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Tourismus für den Frieden

Die palästinensische Stadt Jenin und der israelische Landkreis Gilboa waren lange Jahre von Terror und Gewalt gezeichnet. Die Lage hat sich entspannt. Jetzt gibt es hier eine besondere Form des Tourismus. Sie steht im Dienste des Friedens.

Igal Avidan | 16.01.2011
    Es ist Mittag am Grenzübergang Jalameh. Nach nur wenigen Minuten wird unser Wagen durchgewunken: eine kleine Sensation für einen Israeli und ein Zeichen dafür, wie sehr die israelisch-palästinensische Zusammenarbeit auf beiden Seiten dieser Grenze voranschreitet. Die palästinensische Stadt Jenin und der israelische Landkreis Gilboa waren lange Jahre von Terror und Gewalt gezeichnet. Hier bauten die Israelis die erste Strecke der Sperranlage, aber nicht auf palästinensischem Boden, sondern entlang der anerkannten Grenze. Diese Tatsache und der gemeinsame Kampf gegen den Terror führten zu dieser Entspannung, von der nun auch Touristen profitieren können.

    Ein Beispiel für diese neue Stimmung ist mein Reiseführer Yousef Zaid, der fließend Hebräisch spricht, weil er als Aktivist der damals in Israel verbotenen Fatah zehn Jahre in israelischen Gefängnissen verbrachte.

    "Diese moderne Skulptur am Verkehrskreis wurde von einem Mobilfunkunternehmen errichtet. Das Kunstwerk in Form einer großen Wassermelone erinnert daran, dass Jenin vor 40 Jahren für dieses Gemüse im ganzen Orient bekannt war. Jetzt zeugen die vielen schwarzen Wasserspeicher auf den Dächern davon, dass alle 40.000 Einwohner der Stadt an Wassermangel leiden."

    Im Stadtzentrum zwischen dem Amtssitz des Gouverneurs, der Polizeizentrale und der Justiz entsteht das neue Gebäude des Freiheitstheaters. Bis dahin muss der Fahrer durch die engen Gassen des eng bebauten Flüchtlingslagers, um das international bekannte Kinder- und Jugendtheater zu erreichen. Die Poster der Selbstmordattentäter sind inzwischen verblasst, eine große Wandmalerei eines klaren Sees, von Bäumen und einem Wasserfall umgeben, stichst stattdessen ins Auge.

    Theaterleiter Juliano Mer Khamis, ein israelischer Staatsbürger und Sohn einer Jüdin und eines Palästinensers, der auch die Kämpfe hier erlebte, strahlt vorsichtigen Optimismus aus:

    "Der Gouverneur führt eine mutige Zusammenarbeit von Israelis und Palästinensern, um die Palästinenser zu befreien und nicht, um die Besatzung zu normalisieren. Er schützte das Theater vor drei Jahren, als man hier einen Brandanschlag verübte. Mit solcher Hilfe von oben kann man hier nicht nur Caféhäuser und Einkaufszentren errichten, das erste Kino mit Hilfe der Bundesregierung. Wir müssen aber diese gewaltfreie Zeit richtig nutzen, sonst bekommen wir eine neue Intifada. Das neue Theatergebäude öffnen wir mit einer schwarzen unbequemen Komödie, die zum ersten Mal den bewaffneten Aufstand der Palästinenser kritisiert, denn er wandte sich wie ein Bumerang gegen das palästinensische Volk selbst."

    Jenin ist zwar eine muslimische Stadt, aber eine der Attraktionen hier für Pilger ist die byzantinische St. Georg Kirche, die fünftälteste der Welt. Ein Georgskreuz schmückt die Eingangstür, und ein Metallgitter über der Mauer, an dem kleine Palästinafähnchen hängen, erinnern daran, dass die 20 christlichen Familien hier ihren Schutz nicht allein dem Heiligen überlassen wollen. Über dem Eingang wacht der Heilige, auf dem Pferd reitend und mit einer Lanze in der Hand, über ihm der Engel. In einem anderen Wandstein tötet er den Drachen. Kurz danach wird er eine Massentaufe initiieren. Abu Riad von der griechisch-orthodoxen Gemeinde empfängt hier Besucher seit 40 Jahren:

    "Als der Messias dieses Dorf auf dem Weg von Nazareth nach Jerusalem passierte, öffnete sich diese Höhle, in der 10 Leprakranke in Quarantäne inhaftiert waren. Er hörte ihr Geschrei, ging zu ihnen, legte seine Hände auf ihre Gesichter und sie wurden gleich geheilt. Neun von ihnen gingen daraufhin weg, ohne ihm dafür zu danken. Nur der zehnte, ein Samariter, bedankte sich bei ihm und an dieser Stelle wurde eine Kirche zur Zeit des Kaisers Konstantin gebaut."

