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Tolle Idee – Was wurde daraus?
Mülltrennung mit Blitzschlägen

Derzeit landet die Asche aus der Müllverbrennung überwiegend auf der Deponie, dabei befinden sich darin noch wiederverwertbare Bestandteile wie Kupfer und Aluminium. Fraunhofer-Forscher haben deshalb ein Verfahren entwickelt, die Asche weiter zu trennen – mit künstlichen Blitzen.

Von Frank Grotelüschen | 23.07.2019
Ein Kraftwerker transportiert Müll mit einem Kran zum Verbrennen in einer Müllverbrennungsanlage der EEW Energy from Waste in Hannover.
"Wir können diese Asche noch weiter in die Bestandteile zerlegen und somit dem Recycling-Prozess zuführen", sagt der Fraunhofer-Forscher Florian Hess. (picture alliance / dpa - Julian Stratenschulte)
Florian Hess: "Es sind in bayerischen Maßstäben drei Maß Wasser in diesem Prozess-Gefäß enthalten. Es ist reinstes Leitungswasser."
Holzkirchen bei München, das Fraunhofer-Institut für Bauphysik. Florian Hess hat seine drei Maß Wasser in ein Spezialgefäß geschüttet. Dann gibt er noch ein paar Brocken hinzu – ziemlich dunkel und ein bisschen ekelig.
"Das ist Müllverbrennungsschlacke – prinzipiell ja Asche, was normalerweise nach der Müllverbrennung auf Deponien abgeladen wird. Wir können diese Asche noch weiter in die Bestandteile zerlegen und somit dem Recycling-Prozess zuführen."
Hess setzt das Gefäß mitsamt Wasser und Asche in eine Apparatur ein, die aussieht wie ein Heizungskessel. Dann schließt er eine schallgedämmte Tür und gibt per Touchscreen das Startsignal. Wenige Sekunden später dröhnt ein Hämmern durch den Raum, genau 30 Schläge. Hess öffnet die Tür, holt das Gefäß heraus und gießt den Inhalt über einem Sieb ab, wie ein Goldwäscher.
Sein Kollege Sebastian Dittrich nimmt das Ergebnis in Augenschein – ein Durcheinander an Steinchen, Glas und Metallklümpchen.
Sebastian Dittrich: "Das ist Aluminium, das man vorher in dem grauen Aschenmaterial nicht unbedingt detektiert hätte. So könnte man zum Beispiel Aluminium und Kupfer deutlich besser rückgewinnen. Was man ja auch sehr schön sieht, sind Gläser, die auch sehr schön einem Recycling wieder zugeführt werden können."
30 kontrollierte Blitzschläge
Die Maschine hat die Aschebrocken in ihre Bestandteile zerlegt – allerdings nicht durch mechanisches Hämmern, sondern durch starke Stromstöße.
"Wir arbeiten mit Spannungen bis zu 180 Kilovolt. Das ist ganz klassisch eine Hochspannung."
Wie Blitze fahren die Stromstöße durch die Aschebrocken. Diese bestehen aus vielen verschiedenen Körnchen, die fest aneinander backen. Das Entscheidende: Die Blitze fahren durch die Nahtstellen zwischen den Körnchen. Hier ist der elektrische Widerstand am kleinsten.
Sebastian Dittrich: "Der Blitz fließt genau an diesen Korngrenzen entlang. Dann habe ich dieses Auseinanderreißen von innen. Und das erfolgt genau entlang von Phasen-Grenzen."
Wenn man so will reißen die Blitze den Klebstoff zwischen den Körnchen auseinander. Der Aschebrocken zerplatzt in seine Einzelteile.
Ein Sieb mit wiedergewonnen Rohstoffen aus der Asche entstanden aus Müllverbrennung
Mithilfe elektrischer Entladung können aus Asche Rohstoffe wiedergewonnen werden (Deutschlandradio / Frank Grotelüschen)
Jetzt hält Florian Hess einen kleinen Betonbrocken in der Hand, ein Rest vielleicht von irgendwelchen Abrissarbeiten. "Ich sage jetzt einmal Kinderfaust-groß und eine Masse von ungefähr 400 Gramm."
Es folgt dieselbe Prozedur: Einsetzen in die Fragmentierungs-Anlage, 30 kontrollierte Blitzschläge, Abgießen über dem Sieb, Begutachtung des Resultats.
Sebastian Dittrich: "Hier sieht man sehr schön die verschiedenen Gesteins-Körnungen. Wir haben hier Kalkstein-Splitt und Kieskörnung, also das was man klassisch in einem Beton finden würde."
Der Zement dagegen, der den Beton zusammengehalten hatte, findet sich nicht auf dem Sieb. Er ist im Prozesswasser gelöst, es ist sichtbar trübe.
Dittrich: "Dieses Material würden wir jetzt über den Filter zurückgewinnen, um es dann einem Recycling zuzuführen."
Pilotanlage in Planung
Brauchbar wäre das Filtrat als Bausand – ein Gut, das ja immer knapper wird. Also: Das Prinzip der elektrodynamischen Fragmentierung funktioniert, das haben die Forscher mittlerweile herausgefunden. Auch Pressholz und Elektroschrott ließe sich damit trennen. Und im Bergbau könnte es helfen, ohne giftige Chemikalien an das Gold im Erz heranzukommen. Nur: Braucht es nicht eine Menge Energie, um die künstlichen Blitze zu erzeugen? Nicht unbedingt, meint Dittrich. Jedenfalls nicht mehr als bei konventionellen Verfahren zur Mülltrennung.
"Die Werte, die wir berechnet haben, liegen bei zwei bis drei Kilowattstunden pro Tonne für die Anlage. Wir sind da definitiv auf einem Energie-Level, das mit einem Backenbrecher oder mit einer größeren Mühle konkurrenzfähig ist."
Bis zum praktischen Einsatz aber ist der Weg noch weit. Der bisherige Prototyp, die Anlage in Heizkessel-Größe, kann nur kleine Mengen bewältigen und muss per Hand be- und entladen werden. Eine Industrieanlage müsste Tonnen an Asche und Bauschutt kleinkriegen können – und zwar automatisch. Deshalb planen die Fachleute nun den nächsten Schritt – eine Pilotanlage, die eine Tonne pro Stunde verarbeiten soll. Zumindest die Halle dafür soll im nächsten Jahr stehen. Der Einsatz in der Industrie aber dürfte noch auf sich warten lassen.
Sebastian Dittrich: "Da reden wir fünf bis zehn Jahre, bis sowas seriös produziert werden kann und angewendet werden kann."