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Tolle Idee! Was wurde daraus?
Kernfusion im Kühlschrankformat

Der Italiener Andrea Rossi präsentierte 2011 eine vermeintlich bahnbrechende Erfindung: ein Gerät, das Energie durch Verschmelzung von Atomkernen erzeugen sollte. Die Fachwelt war misstrauisch, denn an der 'kalten Fusion' hatten sich schon andere die Finger verbrannt. Die Skepsis war berechtigt.

Von Frank Grotelüschen | 07.07.2020
Monteure arbeiten am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern) an dem 725 Tonnen schweren, ringförmigen Plasmagefäß für das Kernfusionsexperiment "Wendelstein 7-X".
Kernfusionsexperimente wie "Wendelstein 7-X" in Greifswald füllen riesige Hallen. Gelänge es, das Sonnenfeuer mit viel kleineren Apparaturen zu zünden, wäre das eine Sensation. (picture alliance / dpa / Stefan Sauer)
Anfang 2019 stellt der italienische Ingenieur Andrea Rossi in einer Internet-Präsentation seine Erfindung vor: ein blauer Kasten, 40 Zentimeter breit, 93 Zentimeter hoch. Das Gerät heißt E-Cat, sieht aus wie ein kleiner Heizkessel und soll in der Tat Wärme erzeugen: bis zu 22 Kilowatt Leistung - soviel wie ein gewöhnlicher Heizkessel liefert. Außergewöhnlich ist allerdings, wie die Wärme dem Entwickler zufolge erzeugt wird: nicht wie üblich durch eine chemische Verbrennung von Gas oder Öl, sondern durch einen Prozess, wie er üblicherweise nur im Inneren von Sternen passiert – die Verschmelzung von Atomkernen.
Das Ganze funktioniere nicht chemisch, sondern nuklear, erklärte Rossi vor laufender Kamera: "Allerdings nicht mit Stoffen wie Plutonium oder so. Stattdessen passieren da Kernprozesse, die kaum Strahlung erzeugen. Ein passender Begriff dafür wäre LENR." LENR - das Kürzel steht steht für niedrigenergetische Kernreaktion und ist neuer Begriff für eine alte Technik, die vor 30 Jahren große Hoffnungen weckte, die sogenannte kalte Kernfusion.
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Der von Andrea Rossi entwickelte 'Energiekatalysator ' (E-Cat) - hier bei einer Präsentation 2019 - soll durch Fusion von Atomkernen Wärme erzeugen, doch Fachleute bezweifeln das. (Youtube)
Umstrittene Technik in neuem Gewand
Das Forschungsfeld 'kalte Fusion' ist seit 1989 allerdings verbrannte Erde. Denn damals vermeldeten die beiden Chemiker Martin Fleischmann und Stanley Pons in den USA eine vermeintliche Sensation. Während normalerweise extrem hohe Drücke und Temperaturen, wie sie nur im Inneren von Sternen vorherrschen, nötig sind, um Atomkerne zu verschmelzen, behaupteten die beiden, ihnen sei das bei Zimmertemperatur gelungen, mit einem simplen Versuchsaufbau: "Es scheint so, als wäre es möglich, eine fortlaufende Fusionsreaktion mit einer relativ billigen Vorrichtung zu realisieren."
Pons und Fleischmann hatten Deuterium – schweren Wasserstoff – in einen Stab aus Palladium geleitet. Dort sollten die Deuterium-Kerne zu Helium verschmolzen sein, wobei Energie freiwurde, ganz ohne extreme Drücke und Temperaturen. Zunächst war die Fachwelt elektrisiert, denn es schien, als hätten Pons und Fleischmann eine Alternative zu den riesigen Versuchsanlagen gefunden, mit denen Physiker seit Jahrzehnten versuchten, das Sonnenfeuer auf der Erde zu zünden.
Keiner konnte das Experiment von Pons und Fleischmann reproduzieren
Doch die Ernüchterung folgte rasch, erzählt Sadri Hassani, Physiker an der University of Illinois, der sich intensiv mit dem Thema befasst hat: "Theoretiker haben bewiesen, dass die Behauptung von Fleischmann und Pons ein Ding der Unmöglichkeit war. Und Experimentalphysiker konnten den Effekt schlicht nicht reproduzieren, und zwar bis heute nicht."
Dennoch glauben manche bis heute an die kalte Fusion und machen munter weiter, wenn auch abseits der üblichen akademischen Pfade und unter einem neuen Label – der niedrigenergetischen Kernreaktion, kurz LENR. Allen voran Andrea Rossi, der italienische Ingenieur. In seinem E-Cat sollen die Kerne von Nickelatomen mit Wasserstoffkernen zu Kupfer verschmelzen, und zwar über Mechanismen, die höchst spekulativ sind, über völlig exotische physikalische Kraftfelder. "Das sind alles nur Behauptungen. Rossis Theorien und Annahmen haben mit Physik nichts zu tun", urteilt Sadri Hassani.
Technische Details verrät Andrea Rossi nicht
Auftrieb erhielt Rossi 2011, als sich schwedische Forscher sein Patent ansahen, ihm bescheinigten, dass Energie aus dem Apparat herauskomme und kein Betrugsversuch erkennbar sei. Einen tieferen Blick in das Innenleben seiner Fusionsmaschine verwehrte Andrea Rossi den Schweden jedoch - wie auch anderen Fachleuten. Nach den Einzelheiten seiner Erfindung befragt, antwortet der Italiener stets, die könne er nicht preisgeben. Vertrauensbildende Maßnahmen sehen anders aus. Und Forschern, die das Gerät gern kritisch unter die Lupe nehmen würden, möchte Rossi seinen E-Cat auch nicht zur Verfügung stellen. Begründung: Furcht vor Ideenklau. Deswegen liefere er seinen E-Cat nur auf Leasingbasis aus, sagt Rossi, gesteuert würden die Geräte von seiner Firma aus.
Misstrauen ist angebracht - Experten sprechen von Betrug
Prüfen lassen sich Andrea Rossis Behauptungen nicht. Auf Anfrage weigert sich der italienische Tüftler, auch nur den Namen eines einzigen seiner Kunden zu nennen. Dass Misstrauen angebracht ist, zeigen die Erfahrungen in den USA, sagt Sadri Hassani: "In den USA hatten einige Firmen in Rossis Technik investiert, doch die stellte sich als unbrauchbar heraus. Das endete vor Gericht, die Verfahren laufen wahrscheinlich heute noch. Das Ganze ist ein Schwindel, es funktioniert einfach nicht!"
Dass dennoch immer wieder Leute darauf reinfallen und Geld in die vermeintliche Wundertechnologie ‚kalte Fusion‘ investieren, könne nur einen Grund haben, meint Hassani: ein eklatanter Mangel an naturwissenschaftlichem Verständnis.