Freitag, 29. März 2024

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Tourismus und Corona
"Große Sorge, dass eine ganze Branche ins Wanken gerät"

Thomas Bareiß, Tourismusbeauftragter der CDU, geht nicht davon aus, dass in naher Zukunft Reisen ins Ausland möglich sein werden. Die Bürger sollten in diesem Sommer den Schwerpunkt auf Deutschland legen, sagte er im Dlf. Er sei aufgrund der Coronakrise aber generell in Sorge um die Tourismusbranche.

Thomas Bareiß im Gespräch mit Stefan Heinlein | 30.04.2020
Die Attrappe in Form eines Riesen- Waffeleis vor einem Eiscafe in Dettenheim bei Karlsruhe. Die Tische und Baenke sind leer, gesperrt und abgeriegelt. Au?er-Haus Verkauf ist moeglich. GES/ Taegliches Leben in Deutschland waehrend der Corona-Krise, 27.04.2020 GES/ Daily life during the corona crisis in Baden-Wuerttemberg, Germany. April 27, 2020 A big dummy of an Icecream seen in front of a Ice Cream Caf? in Dettenheim, close to Karlsruhe. Benches and Tables are closed. | Verwendung weltweit
Die Gastronomie und die Hotelbranche sind in großer Sorge wegen der Coronakrise (GES-Sportfoto)
Die weltweite Reisewarnung wurde bis zum 14. Juni verlängert. Das Bundeskabinett folgte damit der Empfehlung des Auswärtigen Amtes. Vor diesem Datum solle die Lage noch einmal neu bewertet werden, dazu wolle man sich vor allem mit den EU-Nachbarn eng abstimmen, sagte Bundesaußenminister Heiko Maas. Die Reisewarnung werde damit begründet, dass in den kommenden Wochen keine normalen Reisen ins Ausland möglich seien, hieß es. Laut dem Auswärtigen Amt sei weiterhin mit massiven Einschränkungen im internationalen Luftverkehr, weltweiten Einreisesperren oder Quarantäneregelungen zu rechnen. Außerdem wolle man mit der Reisewarnung die weitere Ausbreitung des Virus minimieren und vermeiden, dass deutsche Reisende erneut im Ausland stranden. Für die Tourismus-Branche sind das schlechte Neuigkeiten.
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Thomas Bareiß (CDU) ist Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium und seit zwei Jahren Tourismusbeauftragter der Bundesregierung.

Stefan Heinlein: Tourismusbeauftragter der Bundesregierung, das klingt nach einem Traumjob, Herr Bareiß. Sind Sie aber derzeit eher der Insolvenzverwalter einer ganzen Branche?
Thomas Bareiß: In der Tat ist es ein schöner Job, weil man wirklich viele, viele Branchen auch mit vertreten darf, die sehr vielfältig sind, die sehr erfolgreich sind, über drei Millionen Beschäftigte. Aber derzeit ist es in der Tat eine sehr, sehr starke Krisenbewältigung und ich führe viele Gespräche mit Betroffenen vor Ort, egal ob Hotels oder Restaurants, Freizeitparks, Busunternehmen, die wirklich Existenzängste haben und Sorgen haben, wie geht es die nächsten Monaten weiter.
Diese Branche wurde als erstes ganz hart getroffen mit vielen Schließungen und ich glaube, dass diese Branche auch sehr, sehr lange noch getroffen sein wird, weil einfach auch das Hochfahren, das Lockern von Maßnahmen zwar kommen wird irgendwann mal, aber auch da die Umsätze relativ langsam losgehen, weil natürlich auch viele Menschen noch vorsichtig sind, und gerade die Reisebranche, die Tourismusbranche in ihrer Vielfalt noch lange darunter leiden wird.
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"Wir bewegen uns in einem unsicheren Terrain"
Heinlein: Sie sagen, lange. Gibt es einen ungefähren Zeitraum, den Sie nennen können, wann auch in dieser Branche, in Ihrer Branche, dem Tourismusbereich wieder etwas gelockert werden kann?
Bareiß: Ich glaube, für uns in der Politik ist dieses Problem, dass wir in einem unsicheren Terrain uns bewegen und wirklich auch da uns Schritt für Schritt voranarbeiten und nicht so richtig in die Länge und in die Zukunft schauen können. Das ist echt ein Problem und damit werden auch viele Erwartungen enttäuscht, die da sind. Ich glaube, wir müssen wirklich die nächsten Wochen und Monate noch sehr, sehr stark schauen, dass wir diese Pandemie, die Infektionskette durchbrechen und auch wirklich dafür sorgen, dass Sicherheit und Gesundheit an erster Stelle steht, aber dann auch wirklich alles Mögliche tun, um auch da die Wirtschaft wieder anzukurbeln, Unternehmen wieder öffnen, Lockerungen der Maßnahmen voranbringen, und vor allen Dingen auch durch einen Katalog von Sicherheitsmaßnahmen dafür sorgen, dass Reisen wieder machbar ist, dass man auch wieder sicher reisen kann.
