Dienstag, 19. März 2024

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Tourismusbranche in der Coronakrise
"Es müssen deutlichere Signale kommen, um die Wirtschaft zu unterstützen"

Der Tourismusexperte Christian Buer fordert angesichts der Coronakrise noch umfangreichere Programme für die Wirtschaft als bisher von der Bundesregierung angekündigt. Für Hotels und Gastronomie müsse die Mehrwertsteuer angepasst werden, sagte er im Dlf. Zudem sollten Ausfälle kompensiert werden.

Christian Buer im Gespräch mit Sebstian Schreiber | 16.03.2020
Ein Flugzeug mit dem Logo von TUI auf seiner Heckspitze und dem Flügel.
Zuletzt hat der Reiseveranstalter Tui seine Gewinnprognose gestrichen und Staatshilfen beantragt (picture alliance / dpa / Sebastian Gollnow)
Reiseveranstalter, Hotels, Gastronomie - sie alle werden von der weltweiten Pandemie des neuen Coronavirus SARS-CoV-2 stark getroffen. Zwar hat die Regierung schon einige Maßnahmen beschlossen, die den Betrieben helfen sollen, die Auswirkungen abzufedern. Aber das reicht nach Auffassung von Christian Buer, Professor für Tourismuswirtschaft an der Hochschule Heilbronn, nicht. Die Politik müsse deutlich mehr anbieten – beispielsweise die Senkung der Mehrwertsteuer oder eine Kompensierung der Ausfälle.
Sebastian Schreiber: Wie dramatisch ist die Lage für Tui und die anderen Reiseveranstalter derzeit?
Christian Buer: Die Reiseveranstalter grundsätzlich, nicht nur die Tui, haben natürlich die Schwierigkeit zurzeit, dass sie keine Reisen verkaufen, weil wir zweierlei Probleme haben: Erstens dass die Leute vielleicht gar nicht reisen wollen, und das zweite, aber viel größere ist, dass ja die Länder, in die gereist werden könnte, die Tore dichtmachen. Das heißt also, sie können gar nicht mehr anbieten in die sogenannten Destinationen, Ferndestinationen zu reisen. Das bedeutet für eine Tui, sie verkaufen zurzeit keine Reisen, und es gibt auch schwer Prognosen zu machen, wie die Reiseentwicklung für diesen Sommer sein wird.
Händler stehen am 02.03.2020 an der Wall auf dem Parkett der Wall Street in New York und blicken auf die Aktienkurse auf den Bildschirmen.
Folgen des Coronavirus für die Wirtschaft
Die Bundesregierung hat Unternehmen Kredite ohne Begrenzung zugesagt. Die Sorgen um die ökonomischen Folgen der Coronavirus-Epidemie wachsen. Ein Überblick.
Sebstian Schreiber: Was können denn die Unternehmen aus dieser Branche tun, um sich in diesen Zeiten noch über Wasser halten zu können?
Buer: Die Maßnahmen sind ja jetzt schon mal initiiert: Kurzarbeit; ich gehe auch davon aus, dass das eine oder andere Hotel Mitarbeiter entlässt. Also nicht nur, dass sie nicht bereit sind, auf Kurzarbeit zu gehen, sondern sie einfach auch entlassen werden. Hotels werden versuchen, die Betriebe, wenn sie eine gewisse Kostendeckung nicht mehr haben, zu schließen. Ich rate den Betrieben: Geht auf eure Vermieter, geht aufs Kapital, geht auf die Banken zu und sagt, Leute, Ihr könnt also jetzt den kompletten Shutdown haben, dann haben wir einen insolventen Betrieb vor uns, oder wir gehen gemeinschaftlich in die Krise hinein. Mut zur Kommunikation, Mut, mit allen Betroffenen, die Zulieferer sind et cetera, zu sprechen, um gemeinsam durch diese Krise zu kommen.
"Ausfälle kompensieren"
Schreiber: Die Bundesregierung hat Hilfen in Aussicht gestellt in Form von staatlichen Krediten. Ist das eine Maßnahme, die aus Ihrer Sicht da zielführend ist?
Buer: Sie ist zumindest liquiditätsfördernd für den Betrieb, aber irgendwann muss ja auch ein Kredit zurückgezahlt werden. Und das ist natürlich genau die Schwierigkeit, die wir haben: Wenn ich mich jetzt operativ mit einem immensen Kredit belaste, muss ich den irgendwann mal in den nächsten zehn Jahren trotzdem zurückzahlen. Ich bin der Meinung, wir müssen umfangreichere Programme machen. Die Bundesregierung hat insbesondere bei Hotel und Gastronomie die Chance die Mehrwertsteuer jetzt drastisch anzupassen. Ich bin auch der Meinung, dass wir Steuersenkungen machen müssen. Ich meine auch ganz klar, wir müssen überlegen, die Ausfälle zu kompensieren, so wie es in Österreich und Italien, in Spanien aufgrund der Ausnahmezustände passiert. Dort werden Hotelbetriebe und Gastrobetriebe ihren Ausfall kompensiert bekommen. Dass das natürlich ein langer bürokratischer Weg ist, ist auch klar, aber dennoch müssen hier deutlichere Signale kommen, um unsere Wirtschaft zu unterstützen.
Coronavirus
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"Mittelständler werden es vielleicht drei Monate schaffen"
Schreiber: Derzeit ist ja noch völlig unklar, wie lange diese Phase anhält. Was ist denn Ihre Prognose? Sie haben es schon angesprochen, es wird möglicherweise zu Schließungen kommen, zu Entlassungen kommen. Wo ist denn aus Ihrer Sicht so ein bisschen die kritische Marke, bei der es für die Unternehmen dann einfach nicht mehr möglich sein wird, weiterzumachen?
Buer: Jetzt müssen wir unterscheiden, was für Unternehmen. Die Klein- und Kleinstbetriebe, also der Gastronom um die Ecke, der wird ganz massive Schwierigkeiten kriegen, wenn er keine Lebensmittel mehr verkaufen kann und sie auch nicht bekommt. Und für den ist das maximal in zwei Monaten, und dann hat er ein Problem. Die Mittelständler und größeren Unternehmen werden es vielleicht drei Monate schaffen, aber auch dann wird es für einen Betrieb eng, weil die Kostenuhr muss angehalten werden. Also wenn es noch in den Mai und den Juni geht, weiß ich nicht, was die Bundesregierung tut, um dem Versprechen des Wirtschaftsministers, wegen des Coronavirus wird keiner entlassen, wirklich entgegenwirken zu können. Dem stehe ich sehr kritisch gegenüber. Da muss die Politik mehr machen als dieses Handlungspaket, was sie bisher angeboten hat.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.