    Ein dunkelhäutiger Mann musiziert auf dem Markt von Jenin, ein Händler bietet preiswerte Zweige einer Distel an, aus der die Araber Salat machen. Ein Kind zieht vorbei und trägt auf seinem Kopf ein großes rundes Tablett mit glasierten Äpfeln. Ein anderer bietet 24 Messer für umgerechnet zwei Euro feil, die er in einer Folie zur Schau stellt. Es duftet nach Gewürzen und Grill, die Ladenbesitzer preisen ihre Haushaltwaren, Spielzeuge und Schuhe. Verhüllte Frauen tragen Plastiktüten, ein Händler verkündet laut seine Ware: 'Kleider für Babys, Frauen, Männer, alles reduziert! Kommt rein, alles hier kostet nur zehn Shekel‘, das sind umgerechnet zwei Euro.

    Es sind vor allem arabische Israelis, die seit November 2009 mit dem eigenen Wagen einreisen dürfen, die hier die Wirtschaft ankurbeln. Ganz entspannt flanieren sie auf der Suche nach Schnäppchen:

    "Wir sind hierhergekommen, um ein bisschen zu spazieren und einzukaufen. Wir kaufen manchmal Schuhe oder Kleidung, selbstverständlich nur Markenware, Nike oder Diadora, Lacoste oder Puma, alles zum Halbpreis, und das sind keine Imitationen!"

    Ihr Mann ergänzt, in Israel würde so ein Einkauf für die ganze Familie 200 Euro kosten, hier nur 60 Euro. Dass diese Ware wirklich original ist, glaubt auch er kaum.
    Die von den USA ausgebildeten palästinensischen Sicherheitskräfte zeigen ihre Präsenz überall im Zentrum, wo Gouverneur Kadoura Mousa in einem massiven neuen Steingebäude regiert. Der Politiker mit der donnernden Stimme und dem gepflegten weißen Schnurrbart ist der starke Mann der Fatah. An der Fassade hängt ein übergroßes Porträt des Präsidenten Mahmoud Abbas, Mousas Gönner, über die massive Holztür ein weiteres. Weiße Marmortreppen führen zu Mousas geräumigem Büro.

    "Ich habe meine Verbindungen zum Landkreis Gilboa und gemeinsam wollen wir Touristen aus aller Welt hier empfangen. Sie werden entweder einen Tag in Jenin und einen in Gilboa verbringen oder zwei Tage auf jeder Seite. Jenin ist offen für alle mit Ausnahme der Siedler. Ich habe von meiner Regierung und dem Präsidenten klare Anweisungen, den Frieden in meiner Region zu realisieren, aber ohne Besatzung und Siedlungen, ohne eine israelische Kontrolle des Grenzüberganges."

    Dann bedankt er sich beim deutschen Steuerzahler für die Hilfe, die Straße zum Kontrollposten neu zu asphaltieren. Auf dieser Straße geht es nun zügig zurück nach Israel, im Auto des Mohammad al Bashiri, arabischer Israeli und Geschäftsführer des Wasserkonzerns des Landkreises Gilboa. Aber an der Grenze bleiben wir stehen, denn der zuständige Mitarbeiter, der uns schon einreisen ließ, hat bereits Feierabend. Die Privatisierung der Grenzkontrolle hat den Service kurzfristig verschlechtert, aber man verspricht Verbesserungen.