Wir brauchen auch vor Ort dann gewisse Kriterien und Standards, dass auch da wirklich Gesundheit an erster Stelle stellt, dass Mundschutz, dass Abstandsregeln eingehalten werden und damit auch wirklich dann der Restaurantbesuch oder auch der Besuch eines Freizeitparks oder auch Urlaub dann wieder möglich sein kann.
"Den Schwerpunkt auf Deutschland legen"
Heinlein: Sie reden über Deutschland, Herr Bareiß. Würden Sie denn einer Familie jetzt raten, für Juli/August, für die Sommerferien 14 Tage all inclusive Spanien, Tunesien oder die Türkei zu buchen? Oder sagen Sie lieber, Finger weg von so einer Buchung?
Bareiß: Es ist schwer, hier Ratschläge zu geben, aber ich glaube, die nächsten Monate wird eine Reise nach Spanien oder auch in die Türkei und Griechenland noch schwer machbar sein. Derzeit sind ja auch noch alle Flüge gestrichen und man weiß noch gar nicht, wann der Flugplan wirklich losgeht. Deshalb rate ich auch in diesem Sommer etwas stärker den Schwerpunkt auf Deutschland zu legen. Wie gesagt, wir haben hier viele, viele Ziele, und ich hoffe, dass wir auch hier schrittweise die deutschen Hotels und Restaurants gemeinsam öffnen können.
Ich glaube, dass wir auch mit den Nachbarländern uns eng abstimmen müssen. Es ist auch wichtig, dass wir hier gemeinsam vorgehen, gemeinsam auch Sicherheitsstandards in Europa definieren, so dass auch da schnell auch wieder in Europa das Reisen möglich ist – nicht nur für Tourismus, sondern auch für Geschäftsreisen und den regelmäßigen Austausch. Daran arbeiten wir heute schon. Aber wie gesagt, wir können erst dann loslegen, wenn auch zu erkennen ist, dass die Pandemie wirklich im Griff ist.
Heinlein: Keine Fernreisen, davon raten Sie ab, Spanien, Tunesien, die Türkei. Gibt es denn bessere Chancen mit dem Auto vielleicht auf ein einsames Ferienhaus im Sommer in der Toskana, einen Landgasthof in den Alpen, oder sollte man das jetzt auch lieber lassen, oder sollte man jetzt buchen, jetzt wo noch etwas frei ist?
Bareiß: Wenn man mal den Blick auf Deutschland legt, sieht man auch in Deutschland, dass wir jetzt langsam damit beginnen, gerade mit Ferienhäusern und Ferienwohnungen. Auch die Zweitwohnung, die ja teilweise auch in manchen Regionen eine große Rolle spielt, ist jetzt teilweise in manchen Bundesländern zu buchen, und das ist etwas, was zeigt, dass wir die Lockerungen auch wirklich vorantreiben. Aber ich glaube, dass es sehr, sehr schwerfällt, derzeit eine Prognose abzugeben, ob die Reise nach Italien, nach Spanien im Juli/August/September machbar ist.
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Ich hoffe, dass wir da relativ schnell vorangehen können, aber auch die Reisewarnung heute vom Auswärtigen Amt, die auch da nicht den Kollegen leicht gefallen ist, die sagt, bis zum 14. Juni wird die ganze Welt quasi als unsicher angesehen, zeigt schon auch da, dass wir noch einiges an Zeit vor uns haben, wo wir wirklich noch weitestgehende Einschränkungen haben im Bereich des Reisens, wo keine Flüge sind, wo kein Austausch da ist, wo auch teilweise noch Grenzen geschlossen sind. Und das zeigt auch, wie stark der Einschnitt ist.
"Unternehmen haben relativ schnell Geld bekommen"
Heinlein: Wir haben eingangs, Herr Bareiß, über die finanzielle Notlage in Ihrer Branche geredet. 60 Prozent der Reisebüros und Veranstalter stehen vor der Pleite. 80 Prozent haben bereits staatliche Hilfe beantragt. Werden die bereitgestellten Gelder ausreichen, oder muss die Bundesregierung da noch einmal nachlegen?
Bareiß: Ich glaube, in der ganz konkreten Akutphase haben wir wirklich viel gemacht mit großen Hilfspaketen. Die kamen auch vor Ort an. Ich glaube, die Unternehmen haben relativ schnell hier Geld bekommen. Auch der Zuschuss kam an, der gerade für die kleinen Selbständigen gedacht war, die 9.000, 15.000 Euro. Das sind Mittel, die die Betriebskosten auch decken, die Sicherheit schaffen. Aber das sind Mittel, die dann die ersten sechs oder acht Wochen ausreichen.
