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Tolle Idee! Was wurde draus?
Vogelstimmen per App identifizieren

Amsel, Buchfink, Drossel oder doch ein Zilpzalp? Wer wissen möchte, welcher Vogel gerade singt, kann mithilfe der BirdNET-App eine bestimmte Vogelart identifizieren. Möglich wurde das durch die Entwicklung eines lernfähigen Computerprogramms - das selbst regionale Vogel-Dialekte berücksichtigt.

Von Michael Stang | 06.08.2019
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Ein singender Buchfink (picture alliance / dpa / Hinrich Bäsemann)
Ein Abendspaziergang durch den Park. Die Sonne geht gerade unter und plötzlich erklingt ein Vogelruf. Aber, welcher Vogel war das? Amsel, Buchfink oder Eichelhäher? Antworten kann die kostenfreie App BirdNET liefern. Öffnet man die Applikation auf dem Smartphone, startet sofort eine Audioaufnahme, die in ein Spektrogramm umgewandelt wird, sagt der Entwickler der App, Stefan Kahl.
"Man sieht eine Visualisierung des Audiosignals, was es ein bisschen einfacher macht, zu erkennen, wo jetzt genau eine Vogelstimme in der Aufnahme war. Man kann die dann markieren, schickt diesen markierten Teil ab. Bei uns landet das dann auf einem Analyseserver, wird innerhalb von ein paar Bruchteilen einer Sekunde analysiert und man bekommt das Ergebnis zurück aufs Handy."
Einfache Analyse mit dem Smartphone möglich
Bei dem eben gehörten Vogel handelte es sich um eine Mönchsgrasmücke (Sylvia atricapilla). Die App hat das korrekt erkannt. Früher hätte man für solche automatischen Gesangsanalysen ein professionelles Aufnahmegerät und einen leistungsfähigen Computer benötigt, erklärt der Forscher von der Technischen Universität Chemnitz. Heute reiche ein handelsübliches Smartphone mit Internetverbindung.
"Inzwischen ist es so, dass die Smartphones extrem gute Aufnahmetechnik verbaut haben. Die haben Mikrofone, die durchaus geeignet sind, qualitativ hochwertige Aufnahmen zu machen."
500 häufigsten Vogelarten in Nordamerika und Europa erfasst
Um die per Internet hochgeladenen Audiodateien zu analysieren, hat Stefan Kahl gemeinsam mit Kollegen der Cornell University im US-Bundestaat New York ein lernfähiges Computerprogramm geschrieben, ein sogenanntes neuronales Netzwerk, und es mit tausenden Vogelstimmenaufnahmen gefüttert.
"Bei uns auf dem Analyseserver läuft ein künstliches neuronales Netz, das trainiert wurde auf die 500 häufigsten Vogelarten für Nordamerika und Europa."
Die BirdNET App vergleicht den aktuell aufgenommenen Vogelgesang aber nicht mit dem Gezwitscher all dieser 500 Spezies, sondern gleicht das Geräusch nur mit einer Liste jener Vogelarten ab, die in der betreffenden Region gerade regelmäßig auftauchen. Im Rheinland wären das aktuell zum Beispiel der Stieglitz, der Grünfink, oder die Kohlmeise. Und seit Mai auch wieder der Mauersegler, ein Zugvogel, der aus seinen Winterquartieren zurück ist. Ist sich das neuronale Netz zu mehr als 85 Prozent sicher, dass es eine bestimmte Vogelart erkannt hat, erhalten die Nutzer die Angabe, dass die Vogelart als "sehr sicher" erkannt wurde. Wer die App nutzt, lernt also, welcher Vogel ihm gerade sein Liedchen trällert. Die Ornithologen dagegen gewinnen wertvolle Einblicke in die Populationen.
"Dann bekommt man ja flächenmäßig großverteilte Beobachtungsdaten, die nicht nur punktuell sind, weil sie ein paar Leute benutzen. Dadurch, dass es so viele sind, kann dann man schon zum Beispiel die Bewegungen von Zugvögeln einigermaßen nachvollziehen über einen längeren Zeitraum."
Langfristig sollen mithilfe der App die aktuellen Verbreitungsdaten vieler Vogelarten erhoben werden - dank der Bürgerinnen und Bürger, die bei BirdNET mitmachen.
"Und das Schöne an diesen neuronalen Netzen ist: Es findet eben genau nicht mehr dieser exakte Abgleich statt. Das geht bei Vögeln gar nicht, weil die viel zu divers sind. Sondern diese Netze sind in der Lage, Konzepte zu lernen. Und die erkennen Vogelstimmen wieder aufgrund bestimmter Merkmale, die nicht zwingend genauso funktionieren wie man das so kennt, wenn ich das Handy an das Radio halte und das sagt, was das für ein Lied ist."
Vögel mit Dialekt
Um einen Vogel korrekt zu klassifizieren, muss sein Gesang also nicht mit der Vergleichsaufnahme auf dem Server identisch sein. Er muss nur über eine Reihe charakteristischer Merkmale verfügen, die ähnlich sind. Auch regionale Dialekte lassen sich so zuverlässig der richtigen Spezies zuordnen, sagt Stefan Kahl.
"Beim Buchfink ist das zum Beispiel: Die haben zwar nur ein einziges Lied, aber jedes Individuum hat ein bisschen eine andere Notenfolge. Da gibt es keine exakte Übereinstimmung mehr. Aber es gibt natürlich trotzdem Möglichkeiten, einen Buchfink als solchen zu erkennen. Und die Netze, die schaffen das."
Auch störende Geräuschquellen wie Flugzeuge, Autos und Rasenmäher oder Tiere wie Grillen, Eichhörnchen und Frösche kann das Programm identifizieren. Diese bekommt der App-Nutzer aber nicht angezeigt. Mit einer einzigen Ausnahme: Homo sapiens – der Mensch.
"Ein großes Problem gab es lange Zeit mit Menschen, die ins Handy pfeifen, um zu schauen, was sie für ein Vogel sind. Und das ist doch relativ einfach gewesen die Verfahren da auszutricksen. Und ich habe das inzwischen so ein bisschen angepasst, dass es relativ robust erkannt wird, wenn es ein Mensch ist."
Weitreichende Erkenntnisse durch eine Vielzahl von Nutzern
Auch Till Töpfer vom Museum König in Bonn kennt die Probleme bei der automatischen Erfassung von Vogelstimmen. Der Ornithologie ist selbst nicht am Projekt BirdNet beteiligt, findet den Ansatz aber vielversprechend.

