Freitag, 29. März 2024

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Tomer Gardi: "Eine runde Sache"
Die Kunst des Fehlerhaften

Ein irres Märchen, das im Blutbad mündet. Ein kosmopolitisches Künstlerleben, das im Schmerz der Selbsterkenntnis endet. In seinem neuen Buch stellt Tomer Gardi in zwei sehr unterschiedlichen Erzählungen ein und dieselbe Frage: Wie offen, wie frei können wir durch die Welt schreiten?

Von Samuel Hamen | 27.07.2021
Collage des Buchcovers, welches den Titel des Romans "Eine runde Sache in bunten Buchstaben auf schwarzem Hintergrund zeigt, und des Autors Tomer Gardi. DIeser trägt seine langen, dunklen, lockigen Haare offen zu einem weit aufgeknöpften Blumenhemd in hellen Farben. Dazui eine goldene Kette.Er blickt ernst in die Kamera.
Immer für eine Provokation gut - der Schriftsteller Tomer Gardi (© Shiraz Grinbaum)
Es braucht nicht viel, um die Ordnung zu stören. Bei Tomer Gardis reicht es, dass eine der Figuren die Wörter "Yacht" und "Jagd" verwechselt. Schon beginnt die Eskalation, der Spießrutenlauf. In der ersten der beiden Geschichten, die vom Verlag einigermaßen grob als ein Roman ausgegeben werden, findet sich der Erzähler, selbst Autor, in einem Märchen wieder – deutscher Wald, deutscher Schäferhund, deutscher Erlkönig. Es ist ein Narrenstück, tollpatschig und unbedarft, blödsinnig und wahrhaftig:
"Indigen, habe ich gesagt, indigen, was soll denn das überhaupt heissen? Eine Yacht wird zu einem Jagd. Eine Muschi aus Silikon wird zu einem Deutsche Schäferhund Maulkorb. Ein Schutz auf einem Baum wird zur Falle und dann wieder zu Helfer. Sogar das Indigen wird zum Ündügün. Alles ist im ständigen Bewegung, trotzig und beladen in seiner Unstabilität, alles!"

Jenseits aller Sicherheiten

Die Kunst des Fehlerhaften, mit der Gardi 2016 beim Bachmann-Preis für Aufsehen sorgte und der er auch hier nachspürt, lässt er in der zweiten Erzählung hinter sich. Anne Birkenhauer hat das Portrait Raden Salehs, der von der holländischen Kolonialmacht auf Java protegiert und im Europa des 19. Jahrhunderts zum gefeierten Maler wird, aus dem Hebräischen übersetzt:
"In künstlerischer Hinsicht blühte er auf, die Jahresausstellung war ein gewaltiger Erfolg. Er malte weiter gewagte Jagdszenen, Löwen, Pferde, Tiger, kraftstrotzende asiatische Büffel im Kampf mit mutigen Jägern. Die Kunstkritiker und Kunstliebhaber sahen in Salehs Gemälden die Landschaften der Insel Java, ihre Menschen und deren Wesen, eine ferne Wahrheit, die der javanische Prinz auf seinen Ölgemälden von jenseits der Meere zu ihnen brachte."
Mehrmals beschreibt Gardi, wie Saleh die Feste seiner Adels- und Künstlerfreunde besucht und dort mit dem Rücken nah an Säulen steht. Nie lehnt er sich an, so naiv ist er nicht. Seine Figuren lässt der Autor jene Erfahrung machen, die seine Literatur grundsätzlich kennzeichnet: Es gibt keinen Halt, keine Sicherheiten, weder in der Statik noch in der Grammatik, schon gar nicht in der Gesellschaft.
Das erbarmungswürdig lustige Trio aus Autor, Schäferhund und Erlkönig etwa setzt seinen Weg fort und landet in einer deutschen Kleinstadt. Sie sammeln Pfandflaschen, versuchen sich als Straßenmusikanten, reimen Wald auf Gewalt, Sparschwein auf Abels Kain, bis sie in diesem Ultra-Anti-Märchen an die obligate Hexe geraten. Salehs Weg durch die europäische Aristokratie führt ihn wiederum in die Zentren der Kunst und der Anpassung:
"Siehst du, jetzt ist es so weit. Sie schicken mich in die Hölle, die sie selbst geschaffen haben, um sie zu loben und ihre Pracht zu preisen. Er arbeitete weiter. Er wollte das Bild vom brennenden Java fertigstellen, bevor er dorthin fahren und es mit eigenen Augen sehen musste."

"Absurd ist besser als tot"

Die weite Welt, die angeblich allen offensteht, ist eine famose Lockung, der sich Gardis Figuren, Gutgläubige und Belogene, die sie sind, oftmals hingeben. Unterwegs sein, ob nun in den Sprachen, Zeiten oder Identitäten, heißt hier immer auch: unstet und unsicher sein. Das klingt nach einer plakativen Einsicht, nach einer Allerweltsphrase, die heutzutage in jeder Kolumne zu haben ist. In Gardis Prosa gewinnt sie an dringlichem Witz, auch an schelmischer Traurigkeit. "Absurd ist besser als tot", lässt er sein autofiktionales Ich in der ersten Erzählung sagen, die in einer mythischen Untergangsparabel endet. Daran hält sich Gardi: Wirr ist besser als klar, exzessiv besser als normiert, ambivalent besser als eindeutig.
"Auf der Arche Rex war ich blinde Passagier. Und jetzt, was jetzt? Ach, wie sehr ich drinnen sein wollte, in die Arche, wo es warm ist und trocken. Doch dort drinnen habe ich ja keine Chance. Das war ja klar. Bleib also auf der Bordwand, Tomer, flüsterte ich im Regen."
Outsider zu sein, Fehler zu bejahen, das ist Zwang und Chance zugleich. Auch die Lügen der Künstler, über die Gardis Figuren so gerne philosophieren, sind ein probates Mittel, um sich zur wehren gegen die Zudringlichkeiten, egal ob es sich dabei um ein rassistisches Deutschland im 21. oder ein koloniales Holland im 19. Jahrhundert handelt. Dass der Versuch, sich eine gelingende Lebensgeschichte zu geben, scheitert, dass die erste Erzählung nicht im biblischen Neuanfang und die zweite nicht im Glück einer Rückkehr nach Java endet, das ist ausgemachte Sache.
Und jetzt, was jetzt? Auf den Pressefotos grinst Tomer Gardi, als hätte er einen Weg gefunden. In der Kunst, das ist sein Angebot, liegt ein Ort, an dem die Heiterkeit und der Trübsinn, die er so eigenwillig zu beschreiben weiß, sich nicht aufheben, sondern überhaupt erst voll entfalten, widersprechen und verstärken. Sicherlich, das ist keine Lösung. Aber wer will schon Lösungen, wenn es solche Literatur gibt?
Tomer Gardi: "Eine runde Sache"
Droschl Verlag, Graz – Wien. 256 Seiten, 22.- Euro.