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Tolle Idee! Was wurde daraus?
Energiewandlung: Tüfteln am Freikolbenmotor

Es war eine klassische Garagen-Entwicklung eines einzelnen Tüftlers: der Freikolbenmotor, den Frank Stelzer zu optimieren versuchte. Immer wieder haben Ingenieure versucht, das Prinzip zu nutzen, zum Beispiel um direkt aus einem Kraftstoff Strom zu erzeugen. Doch der Durchbruch bleibt bisher aus.

Von Hellmuth Nordwig | 10.08.2021
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Das Unternehmen SWEngin und das DLR forschen an einem Freikolben-Lineargenerator. (Markus Rausch, DLR, SWEngin GmbH)
Ein Verbrennungsmotor muss nicht so aussehen wie ein Diesel- oder Benzinaggregat im Auto. Es gibt zahlreiche andere Konzepte. Zum Beispiel eines, das Frank Stelzer vor 25 Jahren im Deutschen Museum präsentiert hat. Das Bayerische Fernsehen berichtete damals:
"Frank Stelzer, der Daniel Düsentrieb aus Oberursel, hat alles, was einen Erfinder auszeichnet: keine akademischen Titel, keinerlei fachliche Grundlagen. Und trotzdem oder gerade deswegen ist es ihm geglückt, diese neuartige Zweitakt-Brennkraftmaschine mit frei fliegendem Stufenkolben zu erfinden."
Beim Automotor treibt der Kolben eine Kurbelwelle an. Verbunden sind die beiden über eine Pleuelstange. Beim Freikolbenmotor gibt es so eine Verbindung nicht, daher der Name. Die Explosion der Verbrennung schleudert den im Motorgehäuse frei liegenden Kolben weg und lässt ihn direkt Arbeit verrichten. Nicht um Autos anzutreiben ist der Motor gedacht, sondern zum Beispiel um Druckluft zu erzeugen. Dafür wurde bereits in den deutschen U-Booten im Zweiten Weltkrieg eine Freikolbenmaschine eingesetzt. Erfunden hat Frank Stelzer das Prinzip also gar nicht, und trotzdem benannte er es - wie hier 1996 - gerne nach sich:
"Der Stelzer-Motor erzeugt die Energieform, die man haben möchte, direkt. Das heißt, der verlängerte Kolben erzeugt Pressluft oder Öldruck, fördert Wasser oder setzt die Frequenzen direkt in elektrische Energie um."

Alte Idee wieder aufgegriffen

Letzteres ist die derzeit aussichtsreichste Anwendung - als Generator. Zunächst wurde es aber still um die Freikolbenmaschine, nachdem der rührige Frank Stelzer ein Jahr nach der Präsentation im Deutschen Museum starb. Doch 2003 griff das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt die Idee wieder auf. Am DLR-Standort Stuttgart forscht man bis heute am Freikolbenprinzip - gemeinsam mit einem kleinen Unternehmen am Münchner Stadtrand, der Firma Swengin. Markus Rausch ist dort Entwicklungsingenieur und sagt über Frank Stelzer:
"Geniale Idee von einem einzelnen Menschen, der gesagt hat: Ich habe eine Idee und versuche, in meiner Garage das jetzt umzusetzen. Aber die Herangehensweise beim DLR oder bei uns war eine komplett andere, dass wir nämlich gesagt haben: Wir haben ein Endziel, aber wir wollen erstmal das Verfahren verstehen. Wir haben versucht, jede einzelne Komponente in sich zu optimieren."
Das Endziel, das heißt bei Swengin: Nicht Bewegung, sondern direkt Strom aus der Verbrennung eines Kraftstoffs zu erzeugen. Dazu ist der Kolben mit Magneten ausgestattet.
"Wir haben Permanentmagneten auf einer Läufereinheit. Die bewegt sich durch eine Magnetspule und induziert Strom."

Prüfungen am Vorprototyp

Das Prinzip ähnelt dem einer Schütteltaschenlampe. Auch dort wird ein Magnet durch eine Spule hin und her bewegt, und so leuchtet die Lampe ganz ohne Batterie. Beim Freikolbengenerator wird der Kolben mit den Magneten ebenfalls durch die Spule geschleudert, und eine Gasfeder wirft ihn in die Ausgangsposition zurück. Zahlreiche Anwendungen sind vorstellbar: Er könnte zum Beispiel als Stromaggregat auf Schiffen dienen oder entlegene Mobilfunkmasten versorgen. So weit ist es aber noch nicht.
"Wir haben den Vorprototyp, wie wir ihn nennen. Er steht am Prüfstand. Und es geht darum, den Verbrennungsbetrieb zu etablieren. So wurden erst mal die ganzen Laufwege, die Kompression und alles geprüft, die Gasfeder, der Verbrennungsmotor, und mit dem Lineargenerator eine gesteuerte Verbrennung erstmal etabliert. Wir sind jetzt auf dem Weg, das System autark zu betreiben, also zu zünden und laufen zu lassen für sich."
39 Prozent der chemischen Energie im Kraftstoff werden nach Angaben des Unternehmens in Strom umgewandelt - das ist etwa so viel wie bei Brennstoffzellen, die ebenfalls aus einem Kraftstoff Strom erzeugen. Ob Benzin oder Diesel verbrannt wird, Wasserstoff oder E-Fuels, das sei egal, sagt die Firma - ihre Software sorge dafür, dass der Generator selbst bei Teillast stets im optimalen Bereich laufe. Klingt gut, hat aber einen Haken: Man muss es einfach glauben. Wissenschaftliche Veröffentlichungen zum Freikolben-Generator gibt es nicht. Markus Rausch erklärt das so:
"In Europa haben wir momentan leider das Problem, dass der Verbrennungsmotor grundsätzlich etwas in Verruf geraten ist. Was ich sagen kann: Der asiatische Markt interessiert sich sehr."

"Noch bessere Werkstoffe erforderlich"

Und damit die Technologie dort nicht abgekupfert wird, wolle die Firma lieber noch unter dem Radar fliegen, bis alles fertig sei. Dass da noch Arbeit nötig ist, weiß auch Martin Dienwiebel, Professor am Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik. Er hat die Reibungsverhältnisse der Freikolbenmaschine untersucht. Was den Verschleiß angeht, seien noch bessere Werkstoffe erforderlich, sagt er, auch wenn der Generator grundsätzlich funktioniere. Bei Swengin wird also weiter geforscht, um Kunden von der Technologie überzeugen zu können. Ob mit mehr Erfolg als Frank Stelzer, der seinerzeit mangelnde Innovationsbereitschaft beklagte, bleibt abzuwarten.
"Nicht alle sind Idealisten. Es gibt Materialisten, und die produzieren natürlich das, was sie haben, so lange, wie sie dabei in den schwarzen Zahlen bleiben können. Es muss erst eine Rezession eintreten, damit die Firmen bereit sind, etwas aufzunehmen, was sie nicht mit den anderen untergehen lässt."
Zwei Rezessionen später bleibt festzuhalten: Nicht nur bei Swengin haben Ingenieure seitdem das Freikolbenprinzip immer wieder aufgegriffen. Doch daraus sind zwar Patente hervorgegangen, viel mehr aber auch nicht. Auch der Flugzeugmotorenhersteller MTU hat die Weiterentwicklung vor kurzem eingestellt. Auf den großen Durchbruch warten Freikolbenmaschinen also immer noch.