"In den Bürgerwissenschaften liegt ein großes Potential, gerade was die Erfassung der häufigeren Arten angeht, für die man viele Leute braucht. Und ja, ich glaube, das ist der richtige Weg, den man in Zukunft einschlage sollte."
Die BirdNET-App, die es bisher nur für das Betriebssystem Android gibt, ist auch in Deutschlands Nachbarländern nutzbar. Durch seine Arbeit an dem Programm kann Stefan Kahl inzwischen auch ohne die App viele Vogelrufe auseinanderhalten. Sogar einen Lieblingsvogel hat der Informatiker mittlerweile.

"Ich bringe früh immer unser Kind zur Tagesmutti und meist ist es so, wenn wir aus der Haustür rauskommen, begrüßt uns ein Zilpzalp. Ich wohne hier in Chemnitz am Flussufer. Und er hat sich da eingerichtet und es ist immer so schön, weil man hat dann das Gefühl, er fängt nur deswegen an zu singen, weil man zur Tür raustritt."
Ein Zilpzalp oder Weidenlaubsänger (Phylloscopus collybita), sitzt auf einem Zweig
Ein Zilpzalp oder Weidenlaubsänger (Phylloscopus collybita), sitzt auf einem Zweig (picture alliance / blickwinkel/McPHOTO / M. Schaef)