Ich glaube, wenn jetzt zu erkennen ist, dass in manchen Bereichen die Krise länger dauert, brauchen wir auch noch weitergehende Programme, die einfach dafür sorgen, dass diese Liquiditätskrise nicht zu einer langfristigen Schuldenkrise wird, weil ja viele Unternehmen im Bereich der Gastronomie und Hotels Familienbetriebe sind, die über Generationen hinweg schon existieren. Da machen sich junge Familien beispielsweise auch Sorgen, wie können sie dann dieses Unternehmen langfristig sichern, und deshalb braucht auch da der Staat ein gewisses Hilfspaket, wo wir dann den Unternehmen helfen, dass sie auch nach der Krise noch durchstarten können.
"Überlegen, wie können wir diese Branche sichern"
Heinlein: Herr Bareiß, eine Sache brennt vielen Familien, vielen Urlaubern noch unter den Nägeln. Sie haben Urlaub gebucht und bereits bezahlt, können ihn jetzt aber nicht antreten, Ostern, Pfingsten oder vielleicht auch im Sommer, und sollen jetzt nicht Geld, sondern Gutscheine zurück erhalten. Die Europäische Union ist davon nicht begeistert, Sie wissen es. Warum schränkt denn die Bundesregierung die Verbraucherrechte ein?
Bareiß: Das ist ein Thema, das uns sehr, sehr umtreibt, weil auch ich habe die große Sorge, dass hier eine ganze Branche ins Wanken gerät, und weil wir die nächsten Wochen erleben werden, dass die Kunden natürlich zurecht ihr Geld zurück verlangen und damit aber auch sehr, sehr viel Geld aus den Unternehmen abfließt. In den nächsten Wochen wird zu erwarten sein, dass 4,5 Milliarden Euro von großen bis kleinen Veranstaltern abfließen, dann noch im Sommer noch einmal etliche Milliarden, und das bringt dann die ganze Veranstalterbranche, vom kleinen Omnibus-Unternehmer bis zum großen Reisekonzern, ins Wackeln.
Ich habe die große Sorge, dass damit die ganze Reisebranche, die ja unsere Urlaube immer ins Aus- und Inland organisiert, in sich zusammenfällt. Deshalb müssen wir hier wirklich, glaube ich, in dieser Ausnahmesituation überlegen, wie können wir diese Branche sichern, Liquidität kurzfristig in den Unternehmen belassen, aber auch dem Verbraucher, dem Reisenden den Verbraucherschutz erhalten, so dass dieser Gutschein, den wir jetzt überlegt haben, wie er in anderen Ländern Europas auch schon existiert, ausgegeben werden kann von Unternehmen, das Geld im Unternehmen bleibt, aber dennoch der Kunde die Sicherheit hat, dass der Gutschein werthaltig bleibt.
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Deshalb muss auch ein Stück weit garantiert sein, auch vielleicht vom Staat garantiert sein, und muss er auch nach einer gewissen Laufzeit, nach einem Jahr wieder in Geld umwandelbar sein, wenn er nicht in Reisen eingelöst wird. Somit hat der Kunde die Sicherheit auf Dauer, dass sein Geld nicht verloren geht, und hat aber auch die Sicherheit, dass der Konzern oder das Unternehmen, der Omnibus-Unternehmer vor Ort weiterhin existent bleiben kann. Auch das sind Maßnahmen, die außergewöhnlich sind, aber in dieser schweren Krise vielleicht auch notwendig sind, damit wir hier wirklich Strukturen und Arbeitsplätze auch langfristig retten können.
Heinlein: Aber wenn die EU-Kommission jetzt erklärt, liebe Bundesregierung, Gutscheine sind nicht in Ordnung, ihr müsst die Verbraucher mit Geld entschädigen, dann wird sich Berlin Brüssel beugen?
Bareiß: Wir haben jetzt viele Gespräche geführt mit Brüssel. Wir haben auch festgestellt, dass viele europäische Nachbarn diesen Gutschein schon gesetzlich umgesetzt haben. Frankreich, Belgien und andere Länder haben den Gutschein heute schon eingeführt, weil sie auch das gleiche Problem haben wie wir. Wir wollen auch da rechtstreu bleiben. Deshalb hoffen wir auch darauf, dass die Europäische Union die Gutscheinlösung uns ermöglicht.
Wir glauben, dass das notwendig ist, um einfach die Branche zu retten, und ich glaube, auch da hat die Europäische Union ein großes Interesse dran, weil auch da es wichtig ist, dass die Reisebranche weiterhin existent ist, weil wir ja auch diejenigen sind, die nach Griechenland reisen, nach Spanien, nach Portugal reisen, und deshalb auch nach der Krise diese Unternehmen gebraucht werden, dass auch wieder die Hotels und die Destinationen in ganz Europa gefüllt werden und auch die ganze Branche in Europa nicht Not leiden wird.
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Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.