    Einen kühlen Kopf an diesem heißen Tag bekommen wir beim "Ski am Berg Gilboa", der neuen und ersten künstlichen Skipiste im Heiligen Land:

    AUTOR: Eine junge Ski-Trainerin steht vor einer Gruppe von Kindern und erklärt ihnen, wie man stoppt, indem man die Beine spreizt. Die verschwitzte Trainerin trägt kurze Hose und die Kinder blicken auf die Felder des Charod Tals an diesem glühenden Tag. Hinter der Landstraße, die die Stadt Afula mit dem Jordantal verbindet, erstrecken sich Brachfelder, Oliven- und Zypressenbäumen, ausgetrocknet von der langen Dürre. Geschäftsführer Boaz Kaniel führt durch die Anlage:

    "In Israel gibt es viele Ski-Fahrer, die sich mit den wenigen Schneetagen auf dem Berg Hermon und einer Woche Skiurlaub im Ausland begnügen müssen. Wir geben ihnen die Möglichkeit, 364 Tage im Jahr Ski zu fahren. Die Piste ähnelt einer synthetischen Grünfläche. Sie wird von unten permanent bewässert und ist mit Schaum unterfüttert, um Stürze zu dämpfen. Im Eintrittspreis ist eine Ski-Ausrüstung oder ein Skibob enthalten. Es fühlt sich fast an wie auf Schnee."

    Vor allem Kinder und Jugendliche aus den umliegenden Kibbutzim wedeln die 80-Meter-Piste herunter und fahren mit einer Rolltreppe wieder hoch. Als der Terror hier regierte, gingen die Menschen abends nicht mehr aus dem Haus. Jetzt steht man hier Schlange, obwohl die 240-Meter-Piste und der Skilift erst im Frühjahr 2011 eröffnet werden.
    Auch arabische Israelis, vor allem aus Nazareth, genießen den künstlichen Schnee, die Läden, Cafés und Restaurants, bald auch ein Hotel. Demnächst wird der Landkreis auch palästinensische Kinder aus Jenin einladen.

    Eine leichte Brise vertreibt die Hitze im Kibbutz En Charod Ichud, der 200 Meter über das Tal ragt. Um die Wiese im Garten der Holzvillen wachsen Rosmarin, Salbei und Geranien. Auf diesem Hügel führte König Saul seinen letzten Kampf Israels gegen die Philister, in dem sein Sohn Jonathan fiel. Saul stürzte sich dort in sein eigenes Schwert, um nicht lebend in die Hände der Feinde zu fallen. Auch Kibbutz En Charod, der zweitälteste überhaupt, hat eine dramatische Geschichte, die der Spaltung in Folge des Korea-Krieges. Nach einem vierjährigen ideologischen Kampf gründeten die pro-westlichen Pioniere den neuen Kibbutz oberhalb des alten der Ost-Block-Zionisten. Jetzt genießen die Vertriebenen den besseren Ausblick auf den Berg Gilboa und das Tal. Meir Doron, der Leiter des Gasthauses, erlebte den Grabenkampf als Kind mit:

    "Ich erinnere mich noch an die Spannung zwischen beiden Kibbutzim. Man durfte den anderen Kibbutz auf keinen Fall betreten, die Schulen waren getrennt, und eine Zusammenarbeit war undenkbar. Wenn sie für etwas waren, waren wir immer dagegen. Erst vor 15 Jahren fielen einige unsichtbare Mauern, und jetzt feiern wir die Feiertage gemeinsam. Es gibt sogar einige gemischte Ehen. Aber ein Zusammenschluss steht außer Frage, obwohl wir uns politisch nicht mehr unterscheiden."

    Auch der Landkreis Gilboa wollte sich spalten, aber seitdem 1994 Dani Atar hier als Bürgermeister regiert, ziehen vor allem die jüdischen und arabischen Israelis an einem Strang. Der ehemalige General weiß, dass nur wenn es den palästinensischen Nachbarn gut geht, die Ruhe auf der israelischen Seite der Grenze bewahrt wird. Zusammen mit seinem arabischen Stellvertreter kämpft er seit Jahren mit deutscher Förderung für einen Industriepark auf beiden Seiten der Grenze. Weil das nur schleppend vorankommt, erhofft sich Dani Atar zügigere Fortschritte durch den Tourismus.

    "Überall auf der Welt verbindet man Israelis und Palästinenser in erster Linie mit Krieg und Terror. Tourismus klingt wie ein völliger Widerspruch. Und das ist genau unser Ziel: Der Welt klar zu machen, dass hier eine neue Realität entsteht. Wir bieten gemeinsame Touren an, bei denen man hier als Urlauber unendlich viel Spaß haben kann. Reisen Sie durch unser Tal und durch Jenin und tragen Sie so zu dem Frieden bei, der palästinensischen Wirtschaft und der Verbesserung der israelisch-palästinensischen Zusammenarbeit."