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Tourismus in Sizilien
Auf Anti-Mafia-Tour in Palermo

Rund 60 Prozent der Geschäftsleute im sizilianischen Palermo bezahlen Geld an die Mafia. Trotzdem finden sich immer mehr, die kein Schutzgeld bezahlen wollen - und ihren Laden mit einem Aufkleber kennzeichnen. Eine besondere Touristen-Führung durch die Stadt macht auf den stillen Protest aufmerksam.

Von Lisa Weiß | 23.10.2019
Eine Altstadtgasse in Palermo
Eine Altstadtgasse in Palermo (picture alliance / ZB)
Etwa 15 Touristen stehen vor dem Teatro Massimo in Palermo, in ihrer Mitte Linda Vetrano. Sie ist Mitte 40, Sizilianerin, aktiv bei der Organisation Addio Pizzo, also übersetzt "Tschüss Schutzgeld". Das Teatro Massimo kennen die meisten Nicht-Sizilianer vor allem aus dem Film "Der Pate". Das Finale des dritten Teils wurde auf den Stufen vor diesem Opernhaus gedreht. Doch das Teatro Massimo ist noch viel mehr, sagt Linda.
"Wir können dieses Opernhaus auch als Metapher für Palermo sehen, für die vielen Jahre, in denen wir unter der Herrschaft der sizilianischen Mafia gelitten haben. Und dann endlich die Kraft gefunden haben, zurückzuschlagen."
1974 wurde das Theater geschlossen. Eigentlich sollte es nach einigen Monaten wiedereröffnet werden. Daraus wurden 23 Jahre. Korrupte, mafiöse Bauunternehmer wirtschafteten jahrelang in die eigene Tasche, korrupte, mafiöse Politiker halfen ihnen dabei. Erst Ende der 90er-Jahre eröffnete das Theater wieder, nach dem sogenannten Frühling von Palermo.
Was es damit auf sich hat - das werden wir im Laufe der Tour erfahren, verspricht Linda und führt uns weiter, zum Mercato del Capo, einem riesigen Straßenmarkt. Wir stoppen in der Nähe von Fischverkäufern und Gewürzhändlern.
Wenn sie hier einkaufen oder übernachten, geht ihr Geld nicht an die Mafia
Thema ist jetzt: Pizzo, also das Schutzgeld. Geschätzt zahlen immer noch rund 60 Prozent der Geschäftsleute in Palermo Geld an die Mafia, sagt Linda. Unternehmer werden eingeschüchtert, damit sie Schutzgeld bezahlen. Es fängt oft damit an, dass das Schloss der Eingangstür ihres Ladens mit Sekundenkleber beträufelt wird.
"Bis zu dem Punkt, dass sie Blumen vor der Ladentür oder der Wohnung des Unternehmers ablegen – Friedhofsblumen. Sie senden eine deutliche Nachricht: Du bist ein lebender Toter."
Dass mittlerweile mehr Geschäftsleute Anzeige erstatten, sich weigern, Schutzgeld zu bezahlen, das liegt an Menschen wie Edoardo Zaffuto. 2004 hat er mit einer Gruppe von Freunden Addio Pizzo gestartet.
Händler, Restaurants oder Hotels, die kein Schutzgeld mehr bezahlen, dürfen ihren Laden mit einem Aufkleber kennzeichnen. So dass Konsumenten wissen: Wenn sie hier einkaufen oder übernachten, geht ihr Geld nicht an die Mafia.
Am Anfang haben etwa hundert Unternehmen mitgemacht, erzählt Edoardo. Mittlerweile sind es über 1.000. Man findet sie über die Addio-Pizzo-App und über die Internetseite, Addio Pizzo informiert auch in Schulen über die Mafia und macht eben Anti-Mafia-Touren. Aber - wie können sie sich so sicher sein, dass die Unternehmer nicht doch zahlen? Edoardo versucht, zu beruhigen.
Namen der getöteten Richter auf den Treppenstufen
"Wir haben angefangen, auch mit den Sicherheitsbehörden zusammenzuarbeiten. Immer wenn es einen neuen Interessenten gibt, wird in verschiedene Richtungen eingehend geprüft. Deswegen können wir bisher sagen, dass keiner, der Addio Pizzo angehört, Schutzgeld zahlt."
Ein bisschen Vertrauen in die Organisation muss also sein. Linda Vetrano ist mit ihrer Tour mittlerweile an der Piazza della Memoria vor dem Justizpalast angekommen und zeigt auf die Namen auf den Treppenstufen auf dem Platz: Alles Richter, die von der sizilianischen Mafia ermordet wurden.
Wie Giovanni Falcone. Er starb 1992 spektakulär durch eine Bombe unter der Autobahn. Sein Tod war ein Schock für die gesamte Nation, sagt Linda. Doch auf die Verzweiflung folgte der Widerstand: Nach mehrerer solcher Morde gingen die Palermitaner auf die Straße, mit Plakaten, auf denen stand: Ihr habt sie nicht umgebracht, ihre Ideen leben in uns weiter. Der sogenannte Frühling von Palermo begann.