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Toilette für Kühe
Verhaltensbiologe: Stallreine Rinder - weniger Treibhausgas

Optischer Reiz, Belohnung und harmlose Strafe: Auf diese Weise können Kälber trainiert werden, Latrinen zu benutzen, erläuterte der Wissenschaftler Jan Langbein im Dlf. So werde es möglich, Kot von Urin zu trennen - und damit die Bildung von Ammoniak, einem Treibhausgas, zu verhindern.

Jan Langbein im Gespräch mit Ralf Krauter | 20.07.2020
Ein Kalb liegt auf Stroh.
16 Kälber trainierten die Wissenschaftler erfolgreich, eine "Toilette" zu benutzen (picture alliance / dpa / Carmen Jaspersen)
Verhaltensbiologen am Leibniz-Institut für Nutztierbiologie in Dummerstorf haben es geschafft, Kälbern beizubringen, auf speziellen Kuh-Toiletten zu urinieren. Bislang war nicht klar, ob Kühe intelligent genug sind für solche Trainingsprozesse. Jetzt weiß man: Sie sind es. Der praktische Nutzen: Würde man die Kälber in großen Kuhställen künftig automatisiert so trainieren, dass sie stallrein sind, ließen sich die Emissionen von Ammoniakgas, einem wichtigen Treibhausgas, aus der Rinderzucht stark reduzieren. Laut einer EU-Vorgabe sind die deutschen Züchter dazu verpflichtet, die Ammoniak-Emissionen in den kommenden Jahren kräftig zu senken. Jetzt hat man eine Methode an der Hand, mit der das ginge, erklärte Jan Langbein vom Leibniz-Institut - und auch, was die Wissenschaftler zu ihren Forschungen treibt.
Jan Langbein: Was uns stört, ist die Tatsache, dass in den heute verbreiteten Laufställen die Tiere zwar viel Platz zur Verfügung haben, um ihr arteigenes Verhalten auszuleben, aber damit auch eine große Oberfläche mit Kot und Harn verschmutzt wird von den Tieren, die das an jeder Stelle, wo sie gehen und stehen, fallenlassen. Das Problem ist, wenn Harn auf Kot trifft, in dem eine Urease, ein Enyzm, aktiv ist, das Harnstoff zu Ammoniak umwandelt, dass dann dieser Ammoniak als Treibhausgas in die Atmosphäre freigesetzt wird. Man muss wissen, dass das Ammoniakgas zu 95 Prozent in der Landwirtschaft freigesetzt wird und davon wiederum zu 50 Prozent in der Rinderhaltung.
Das heißt: Wenn wir Kot und Harn voneinander trennen können, können wir die Freisetzung von Ammoniak unterbinden und damit die Treibhausgasemission zumindest, was das Ammoniak angeht, drastisch senken. Das müssen wir auch, weil es gibt eine EU-Richtlinie aus 2016, die vorschreibt, dass zum Beispiel Deutschland seine Ammoniakemissionen gegenüber 2005 bis 2030 um 29 Prozent reduzieren soll. Wir denken, dass die Benutzung einer Toilette, in der man dann Kot und Harn trennen kann, dazu einen Beitrag leisten könnte.
Hoffnung: stallreine Kühe
Ralf Krauter: Also Sie schlagen letztlich vor: Lasst uns in die Kuhställe Urinale für die Kühe einbauen, dass wir diese zwei, also den festen und den flüssigen Teil dessen, was die Tiere freisetzen, voneinander trennen können.
Langbein: Ja, wobei in dem jetzt laufenden Projekt sozusagen erst mal der erste Schritt gemacht wurde. Wir müssen ja überhaupt erst mal schauen, ob man Kühen die Benutzung einer Toilette überhaupt beibringen kann. Die landläufige Meinung ist … bisher gab es einen ZDF-Beitrag in 2017, während man Schweinen die Benutzung einer Toilette antrainieren kann, geht das bei Kühen nicht. Das heißt, unser erster Schritt war erst mal zu schauen: Kann man denen das beibringen? Unsere Hypothese war, ja klar, warum nicht. Wenn man Kleinkinder stubenrein bekommt und Hunde und Katzen ebenfalls und sogar Schweine, warum soll es bei Rindern nicht gehen.
Optischer Reiz und Belohnung - oder Strafe
Krauter: Wie sehen denn diese Kuhlatrinen aus, mit denen Sie dann versucht haben, Kälber zu trainieren?
Langbein: Wir haben erst mal mit einem sehr experimentellen Design in unserer Experimentalanlage Rind gearbeitet. Da sah das so aus, dass wir in bisher fünf Durchgängen sozusagen das Design unserer Latrine immer weiter verbessert haben, und jetzt zuletzt sah es so aus, dass wir auf der einen Seite einen zehn Meter langen Gang haben und an dem einen Ende eine vier Meter große Latrine, die durch so eine Saloon-Tür vom Kalb betreten werden kann.
