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Totgesagte leben länger

Nicht einmal die altehrwürdige BBC ist unfehlbar. Ein Pädophilieskandal, mangelhafte Recherchen, unklare Strukturen, ein schwacher Generaldirektor: Mancher spricht von der gröβten Krise des Senders, der gerade seinen 90. Geburtstag feiert. Jetzt reden BBC-Gegner sogar den Untergang herbei.

Von Ruth Rach | 17.11.2012
    Diese Newsnight-Kennmelodie hat schon manchen Interviewgast zum Zittern gebracht. Aber jetzt hat ausgerechnet das abendliche Flagschiffprogramm der BBC, bekannt für seine fundierte Berichterstattung, selbst elementare journalistische Fehler begangen. Beobachter sprechen von der "schlimmsten Krise der BBC'".

    Das Gewitter zog sich Anfang Oktober zusammen, als der kommerzielle Konkurrenzsender ITV enthüllte, der vor einem Jahr verstorbene BBC TV-Entertainer Jimmy Savile habe jahrzehntelang Minderjährige missbraucht.

    Gleichzeitig wurde bekannt, dass eine Newsnight Analyse vom Vorjahr zu diesem Thema gekippt worden war. Die BBC wurde von allen Seiten kritisiert. Verdächtige Altstars wurden verhaftet. Der angeschlagene Sender beauftragte den ehemaligen SkyNews Chef Nick Pollard und die Richterin Dame Janet Smith mit zwei internen Untersuchungen. Scotland Yard nahm ebenfalls Ermittlungen auf. Newsnight Chef Peter Rippon wurde suspendiert.
    Aber es kam noch schlimmer. Vor einer Woche wurde BBC-Chef George Entwistle von einem seiner eigenen Redakteure, John Humphrys, live im Radio verhört:

    "Meinen Sie nicht, Sie sollten den Hut nehmen?"

    Wenig später trat Entwistle zurück. Diesmal ging es um eine Newsnight -Story, die unbedingt hätte gekippt werden sollen. Wieder zum Thema Pädophilie. Im kollektiven Jagdeifer, und sicher auch, um die unterlassene Savile Story zu kompensieren, hatte Newsnight schwere Vorwürfe gegen einen konservativen Altpolitiker erhoben, der zwar nicht namentlich genannt wurde, aber leicht als Lord McAlpine zu identifizieren war. Wenige Tage später wurde klar: die Anschuldigungen waren falsch. Newsnight hatte hastig und schlecht recherchiert.
    Und der oberste BBC Chef George Entwistle - wusste von nichts. "Wann haben Sie von der Sendung erfahren?", fragt Redakteur Humphrys. Erst nach seiner Ausstrahlung, sagt Entwistle. Aber lesen Sie denn keine Zeitungen, so Humphrys. Sie wurde doch in allen Medien vorangekündigt. Habe er – Entwistle - nicht gesehen.

    George Entwistle nahm den Hut, nach 54 Tagen im Amt, mit einer Abfindung von fast einer halben Million Pfund. Erneut war die Öffentlichkeit entrüstet. Weitere Nachrichtenchefs wurden suspendiert. Jetzt hat der amtierende Generaldirektor Tim Davie versprochen, die Kommandostrukturen der BBC zu vereinfachen. Mit Lord McAlpine hat er bereits eine Entschädigung ausgehandelt. Der Lord will allerdings nun auch andere Medien zur Verantwortung ziehen, die er der Hexenjagd beschuldigt.

    Aber die Diskussionen gehen weiter. Hat die BBC das öffentliche Vertrauen verspielt? Ist sie zu groβ geworden, zu arrogant? Verdient sie überhaupt die Rundfunkgebühren? Hat sie, im Bestreben, es allen Zuhörern und Zuschauern Recht zu machen, ihre Ressourcen zu dünn verteilt? Investigativer Journalismus ist teuer, in den letzten zehn Jahren wurde das Budget von Newsnight drastisch reduziert.

    Zweifellos hat das Image der BBC gelitten. Aber sie macht immer noch Spitzensendungen. Hysterisches Katastrophendenken ist nicht angebracht. Dies war jedenfalls der Tenor in einer aktuellen BBC-Sendung mit Hörerbeteiligung Anfang der Woche.

    "Wir sollten mit der Nabelschau aufhören, es gibt wichtigere Nachrichten."

    Keiner unserer skandalumwitterten Abgeordneten ist jemals so ehrenhaft wie Entwistle zurückgetreten, sagt ein anderer: Seine Botschaft an die BBC: Tief durchatmen und weitermachen.