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Tolle Idee - Was wurde daraus?
Mit Joghurt gegen Karies

Vor Jahren forschten Mikrobiologen an einem Joghurt, der Karies bekämpfen sollte. Die Laktobazillen des Joghurts wurden entsprechend verändert und in Tierversuchen zeigte sich, dass das Prinzip funktionierte. Letztendlich wurden die Forschungen aber eingestellt - die Industrie hatte kein Interesse.

Von Claudia Doyle | 03.12.2019
Ein Joghurtglas auf einer Blumenwiese
Laktobazillen, die zum Beispiel in Joghurt vorkommen, können nach einer gentechnischen Veränderung Kariesbaktierien bekämpfen. (picture alliance / dpa / imageBROKER / Creativ Studio Heinemann)
Karies ist in aller Munde. Bei Erwachsenen zwischen 35 und 44 Jahren sind durchschnittlich etwa elf Zähne von Karies befallen. Die Gründe dafür sind klar: Wir essen zu viel Zucker, putzen unsere Zähne nur kurz und oberflächlich und ignorieren die Zahnseide. Dadurch schaffen wir optimale Bedingungen für das Kariesbakterium Streptococcus mutans. Es heftet sich an unsere Zähne, produziert Säure und zerstört damit den Zahnschmelz. Ein Loch entsteht. Wie schön wäre es doch, wenn man Kariesbakterien einfacher Einhalt gebieten könnte als durch ausdauerndes, gründliches Putzen. Mit Joghurt zum Beispiel.
"My name is Harold Marcotte, I’m an associate professor here at Karolinska institute at the department of Laboratory Medicine and I am a microbiologist."
Harold Marcotte ist Mikrobiologe am Karolinska Institut in Stockholm und hat diese Idee eine Zeit lang verfolgt. Statt Joghurt kamen in seinem Labor aber nur die darin enthaltenen Laktobazillen zum Einsatz. Sie sind für den Menschen ungefährlich und können sich im Mundraum oder im Magen-Darm-Trakt ansiedeln.
"Wir haben die Laktobazillen dazu gebracht, ein spezielles Antikörper-Fragment herzustellen. Dieser Antikörper bindet an ein Protein auf der Oberfläche der Kariesbakterien. Und dadurch wird Streptococcus mutans daran gehindert, sich an den Zähnen abzulagern. Wir haben Ratten mit Kariesbakterien infiziert und ihnen dann Trinkwasser mit diesen gentechnisch veränderten Laktobazillen gegeben. Ihre Kariesrate hat sich dadurch tatsächlich verringert."
Anti-Karies-Joghurt scheiterte am Interesse der Industrie
Normalerweise überleben Antikörper in der Mundhöhle nicht lange, sie werden von Enzymen im Speichel sehr schnell abgebaut. Doch die Laktobazillen produzieren ständig neue Antikörper, daher können sie die Kariesbakterien effizient binden und unschädlich machen. Einen Anti-Karies-Joghurt haben die Wissenschaftler dennoch nicht entwickelt. Der Grund: Mangelndes Interesse von Industrie und Investoren.
"Wir wollten einfach zeigen, dass unsere Idee funktioniert. Wenn eine Firma Interesse gehabt hätte, dann hätten wir daraus Produkte entwickeln können. Aber unsere Ziel war, diesen Ansatz weiterzuverfolgen und auf Erreger von Magen-Darm-Krankheiten anzuwenden."
Neuer Gegner: Rotaviren statt Kariesbakterien
Denn noch immer arbeitet Harold Marcotte mit Laktobazillen, allerdings ist sein Gegner heute das Rotavirus. Diese Viren verursachen schlimme Magen-Darm-Erkrankungen. 500.000 Menschen sterben jedes Jahr daran. Gefährdet sind vor allem Säuglinge und Kleinkinder, deren Immunsystem sich erst noch entwickeln muss. Zwar existieren inzwischen zwei Impfstoffe gegen Rotaviren, doch beide haben ein Problem.
"Die Impfstoffe wirken in Entwicklungsländern nicht so gut. Ihre Effizienz in westlichen Ländern liegt vielleicht bei 90 Prozent, aber in Entwicklungsländern in Afrika oder Südasien nur bei 50 Prozent."
Grund dafür ist vermutlich, dass Menschen in diesen Ländern häufig noch unter anderen Krankheiten wie HIV oder Tuberkulose leiden. Die schwächen das Immunsystem und führen dazu, dass es nicht richtig auf die Impfung reagiert.
Harold Marcotte setzt deshalb wieder auf Laktobazillen als Helfer. Er hat sie mit Gentechnik dazu befähigt, Antikörper gegen Rotaviren auf ihrer Oberfläche herzustellen und damit die gefährlichen Keime im Darm unschädlich zu machen. Diese besonderen Bakterien könnten als Tablette, in Wasser aufgelöst oder – ja, auch in Joghurt verabreicht werden. Allerdings nicht nur einmalig, sondern regelmäßig in den ersten Lebensjahren der Kinder, wenn die Gefahr am größten ist.
Bakterien als Teil eines Nahrungsmittel könnten helfen
"Es ist sehr schwierig, einen Bakterienstamm in den Magen-Darm-Trakt einzubringen, der dort für immer überlebt. Unsere Bakterien schaffen das für ein paar Tage oder Wochen, maximal einen Monat. Die Idee ist also, dass man regelmäßig aller ein bis zwei Wochen diese guten Bakterien verabreichen müsste, damit sie im Darm verbleiben und effizient gegen Rotaviren wirken. Wenn die Bakterien Teil eines Nahrungsmittels wären, wäre das natürlich wieder ein Vorteil."
Die ersten Versuche an Mäusen waren erfolgreich. Sofern sich ein interessierter Geldgeber findet, könnten klinische Studien starten. Im Gegensatz zu Impfstoffen aus Antikörpern schätzt Marcotte die Herstellung seiner Laktobazillen als preisgünstig ein.
"Der Vorteil gegenüber anderen Produktionssystemen von Antikörpern ist, dass wir sie nicht aufreinigen müssen. Wir müssen nur die Bakterien im Fermenter wachsen lassen, die produzieren dann die Antikörper. Das wird viel billiger als reine Antikörper herzustellen."
Mit Milchsäurebakterien will der Mikrobiologe Marcotte nicht nur Rotaviren bekämpfen. Er arbeitet auch an Strategien gegen die Durchfallerreger Clostridium difficile und Norovirus sowie an einem Schutz vor Infektion mit HIV.