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Tolle Idee, was wurde draus?
Hitze auf Rädern

Ein großes Potenzial für Heizwärme war lange Zeit ungenutzt: industrielle Abwärme. Vor sechs Jahren startete die Abfallwirtschaftsgesellschaft des Neckar-Odenwald-Kreises ein Projekt, um sie in die Wohnzimmer zu bringen - auf Rädern.

Von Karl Urban | 13.02.2018
    2408251434_2012_Wärm2Go (100) mid - copyright AWN.jpg Ein großes Potenzial für Heizwärme war lange Zeit ungenutzt: industrielle Abwärme. Vor sechs Jahren startete die Abfallwirtschaftsgesellschaft des Neckar-Odenwald-Kreises ein Projekt, um sie in die Wohnzimmer zu bringen - auf Rädern.
    Die eingesetzten Latentwärmespeicher funktionierten ähnlich wie ein Taschenwärmer, waren aber so groß wie ein LkW (AWN Neckar-Odenwald-Kreis)
    "Wir haben mittlerweile schon sehr viele Erfahrungen: Das sind Projekte mit Biogasanlagen, mit Biomasseheizanlagen."
    Stefan Kaufmann war 2012 Geschäftsführer der Abfallwirtschaftsgesellschaft des Neckar-Odenwald-Kreises. Sein Unternehmen verarbeitet kommunale Abfälle im ländlichen Raum: Hier gibt es zwar viel Müll aus Gewerbe und Landwirtschaft, aber nur wenige Ortschaften im Umkreis. Die in einem Biomassekraftwerk für Altholz entstehende Wärme wurde damals einfach an die Umgebung abgegeben - und das wollte Kaufmann ändern.
    "Also haben wir eine Möglichkeit gesucht, leitungsungebunden die Wärme in einer Entfernung von zehn bis 15 Kilometern einer Nutzung zuführen zu können. Und da blieb im Moment nur dieses Thema der mobilen Latentwärmespeicher-Nutzung."
    Die 2012 eingesetzten Latentwärmespeicher funktionierten ähnlich wie ein Taschenwärmer, waren aber so groß wie ein LKW. Über 20 Tonnen Natriumacetat - also ungiftiges Pökelsalz - wurden mit Abwärme aus dem Holzkraftwerk geschmolzen und dann in eine zehn Kilometer entfernte Kaserne gefahren. Hier wurde das Salz nach und nach verflüssigt - und dabei frei werdende Wärme in den Heizkreislauf der Bundeswehrgebäude abgegeben. Das auf zwei Jahre angelegte Projekt ist längst vorüber und wurde damals nicht verlängert, sagt Mathias Ginter, der heutige Geschäftsführer der AWN im Odenwald.
    "In der Vorabbetrachtung hat es zusammengepasst, aber in der Praxis nicht. Insbesondere in den Sommermonaten war es kaum möglich, diese Container vollständig zu entladen."
    Keine Energie zum Heizen von Badewasser
    Das Problem von Natriumacetat: Die meiste Energie setzt das Salz beim Übergang vom flüssigen in den festen Aggregatzustand frei. Und der passiert bei einer Temperatur von 58 Grad Celsius. Gerade für ältere Heizungen von schlecht gedämmten Gebäuden ist diese Temperatur zu gering; sie benötigen höhere Vorlauftemperaturen. Dazu kommt: Im Sommer wird ohnehin nur wenig Heizenergie benötigt. Ab 2014 hatten die Wärmecontainer deshalb ein neues Ziel: Das Freibad der Stadt Heidelberg.
    "Der Einsatz in einem Schwimmbad ist, was das Temperaturniveau angeht, ideal, weil dort konnte Wärme bis rund 20 Grad entnommen werden."
    Das Freibad wurde bis dahin nur durch Solarkollektoren beheizt, wodurch das Badewasser bei schlechtem Wetter unangenehm kalt wurde. Die Stadtwerke Heidelberg testeten daher, ob die Wärmecontainer zum Heizen des Wassers taugen. Doch weil die eingebauten Pumpen zu schwach waren und einzelne Latentwärmespeicher gleichzeitig viel zu wenig Wärme abgeben, wurde auch dieser Versuch eingestellt. Pro LKW-Ladung wird gerade einmal das Äquivalent von 250 Litern Heizöl transportiert. Verglichen mit 16.000 Litern Öl, die ein herkömmlicher Tanklaster laden kann, ist das fast nichts. Jetzt, fast sechs Jahre nach dem ersten Praxiseinsatz und Millionen staatlicher Zuschüsse, beginnt ein neues Forschungsprojekt, vom Bundesumweltministerium erneut mit 1,4 Millionen Euro gefördert. Die vier Container aus dem Odenwald stehen in Isernhagen bei Hannover, sechs weitere sollen demnächst dazu kommen.
    "In Hannover ist das Projekt etwas größer angelegt. Die Wärmequelle ist eine Deponie. Die Transportentfernung ist relativ gering und wird mit einem Elektro-LKW abgedeckt. Der Abnehmer ist eine Schule. Und ich denke, diese Gesamtkonstellation ist schon ziemlich nah am Optimum."
    Wärme für Elektroautos produzieren
    Die Wärmespeicher rollen nun also auch CO2-neutral zu ihrem Abnehmer. Die Wärme stammt aus einem Blockheizkraftwerk, das mit Biogas der Mülldeponie befeuert wird. Nur, ob die Technik wirklich dazu taugt, ohnehin anfallende Abwärme auch kostendeckend zu verteilen, ist immer noch nicht klar. Denn die Preise für fossile Brennstoffe sind weiter im Keller. Trotz jahrelanger Entwicklung und Praxistests, rechnen sich Latentwärmespeicher deshalb bis heute nur als öffentlich bezuschusste Pilotprojekte. Der Initiator der tollen Idee von der rollenden Wärmflasche hat Konsequenzen gezogen: Die AWN im Odenwald gibt ihre Abwärme längst wieder ungenutzt an die Umwelt ab.
    "Als wir begonnen haben, war der Heizölpreis bei einem Euro den Liter. Und dann ist er ja in wenigen Jahren abgestürzt auf unter 50 Cent. Erneuerbare Energien sind wichtig und gelten auch als allseits akzeptiert. Aber es muss sich rechnen."
    Völlig vergeblich waren die Bemühungen zur Entwicklung praxistauglicher Latentwärmespeicher aber trotzdem nicht. Sie könnten schon bald an anderer Stelle wichtig werden: Elektroautos erzeugen nämlich gerade im Winter zu wenig Wärme zur Beheizung des Innenraumes. Kleine Latentwärmespeicher auf metallischer Basis könnten in Zukunft Abhilfe schaffen, verspricht ein neues Forschungsprojekt. Tot ist die Technik also noch lange nicht.