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Tolle Idee! – Was wurde daraus?

Technik. - Bremer Bionikexperten hatten 2004 eine künstliche Haifischhaut aus Silikon entwickelt, die Reedereien helfen sollte, Kosten zu sparen. Die fein strukturierte Oberfläche sollte unerwünschten Muschelbewuchs an Schiffsrümpfen stark verringern, den Strömungswiderstand reduzieren und damit den Treibstoffverbrauch senken.

Von Ralf Krauter | 08.08.2006
    Biofouling, so nennen Fachleute den biologischen Ballast, der Schiffen das Vorankommen erschwert. Der geschwulstartige Biobewuchs aus Seepocken, Muscheln und Algen kann den Strömungswiderstand um bis zu 15 Prozent erhöhen, der Treibstoffverbrauch steigt sogar um bis zu 50 Prozent. Bei einem typischen Containerschiff summieren sich die Mehrkosten im Jahr auf mehrere Millionen Euro. Um die blinden Passagiere von Schiffsrümpfen fernzuhalten, wurden lange toxische Antifouling-Anstriche auf Basis von Tributylzinn eingesetzt. Weil die Gifte auch ins Meerwasser gelangen, sind sie seit 2003 verboten. Brauchbare Alternativen, die ähnlich zuverlässig wirken, sind Mangelware. Deshalb haben sich Bioniker von der Fachhochschule Bremen in der Natur umgeschaut und sind auf den Hai gekommen. Denn bei dem – das ist seit schon lange bekannt - haben die muschelförmigen Seepocken keine Chance, sich dauerhaft niederzulassen, erklärt Ralph Liedert.

    "Wir haben festgestellt, dass der Hai mit einer relativ cleveren Methode arbeitet. Und zwar mit Mikrostrukturen in Verbindung mit Elastizität. Das heißt, der Hai hat auf seiner Haut kleine Zähnchen aufgelagert, die - wenn man sie näher betrachtet - eine rillenartige Mikrostruktur aufweisen. Und diese Zähnchen sind auf einer bindegewebsartigen Haut eingelagert. Das heißt sie sind untereinander flexibel und können gebogen werden gegeneinander. Und die Kombination aus Flexibilität und Mikrostruktur macht es diesen Seepockenlarven relativ schwer, sich auf dieser Oberfläche festzusetzen."

    Wie ein Paillettenkleid, so wirkt die Haifischhaut unter dem Mikroskop. Der Nachbau aus dem Bremer Bionik-Labor ist simpler gestrickt. Eine dünne Schicht aus speziellem Silikon sorgt für die Elastizität. Eine eingeprägte Mikrostruktur mit haaresbreiten Hügeln und Gräben besorgt den Rest. Gummiweich und fast samtig fühlt sich das Ganze an. Auf Muscheln und Seepocken wirkt es ziemlich abstoßend – das belegen 2004 abgeschlossene Experimente mit Versuchsplatten, die monatelang in einem Hafenbecken im schleswig-holsteinischen Wattenmeer hingen.

    "Wir haben bei den Versuchen festgestellt, dass die Oberflächen, die wir entwickelt haben, knapp 70 Prozent weniger Bewuchs aufgewiesen haben als unbehandelte Oberflächen. Das heißt Seepocken haben Schwierigkeiten gehabt, sich auf den Oberflächen anzusiedeln. "

    Viel versprechende Ergebnisse also aus dem Jahr 2004. Aber um sie in ein marktreifes Produkt umzusetzen, braucht es weiteres Feintuning. Und das dauert. Zum einen, weil nur Langzeitexperimente aussagekräftige Ergebnisse liefern. Zum anderen, weil die Einrichtung des weltweit ersten Bionik-Studienganges an der Fachhochschule Bremen ihren Tribut fordert: Da Ralph Liedert nicht primär fürs Forschen bezahlt wird, kommt er seit Monaten nur sporadisch dazu. Aber immerhin: Kürzlich wurden mehrere Doktoranden eingestellt, die die Forschung vorantreiben sollen.

    "Wir haben massenhaft Anfragen von der Industrie schon, das ist richtig. Auf der anderen Seite muss man auch bedenken, dass das Projekt noch nicht so alt ist. Das heißt, wir wollen natürlich auch keine halb ausgegarte Technologie verkaufen, sondern wir versuchen natürlich, das, was wir herausgefunden haben, noch zu verbessern. Wir haben im Moment Bestrebungen, das Verfahren noch kostengünstiger zu machen und für Werften oder für Reparaturbetriebe, die Schiffe beschichten, die Handhabung mit dem Material einfacher zu machen. "

    Die Außenhaut eines Supertankers mit Riffelfolie zu bekleben, das wäre ziemlich aufwändig. Deshalb tüfteln die Forscher an einem Schutzlack, der beim Aushärten von allein die wirkungsvollen Mikrostrukturen erzeugt – durch Selbstorganisation. Die Patentverfahren laufen und warfen unter anderem schon die Frage auf, inwiefern die Riffelhaut nicht eine simple Kopie des Lotuseffektes ist. Der ist aus der Nanotechnologie bekannt und sorgt heute bei Autolacken dafür, dass das Wasser so schön abperlt.

    "Die Anhaftung an eine Oberfläche ist ein gesteuerter Prozess durch die Seepockenlarve, während solche Abperleffekte, die durch Nanooberflächen erzeugt werden, auf rein physikalischen Effekten beruhen. Also erniedrigte Oberflächenspannung zum Beispiel, dass sich so kleine Wasserkügelchen nur ausbilden, weil eben Oberflächen nicht komplett benetzt werden können."

    Allein schon deshalb, weil der Lotuseffekt unter Wasser gar nicht funktioniert, halten Ralph Liedert und sein Team den Neuigkeitswert der Technologie für gegeben. Wenn es die Patentanwälte genauso sehen, könnten bald die ersten Lizenzen verkauft werden. Interessenten stehen bereits Schlange – und zwar nicht nur in der Schiffsbranche. Auch Kraftwerksbetreiber zum Beispiel, denen Biobewuchs im Kühlkreislauf regelmäßig die Rohre verstopft, setzen große Hoffnung in die künstliche Haifischhaut aus Bremen.

    Beschreibung des Antifouling-Projektes
    Artikel in der Zeitschrift MARE vom Juli 2005
    Haihaut statt TBT-Farben: Forschung Aktuell-Beitrag vom Oktober 2004