Ein Kalb nutzt eine spezielle Latrine und erhält dort auch direkt eine kleine Belohnung
Ein Kalb nutzt eine spezielle Latrine und erhält dort auch direkt eine kleine Belohnung (Thomas Häntzschel / nordlicht)
Der Bodenbelag dort ist farblich gestalteter, durchlässiger Boden, der gleichzeitig einen Spritzschutz liefert, weil Kühe mögen das eigentlich gar nicht so sehr, wenn der Urin gegen ihre Beine spritzt, und die ganze Latrine ist einheitlich grün ausgeschlagen, sodass wir auch einen optischen Schlüsselreiz dem Tier bieten. In einer Wand ist eine Klappe, wenn man die öffnet, ist dahinter eine Belohnungsausgabe. In diesem Design wollten wir Kühe dahingehend trainieren: Wenn du urinierst, geh in die Latrine, uriniere dort, und dann gibt es eine Belohnung in dieser Belohnungsausgabe.
Krauter: Und was ist passiert, wenn die Kuh keine Lust hatte, in die Latrine zu gehen?
Langbein: Wenn die Kuh nicht in die Latrine pinkelt, sondern auf dem Gang sozusagen den Urin lässt, dann gibt es eine Strafe, wobei Strafe hier in Anführungsstrichen zu setzen ist: Wir arbeiten mit einer dreisekündigen Dusche von oben. Mögen die Kühe nicht, ist vor allen Dingen der Schreckmoment, der sie abstößt.
Erfolgreiches Training
Krauter: Wie erfolgreich war diese Art des Trainings? Also wie viele Kühe haben nachher immer an der gewünschten Stelle ihre Notdurft verrichtet?
Langbein: Wir haben jetzt also insgesamt, wie ich schon sagte, fünf Durchgänge absolviert, in denen wir jeweils acht bis zehn Kälber trainiert haben. Die waren alle weiblich und im Alter von etwa fünf Monaten. In den letzten beiden Durchgängen haben wir von den 16 Tieren, die dort trainiert wurden, elf erfolgreich trainiert. Das heißt, sie haben alle die verschiedenen Stufen des Lernprozesses erfolgreich absolviert und am Ende waren dann 76 Prozent aller Urination dieser Tiere in der Latrine. Das ist natürlich keine 100-prozentige Erfolgsquote, aber aus unserer Meinung her schon sehr gut.
Krauter: Das heißt, Kühe sind cleverer als man dachte.
Langbein: Ja klar, Kühe können viele Dinge lernen, beispielsweise in der Landwirtschaft die Benutzung eines Melkroboters können sie lernen oder die Betätigung von automatischen Bürsten können sie lernen. Warum sollten sie nicht auch lernen können: Geh zu einem bestimmten Platz und uriniere dort. Man muss das natürlich immer mit einer Belohnung verknüpfen.
Automatisiertes Training angestrebt
Krauter: Gut, also Ihre Experimente zeigen jetzt praktisch an Kälbern: Ja, es geht, man kann denen kontrolliertes Ausscheidungsverhalten beibringen. Wie schätzen Sie denn jetzt aber die Chancen ein, dass sich das auch in der Praxis bewähren könnte? Also wie realistisch ist es, dass sich Milchbauer oder Rinderzüchter künftig die Mühe machen, ihre Kälber so zu schulen?
Langbein: Ja, man kann natürlich nicht damit rechnen, dass der Bauer sich jetzt hinstellt und seine Kälber in großer Stückzahl über neun Tage – so lange hat es bei uns etwa gebraucht, bis die Tiere das verinnerlicht hatten –, dass er sie so lange trainiert. Wir arbeiten aber mit unseren Partnern in Celle und Neuseeland auch daran, und insbesondere Frau Nele Dirksen, unsere Doktorandin in dem ganzen Projekt, arbeitet mit daran, dass wir mittels dem Einsatz von Wärmebildkameras schon beim Kalb, das in so einem Kälber-Iglu gehalten wird mit einem Innenbereich und einem Außenbereich, erkennen wollen, wenn das Kalb im Iglu oder außerhalb des Iglus uriniert oder vielleicht auch Kot absetzt, durch den Temperaturgradienten dann von dem aus dem Körper kommenden Urin gegenüber der Umgebungstemperatur und dann möglicherweise dort automatisiert das Ganze gekoppelt mit einer Belohnungsausgabe oder auch mit einer wie auch immer gearteten Bestrafung, sodass man dann das ganze Training automatisiert anbieten könnte. Bis wir da hinkommen, dauert es natürlich noch eine Zeit. Das heißt also, man kann nicht damit rechnen, dass wir in den nächsten ein, zwei Jahren da die perfekte Lösung den Bauern anbieten können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.