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Tour de France
Die Transformation von Team Ineos

Team Ineos hat nach der letzten Bergetappe der Tour de France wieder das Gelbe Trikot in seinen Reihen. Der kolumbianische Radprofi Egan Bernal steht somit vor dem Gesamtsieg bei der 106. Tour de France. Es schien, als wäre alles wie immer, als Vorgänger-Rennstall Sky dominierte. Doch diese Tour war anders.

Von Tom Mustroph | 27.07.2019
BERNAL Egan vom Team INEOS bei der 19. Etappe der 106. Tour de France fährt einen Berg hoch.
Egan Bernal, ein früherer Mountainbikefahrer aus Zipaquirá bei Bogotá, hat einen jüngeren Bruder Ronald, der ähnlich talentiert sein soll (www.imago-images.de)
Geraint Thomas schien es zu ahnen. Zu Beginn der Tour, auf der Pressekonferenz in Brüssel wurde er gefragt, ob er in diesem Jahr von einem spannenderen und offeneren Rennen ausgehe.
"Ich hoffe, das geschieht nicht. Ich hoffe, einer von uns gewinnt und das Rennen ist richtig ereignislos."
Thomas hatte die Lacher auf seiner Seite. Ereignislos blieb das Rennen nicht. Ineos wirkte schwach in den Pyrenäen, bekam das Rennen nicht unter Kontrolle. Der Franzose Thibaut Pinot konnte erfolgreich attackieren. Und sogar Emanuel Buchmann griff Geraint Thomas an. Die Vormachtstellung von Ineos war erschüttert. Und dann kam diese dramatische 19. Etappe*. Carsten Jeppesen, Technischer Direktor bei Team Ineos staunte nicht schlecht:
Überraschender Hagelsturm
"Das ist meine 20. Tour, ich kann mich an so etwas nicht erinnern, ernsthaft nicht. Ich war direkt vor dem Peloton. Ich war im Hagelsturm, wie Sie an dem Auto sehen können. Ich verstehe, warum sie es abgebrochen haben. Und weiter unter brach auch noch ein Berghang ab. Es war brutal."
Die 19. Etappe wurde wegen Hagelschauern und wegen eines Erdrutsches abgebrochen. Es zählten die Zeiten am vorletzten Gipfel, dem Col d’Iseran. Sportlicher Sieger war Team Ineos. Denn die Briten hatte die vorletzte Bergetappe perfekt vorbereitet. Teamchef David Brailsford über den entscheidenden Moment:
"Es war der Plan, das Rennen hart zu machen. Der Iseran war der Berg, an dem wir Alaphilippe brechen konnten. Das war die Idee. Wir wollten nicht bis zum letzten Berg warten. Die Idee war, dass die Jungs die ersten 4 Kilometer auf dem Iseran Vollgas geben sollten, was Dylan und Wout brilliant machten. G und Egan sollten dann Attacken versuchen, Tempowechsel machen und das Rennen in Bewegung bringen."
Bernal wäre erster kolumbianischer Tour-Sieger
Das gelang perfekt. Dylan van Baarle und Wout Poels waren das erste Mal bei dieser Tour de France die unermüdlichen Berghelfer, als die man sie auch in den Pyrenäen erwartet hatte. Und die Kapitäne Geraint Thomas –von Brailsford G genannt – und Egan Bernal wechselten sich in ihren Attacken ab. Auch das war vorab detailliert festgelegt.
"Wir haben am Morgen entschieden, dass G zuerst geht. Wir dachten, die Rivalen werden auf G zuerst reagieren. Sie folgten auch sofort Geraints Attacke."
Danach griff Bernal an. Niemand konnte dem jungen Kolumbianer folgen. Er selbst weinte vor Freude im Ziel. Und sein Heimatland stand natürlich Kopf. Er ist der erste Kolumbianer, der tatsächlich die Tour gewinnen kann und das mit 22 Jahren.
"Es ist schwer zu beschreiben was ich in diesem Moment empfinde. Es ist unglaublich. Ich bin sehr glücklich darüber und sehr motiviert für das, was von der Tour noch bleibt.
Tour hat Team Ineos verändert
Viel von der Tour bleibt nicht mehr. Außer, dass sie anders war als sonst. Sie war ereignisreicher, spannender. Und sie hat sogar Team Ineos verändert, das räumt Teamchef David Brailsford ein
"Wir haben uns an das Rennen angepasst. Die Leute denken immer, wir seien ein Dampfschiff, wir fahren immer auf dieselbe Art und Weise. Aber was wir in diesem Jahr versuchten, war, uns an die Umstände anzupassen und die Gelegenheiten zu nutzen, dabei ruhig zu bleiben und die Talente, die wir haben, auf unterschiedliche Arten zu nutzen, einen anderen taktischen Ansatz zu haben."
Das gelang. Aber viele fragten Brailsford auch, ob Team Ineos in diesem Jahr nicht doch schwächer als Team Sky war. Ist der neue Rennstall sportlich gesehen ohne den Leader Chris Froome nur ein Rumpf ohne Kopf?
"Nein, das denke ich nicht. Wir haben ein tolles Teamzeitfahren hingelegt, wir waren fantastisch bei der Windkante. In den Bergen, in den Pyrenäen, da waren wir als Team vielleicht nicht so stark. Aber mir schien das Tempo, das die anderen Teams schon auf den vorletzten Gipfeln in den Pyrenäen anschlugen, richtig, richtig hart. Und die Frage war: Können die das durchhalten? Können sie es in den Alpen wiederholen?"
So wie in den Pyrenäen konnten sie es nicht wiederholen. Und Ineos hat von den anderen Teams gelernt: Nicht mehr durchgängige Power am letzten Gipfel, sondern voller Krafteinsatz bereits auf nur einem Teilstück des vorletzten Anstiegs. Das raubt allen die Kraft. Und wenn die Kapitäne unter sich sind, hatte Ineos sogar noch zwei Karten zu spielen.
Eine davon stach. Egan Bernal, ein früherer Mountainbikefahrer aus Zipaquirá bei Bogotá. Er hat übrigens einen jüngeren Bruder Ronald, der ähnlich talentiert sein soll. Von Ronald Bernal gibt es auch schon ein Foto im Trikot von Team Sky, dem Vorgängerrennstall von Ineos. Aber das ist dann der Beginn der nächsten Geschichte.
* In einer vorherigen Version hieß es "20. Etappe". Das haben wir korrigiert.