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Tolle Idee! Was wurde daraus?
Tiefe Hirnstimulation gegen Depression

Die tiefe Hirnstimulation mittels Elektroden galt als Hoffnungsschimmer für chronisch Depressive. Eine Zulassungsstudie in den USA wurde jedoch abgebrochen, weil sich kurzfristig keine Besserung bei den Patienten einstellte. Erst später stellte sich heraus, dass die Behandlung langfristig erfolgen muss, um zu wirken.

Von Anneke Meyer | 06.11.2018
    Eine Elektrode zur Tiefenhirnstimulation ist am 11.07.2017 bei der Eröffnung der neuen Firmenzentrale vom Medizinsoftwarehersteller Brainlab in München (Bayern) im Gehirn eines Dummys zu sehen. Brainlab entwickelt die Software, die dem Chirurgen mit Hilfe eines stereotaktischen Rahmens die präzise Orientierung innerhalb des Gehirns ermöglicht, um auch in tiefen Hirnregionen eine bestimmte Struktur zu treffen. Elektroden werden zum Beispiel zur Behandlung von Parkinson-Patienten eingesetzt. Brainlab entwickelt Software- und Hardware-Lösungen in den Bereichen Chirurgie und Radiotherapie.
    Mit Elektroden können durch eine präzise Orientierung tiefe Hirnregionen stimulier werden (dpa / picture alliance / Matthias Balk)
    "Ich hatte eine Patientin, die in einem BBC-Beitrag beschrieb, wie es sich anfühlt, ein Cyborg zu sein. Und sie sagte, depressiv zu sein, bedeutet, kein Mensch mehr zu sein. Durch den Hirnstimulator ist sie wieder zu einer mitfühlenden Person geworden, die sich für ihre Umwelt interessiert", erzählt Helen Mayberg.
    Es sind Erfolgsgeschichten wie diese, die tiefe Hirnstimulation für schwer Depressive zu einem letzten Hoffnungsanker machen. Tiefe Hirnstimulation, das bedeutet Elektroden, so lang wie Stricknadeln, ins Gehirn implantiert. Was in der Behandlung von Parkinson seit den späten 1990er Jahren ein zugelassenes Verfahren ist, könnte sich auch bei Depressionen bewähren. Meint Helen Mayberg, Professorin an der Mount Sinai Icahn School of Medicine und Vorreiterin des Feldes.
    Im Jahr 2003 war sie die Erste überhaupt, die einen hochgradig depressiven Patienten mit einem Hirnschrittmacher versorgte. Inzwischen hat sie einige Dutzend so behandelt. "Wenn wir die richtige Stelle im Gehirn stimulieren, fühlen sich die Patienten sofort besser, wieder mit der Welt verbunden. Sie sagen 'Ich bin wieder ich', noch während sie auf dem Operationstisch liegen."
    Gut 60 Prozent ihrer Patienten gehe es auch Jahre nach der Operation deutlich besser als vorher, sagt Helen Mayberg, einige lebten sogar beschwerdefrei. Auch andere Forschergruppen in den USA, Deutschland und Spanien berichten über spektakuläre Erfolge.
    Kann ein Draht im Hirn also schwere Depressionen dauerhaft heilen?
    In Frage gestellt wird das ausgerechnet durch eine große industriefinanzierte Studie, die in den USA zur offiziellen Zulassung hätten führen sollen. Der Grund: Beim Vergleich zwischen einer Patientengruppe mit eingeschaltetem Hirnschrittmacher und einer "Placebo-Gruppe" mit ausgeschaltetem Schrittmacher, zeigte sich nach sechs Monaten kein Unterschied im Behandlungserfolg. Im Klartext, die tiefe Hirnstimulation brachte nicht mehr als eine Placebo-Behandlung.

    "That was certainly not, what they had projected, or anyone had projected." Nein, erwartet hatte das so sicher niemand, rekapituliert Helen Mayberg gegenüber Nature Neuroscience. Von den 60 Patienten mit aktivem Hirnstimulator ging es nach sechs Monaten nur 20 Prozent tatsächlich besser. Dabei waren die Fachleute davon ausgegangen, dass 50-60 Prozent profitieren. Eigentlich war die Untersuchung mit 200 Patienten geplant.
    In Anbetracht der schlechten Ergebnisse entschied der Sponsor 2013 aber, die Studie nach 90 Patienten abzubrechen. Die große Hoffnung ist geplatzt. Die Wissenschaftler sind verwirrt. Die Patienten verunsichert. Wie kann es sein, dass eine Behandlung, die in einer Vielzahl, wenn auch kleiner und nicht placebo-kontrollierter Studien, so erfolgsversprechend schien, in einer großen Studie mit Kontrollgruppe dermaßen floppt?
    Jeder vierte Patient war nach anderthalb Jahren symptomfrei
    Eine Erklärung lässt sich in Verlaufsdaten der Studie finden, die erst Ende 2017 veröffentlicht wurden. Vier Jahre nach ihrem Abbruch. Helen Mayberg: "Das Interessante an dieser Studie ist Folgendes: Für die Zulassung der Methode war das Befinden der Patienten nach 6 Monaten ausschlaggebend. Aber auch als diese sechs Monate rum waren, durften die Patienten ihre Hirnstimulatoren weiter benutzen. Und jene die es taten, fühlten sich mit der Zeit deutlich besser."
    77 der 90 Patienten entschieden sich den Hirnstimulator nach Ablauf der sechsmonatigen Studienzeit zu behalten. Alle, auch die Patienten in der Kontrollgruppe, erhielten von da an aktive Stimulation. Anderthalb Jahre später ging es der Hälfte der Patienten deutlich besser. Jeder Vierte war sogar symptomfrei. Eine Langzeiterfolgsquote, die das widerspiegelt, was die kleineren Studien vorab angedeutet hatten. Wissenschaftler, die von der Methode überzeugt sind, fühlen sich bestätigt. Für Patienten, die Hoffnung suchen, ist das aber kein Trost.
    Studie ist gescheitert - allerdings nicht die Behandlung
    Helen Mayberg: "Die Studie ist gescheitert, nicht die Behandlung. Das ist der Punkt, an dem wir jetzt stehen. Wir können tiefe Hirnstimulation weiter erforschen und verbessern. Aber die Patienten können derzeit nur davon profitieren, wenn sie an klinischen Studien teilnehmen."
    Das Scheitern der Zulassungsstudie hat deutlich gemacht, dass der unstrittige Erfolg von tiefer Hirnstimulation bei Parkinson nicht einfach auf Depressionen zu übertagen ist. Auch wenn die Methode wahrscheinlich doch auch bei Depression funktioniert - das Feld muss sich jetzt erstmal von dem Schock erholen.
    "Eine schnelle Lösung gibt es nicht", sagt Helen Mayberg. Ein Rat, den Helen Mayberg normalerweise ihren Patienten mit auf den Weg gibt. Wie es aussieht, wird sie ihn nun auch für ihre eigene Forschung annehmen müssen. Dass es in absehbarer Zeit einen neuen Zulassungsversuch geben wird, ob in den USA oder in Europa, ist unwahrscheinlich.