, wenn sie ohnehin durch Trockenheit unter Stress stehen. Weißflog:

    "Beim Abbau zum Beispiel von Tetrachlorethen, einer dieser von den Archäen synthetisieren Substanzen, wird in der Pflanze Salzsäure frei, so dass es also im Endeffekt zu einer Schädigung der Pflanze und damit natürlich auch zu einer Destabilisierung der Vegetation [kommt]."
    Sie stirbt ab, die Erosion hat leichtes Spiel, die Wüste siegt - und zwar nicht nur lokal. Vielmehr verteilt der Wind die Schadstoffe großräumig. Geraten sie in die großen Luftzirkulationssysteme der Erde, sind sie nicht mehr zu stoppen:

    "Wir haben Berechnungen gemacht in Südafrika, und dort glauben wir sagen zu können, dass/ dieser Substanzen in der Atmosphäre eine mehrfache Erdumrundung zulassen."

    Wenn man berücksichtigt, wie viele Salzseen und -meere es vor 250 Millionen Jahren gegeben hat, müssten aus ihnen gewaltige Mengen an Halogenkohlenwasserstoffen aufgestiegen sein. Weißflog:

    "Wir haben hier Bildungsraten, die um, ja, teilweise das Fünffache betragen der heutigen industriellen Produktion dieser Substanzen."

    Die Halogenkohlenwasserstoffe sollen eine komplizierte Wirkungskette in Gang gesetzt haben, erklärt Ludwig Weißflog. Sie ließen die Pflanzen absterben und zerstörten die Ozonschicht: Schließlich sind einige der Stoffe "Ozonfresser". Sie schädigten rund um die Welt Pflanzen und Tiere direkt oder indirekt. Die Nahrungsketten zerrissen: Am Ende stand das größte Massenaussterben aller Zeiten. So die Idee. Thierry Adatte, Geologe der Université de Neuchâtel, findet den Ansatz interessant, auch wenn er nicht überzeugt ist. Für ihn war die Zeit damals ein ökologisches Horrorszenario - und das Massenaussterben die Konsequenz daraus:

    "Es war so heiß und trocken, dass im Zechsteinmeer über Jahrmillionen riesige Salzlagerstätten entstanden, weil Wasser aus dem Ozean in dieses Randmeer schwappte und verdunstete. Der Salzgehalt im Ozean schwankte anscheinend stark, was für viele Meerestiere tödlich ist. Damals gab es nur einen einzigen Kontinent. Und Pangäa bot kaum ökologische Nischen, das Klima war extrem, und dazu kam der größte Vulkanausbruch aller Zeiten, dessen Lava die Erde kniehoch bedecken könnte. Für Lebewesen waren es keine besonders guten Zeiten."

    Die Halogenkohlenwasserstoffe wären eine weitere Tortur, aber nicht der Tötungsmechanismus, der die Welt des Erdaltertums vernichtete. Trotzdem sollten ihre Folgen näher untersucht werden. Das wünscht sich auch Ludwig Weißflog: Schließlich fördert heute der Klimawandel die Entstehung von Salzseen.