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Tolle Idee! Was wurde daraus?
Künstliche Spinnenseide

Laufschuhe, Staubsaugerbeutel, Brustimplantate: Zahlreiche Visionen hatten Forscher, als sie die beeindruckenden Eigenschaften von Spinnenseide kopieren und diese künstlich herstellen wollten. Die industrielle Produktion funktioniert inzwischen - bei der Vermarktung allerdings hakt es noch.

Von Frank Grotelüschen | 25.09.2018
    Tautropfen hängen an einem Spinnennetz
    Die beeindruckende Stabilität von Spinnenseide versuchen Forscher in industriellen Verfahren zu kopieren (picture alliance / dpa - Ralf Hirschberger)
    "Wir haben uns die Gartenkreuzspinne quasi als Haustier genommen. Von der ist das Material abgeleitet."
    Hendrik Bargel arbeitet am Lehrstuhl für Biomaterialien der Universität Bayreuth. Das Material, von dem er spricht, ist künstliche Spinnenseide. Der Weg dahin war weit: Zunächst mussten die Fachleute die Seidenproteine molekularbiologisch untersuchen und die für ihre Produktion zuständigen Gene finden und analysieren. Dann konnten sie sich daran machen, das Spinnenseiden-Protein künstlich herzustellen, mit Hilfe der Biotechnologie.
    "Man kann daraus künstliche Gene herstellen. Diese künstlichen Gene kann man in einen Wirtsorganismus übertragen. Es ist in diesem Falle ein Darmbakterium. Die sind prädestiniert dafür, dass man sie in der Proteinproduktion einsetzt. Und darüber haben wir es geschafft, mengenmäßig sehr viel Spinnenseidenmaterial herzustellen."
    Reißfeste Fäden dank Elektrospinnen
    Gentechnisch veränderte E.-Coli-Bakterien als Spinnenseiden-Produzenten also. Mittlerweile klappt das wie am Schnürchen, sagt Bargels Chef Thomas Scheibel.
    "Wir haben an der Universität zunächst mit Zehn-Liter-Reaktoren angefangen. Mittlerweile läuft es in 120.000-Liter-Reaktoren in großen Fabriken. Damit ist es möglich, Spinnenseiden-Proteine im Tonnen-Maßstab mithilfe von Bakterien herzustellen."
    Nur: Allein das Protein zu erzeugen, genügte noch nicht. Zusätzlich mussten die Forscher herausfinden, wie sich aus dem Protein reißfeste Fäden machen lassen.
    "Man hat eine viskose Spinnenseiden-Lösung. Die wird mit Hilfe einer Spritze in ein elektrisches Feld eingebracht. Die elektrischen Felder führen dazu, dass das Lösungsmittel verdampft. Und durch die elektrostatische Anziehung entsteht dann aus kleinsten Tröpfchen ein Faden, wenn man alles richtig macht."
    Elektrospinnen, so heißt das Verfahren. Damit lassen sich künstliche Fäden unterschiedlicher Dicke herstellen - zehn Nanometer fein, aber auch ein paar Mikrometer dick.
    Leichter Laufschuh - noch nicht vermarktet
    Vor einigen Jahren gründete Scheibel mit Partnern die Firma AMSilk. Das Ziel des Münchener Startups: eine breite Vermarktung der künstlichen Seide.
    "Da kann man sich alle möglichen Textilanwendungen vorstellen. Wir haben zusammen mit einem großen Sporthersteller schon einen Prototyp für einen Laufschuh erstellt."
    Bei gleicher Festigkeit ist dieser Laufschuh leichter als die üblichen Modelle. Nur: Zu kaufen gibt es ihn noch nicht.
    "Es liegt jetzt an den Firmen, die Produkte, die als Prototypen im Schrank stehen, jetzt auf den Markt zu bringen."
    Hülle für Silikon-Brustimplantate in der Erprobungsphase
    Eine andere Idee: künstliche Spinnenseide als Hülle für Silikon-Brustimplantate. In Experimenten hat sie sich als durchaus körperverträglich erwiesen. Dadurch soll sie Abstoßungsreaktionen abmildern, wie sie bei Silikonimplantaten immer wieder mal auftreten können.
    Seit Februar wird das Verfahren in einer klinischen Studie in mehreren europäischen Ländern mit Patientinnen erprobt. Im Laufe des nächsten Jahres soll sie abgeschlossen sein. Bei erfolgreichem Verlauf plant ein Implantat-Hersteller ein entsprechendes Produkt auf den Markt zu bringen.
    Staubsaugerfilter braucht weniger Leistung
    Und dann sind Scheibel und sein Team auch noch an einer anderen Sache dran:
    "Seit 2013 sind stufenweise die Ausgangsleistungen der Staubsauger zurückgegangen. Seit 2017 dürfen Staubsauger, die in der EU verkauft, nur noch 900 Watt Ausgangsleistung haben. Es wird weniger Luft durch die Beutel gesaugt. Und so musste man sich überlegen: Wie kann ich die Beutel revolutionieren?"
    Bislang halten die Beutel den Staub durch relativ dicke Vliesstoffe aus relativ großen Fasern zurück. Der Nachteil: Luft durch diesen Filter zu saugen, braucht einiges an Leistung.
    "Wir haben das dicke Lagenvlies mit Fasern, die sehr dick waren, ersetzt durch eine Lage, die sehr dünne Fasern gemacht hat. Wir arbeiten mit Seidenproteinen. Daraus haben wir dann letztendlich einen neuen Filter hergestellt."
    Gemeinsam mit der Industrie entwickelten die Bayreuther einen Prototyp-Beutel. Statt 50 Gramm Kunststoff-Fasern enthielt er ein Zehntelgramm Spinnenseide, erzählt Hendrik Bargel. Er setzt dem Luftstrom deutlich weniger Widerstand entgegen und vergrößert dadurch die Saugleistung. Und:
    "Das Erstaunlichste war, dass wir mit sehr wenig Materialmenge eine sehr gute Partikelabscheide-Rate gehabt haben. Im Feinstaubfilter-Bereich gibt es bestimmte Normen, mit denen man das testet. Und die waren quasi durch alle Größenbereiche besser als die des kommerziellen Staubsaugerbeutels."
    Auch geringe Mehrkosten noch marktentscheidend
    Das Problem: Der Spinnenseiden-Beutel wäre teurer, wenn auch nur ein wenig, sagt Thomas Scheibel.
    "Wenn man bei einem kommerziellen Staubsaugerbeutel von einem Stückpreis von 2,30 Euro ausgeht, würde der Spinnenseiden-Beutel vielleicht drei oder vier Cent mehr kosten. Das ist nicht viel. Trotzdem ist das momentan noch marktbestimmend, dieser kleine Unterschied."
    Weshalb die Fachleute versuchen, die Proteinherstellung günstiger zu machen.
    Immerhin: In einem Bereich gibt’s die künstliche Spinnenseide bereits zu kaufen - in Kosmetika. Diverse Cremes mit dem Spezialprotein sollen - so verspricht es die Werbung - für einen atmungsaktiven Schutz auf Haut und Haar sorgen.