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Tolle Idee! Was wurde daraus?
Ein Medikament, das vor Strahlenschäden schützt

2014 haben Forscher aus Kalifornien ein Medikament präsentiert, das Opfer eines nuklearen Unfalls vor Strahlenschäden schützen kann. Seitdem ist es ruhig geworden um das Präparat. Nun melden sich Wissenschaftler zurück mit einer Anwendungs-Idee, von der deutlich mehr Menschen profitieren könnten.

Von Claudia Doyle | 17.07.2018
    Ein verlassener Vergnügungspark in der Geisterstadt Pripjat bei Tschernobyl
    Geigerzähler misst radioaktive Strahlung in der Geisterstadt Pripjat bei Tschernobyl (imago stock&people / Thomas Lebie)
    Cullen Taniguchi ist heute Radioonkologe am MD Anderson Krebsforschungszentrum in den USA. 2014 arbeitete er noch an der Universität Stanford. Dort hat er gezeigt, dass DMOG den Darm von Mäusen vor Strahlenschäden schützen kann. Radioaktive Strahlung greift besonders stark die Darmschleimhaut an und zersetzt sie. Dadurch können Darmbakterien in die Blutbahn einwandern und eine Blutvergiftung auslösen, die häufig tödlich endet. Doch wenn Cullen Taniguchi den Mäusen DMOG verabreichte, überlebte die Mehrzahl der Tiere eine normalerweise tödliche Strahlendosis. Aber sind die Ergebnisse auch auf den Menschen übertragbar? Cullen Taniguchi:

    "Das versuchen wir gerade herauszufinden, und das ist im Grunde, womit ich mich die letzten vier Jahre beschäftigt habe."
    Doch mit DMOG selbst forscht der Radioonkologe inzwischen nicht mehr, denn dieses Molekül wird im Körper viel zu schnell abgebaut.

    "Wir nutzen jetzt eine bessere Version von DMOG. Das Medikament heißt FG 4592, was nicht besonders einfach auszusprechen ist, und der Markenname lautet Roxadustat, aber das ist auch nicht viel besser. Es wurde als Medikament gegen Blutarmut entwickelt, und die klinischen Phase-3-Studien sind bereits abgeschlossen. Es ist zwar noch nicht von der Arzneimittelbehörde zugelassen, aber der Prozess ist schon sehr weit fortgeschritten. Also dachten wir uns, dass wir dieses Medikament daraufhin testen können, ob es ebenfalls vor Strahlenschäden schützt."
    Bauchspeicheldrüsenkrebs im Visier
    Der Wirkmechanismus von DMOG und FG 4592 ist prinzipiell der gleiche. Sie gaukeln den Zellen einen Sauerstoffmangel vor. Der stimuliert die Produktion roter Blutkörperchen; daher die Anwendung als Medikament gegen Blutarmut. Gleichzeitig schützt er die Zellen aber vor Strahlenschäden. Cullen Taniguchi möchte das Mittel vor allem dazu nutzen, Krebspatienten eine effizientere Behandlung zu ermöglichen.
    "Ich behandle Bauchspeicheldrüsenkrebs, was wirklich eine der tödlichsten Krebsarten ist. Der einzige Weg zur Heilung besteht darin, den Tumor chirurgisch zu entfernen, aber das kommt nur bei zehn bis fünfzehn Prozent der Patienten in Frage."
    Bei allen anderen Patienten wuchert der Tumor zu nah an wichtigen Organen oder Blutgefäßen, sodass eine sichere Operation unmöglich ist. Aber auch die Bestrahlung, eine erfolgreiche Behandlungsmethode beispielsweise bei Lungenkrebs, ist bei Bauchspeicheldrüsenkrebs nicht möglich.

    "Wir haben nur eine Bauchspeicheldrüse, und sie sitzt direkt neben Darm, Leber und Magen. Wenn man versuchen würde, den Tumor mit energiereicher Strahlung anzugreifen, würde man eher ein Loch in Magen, Darm oder Leber brennen, bevor man den Tumor abtötet. Stattdessen geben wir den Patienten also eine niedrige Strahlendosis, die keinen Schaden anrichtet, aber dem Krebs auch überhaupt nichts ausmacht."
    Die Marktzulassung steht noch aus
    Diese ineffiziente Therapie will Cullen Taniguchi verbessern, und FG 4592 soll dabei helfen. An Mäusen mit Bauchspeichelkrebs hat er getestet, wie sich eine Kombination aus FG 4592 und hochenergetischer, zielgerichteter Tumorbestrahlung bewährt.

    "Wir haben herausgefunden, dass die Mäuse tatsächlich länger überleben. Jetzt würden wir diese Behandlungsform gern Patienten mit Bauchspeicheldrüsenkrebs anbieten, die nicht operiert werden können."
    Die Ergebnisse von Taniguchis Studien sind bisher noch nicht veröffentlicht, liegen aber bei wissenschaftlichen Fachmagazinen zur Begutachtung vor. Derweil wartet der Radioonkologe sehnsüchtig darauf, dass FG 4592 die Marktzulassung als Medikament gegen Blutarmut erhält. Dann könnte er es relativ unkompliziert als sogenanntes Off-Label-Medikament für seine Patienten einsetzen. In der Zwischenzeit testet er einen anderen Wirkstoff namens GC 4419. Dieses Molekül, entwickelt von der Pharmafirma Galera, reduziert strahlenbedingte Schleimhautentzündungen bei Patienten mit Kopf-Hals-Karzinomen um 40 Prozent.

    "Es ist das erste Mal, dass ein Medikament so eine gute Wirkung gezeigt hat. Und die Pharmafirma möchte jetzt zeigen, dass ihr Wirkstoff auch bei der schwierigsten aller Krebsarten wirkt, dem Bauchspeicheldrüsenkrebs."
    Seit vier Monaten läuft die erste Phase-1-Studie, vier Patienten hat Cullen Taniguchi bereits rekrutiert. Während also DMOG in der Versenkung verschwunden ist, zeigen andere Wirkstoffkandidaten vielversprechende erste Ergebnisse.