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Tolle Idee! - Was wurde daraus?

Technik. - Berliner Forscher präsentierten im Sommer 1999 ein Gerät, das Rinder an ihrem Nasenabdruck erkennt - so sicher wie unser Fingerabdruck. Damit sollte gerade in Zeiten von BSE die Identität der Tiere gesichert werden.

Von Ralf Krauter | 11.07.2006
    Der biometrische Reisepass für Rindviecher bleibt weiter eine Vision. Die Bildverarbeitungsexperten der Gesellschaft zur Förderung angewandter Informatik e.V. in Berlin-Adlershof haben die Pläne wieder in der Schublade verschwinden lassen. Im Jahr 2002 wurde das Projekt Rinderidentifikation mittels Nasenabdruck alias Flotzmaul offiziell eingestellt.

    Wer wissen will, was schief gelaufen ist, muss Überzeugungsarbeit leisten, bevor sich der damalige Projektleiter Professor Gerd Stanke dann doch zu einem Interview breit schlagen lässt. Schließlich könne auch der objektivste Bericht von irgendjemandem falsch verstanden werden, erklärt der Mann am Telefon. Ein paar Wochen und Telefonate später ist der Reporter dann doch willkommen in Adlershof. Und Gerd Stanke hat sogar ein Stückchen Kuhschnauze bereit gelegt. Kein echtes Flotzmaul, aber ein Abguss aus Silikon, in naturnahem Schweinchenrosa.

    "Und sie sehen: Auf dem Abguss gibt es Strukturen, die sehen nicht ganz so aus wie Fingerabdrücke, sondern ich könnte sagen, wie das Nildelta vielleicht. Man sieht Kanäle, man sieht Inseln. Und das Interessante war, dass diese Strukturen auf dem Flotzmaul das ganze Leben lang erhalten bleiben. Zwar nicht in ihrer skalierten Größe, aber in ihrer Form – so wie das bei dem Fingerabdruck ist."

    Das Konzept klang gut und kam zur rechten Zeit. Jedem neugeborenen Kalb sollte ein Nasenabdruck abgenommen werden, der nach Digitalisierung gemeinsam mit dem Rinderpass in einer zentralen Datenbank gespeichert wird. Bei Zweifeln an der Herkunft von Schlachtvieh hätte es genügt, dessen Nasenabdruck mit denen in der Datenbank zu vergleichen – genau so, wie das die Polizei bei Straftätern macht. Betrügereien mit getauschten Ohrmarken, die zu Hochzeiten der BSE-Krise manchem Züchter erwägenswert schienen, wären unweigerlich aufgeflogen.

    Erste Labortests verliefen viel versprechend: Die Bildverarbeitungssoftware konnte die eingescannten Nasenabdrücke verschiedener Kühe zuverlässig unterscheiden. Fördermittel flossen und ein Industriepartner fand sich auch. Nur die Kühe wollten nicht so recht. Die Gewinnung des Nasenabdrucks mit Tinte und Löschpapier erwies sich als schwierig.

    "Wir haben gezeigt, dass das geht. Aber nur an einem kleinen Kalb, also an Tieren, die sind vielleicht acht oder zwölf Wochen alt, die man noch manipulieren kann. Die kann ich noch unter den Arm nehmen. Ich vielleicht nicht, aber der Tierpfleger kann die unter den Arm nehmen. Dann haben wir einen speziellen Live-Scanner entwickelt, da wird mal kurz die Nase drauf gedrückt. Dann gibt’s einen Abdruck schwarz auf weiß, so wie man das von den Fingerabdrücken kennt. Und den kann man dann analysieren. Das kann man aber bei einem ausgewachsenen lebenden Tier nicht mehr machen. Dann wird man auf die Hörner genommen."

    Deshalb versuchten die Informatiker, die feuchte Riffelstruktur zwischen Oberlippe und Nüstern berührungslos zu erfassen. Sie installierten Kameras in Futterboxen und experimentierten mit dreidimensionaler Ultraschallvermessung des Flotzmauls. Doch weil Kühe nicht einfach mal eben stillhalten, taugte keins der Verfahren für den Einsatz im Stall.

    "Der entscheidende Schritt ist, wirklich praktikabel die Beschreibung so in den Rechner zu bringen, dass ich sie auch weiterverarbeiten kann. Und der ist bisher nicht gelöst."

    Wenn hochauflösende Digitalkameras in ein paar Jahren auch räumliche Bilder liefern, bekommt das Projekt Flotzmaul vielleicht noch eine Chance. Denn Bedarf an biometrischen Identifikationsverfahren für Nutztiere gibt es reichlich, auch nach Abklingen der BSE-Krise. Mittelfristig dürften dabei aber wohl eher tierische DNS-Tests das Rennen machen, räumt Gerd Stanke ein. War also doch alles für die Katz mit der Kuhschnauze?

    "Also die Arbeiten am Projekt haben wir formal im Jahre 2002 eingestellt. Wobei man als Wissenschaftler ja nie die Arbeit wirklich einstellt, sondern man überlegt, was kann ich mit dem, was ich erarbeitet habe in anderen Bereichen machen. Und das haben wir in einer Reihe von Ergebnissen in anderen Bereichen einfach getan."

    Der Schuhhersteller Birkenstock etwa benutzt ein in Adlershof entwickeltes Gerät zur Vermessung von Tierhäuten, das in der Lederindustrie derzeit für Furore sorgt. In einem Folgeprojekt versuchen die Berliner Forscher nun, auch die Lederqualität zuverlässig zu klassifizieren, indem sie seine Narbenstruktur mit Kameras analysieren. Die Erfolgsaussichten sind gut: Am toten Tier misst es sich leichter.