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Traditionelle Formen, zeitgenössische Inhalte

Das Tanzfestival in Durban wollte ein junges Publikum gewinnen und zugleich die Tanz-Habitues nicht vergraulen - ein Spagat, der nicht immer gelungen ist. Einzelne Stücke überzeugten jedoch: etwa Jay Pather mit "Caesar, interrupted", einer gelungenen Melange aus zeitgenössischem Tanz, multimedialer Installation und Kulturkritik.

Von Leonie March | 09.09.2012
    Ein einsamer Tänzer auf einer kahlen Bühne, ein kalter Licht-Spot verfolgt seinen Leidensweg. Er hungert, schreit nach Hilfe, wird nicht erhört. Stirbt beinahe, doch steht immer wieder auf, versucht Würde und Menschlichkeit zu bewahren. "Skwatta", die Choreografie des Südafrikaners Vincent Mantsoe, ist ein eindrucksvolles Werk. Konzentriert auf das Wesentliche. Eine Essenz. Manchmal zu abstrakt. Nicht immer ist die Kritik an den Lebensverhältnissen in den Armenvierteln, den "Squatter Camps", nachvollziehbar. Zeitgenössischer afrikanischer Tanz verlangt dem Publikum viel ab, betont die künstlerische Leiterin des Jomba-Festivals, Lliane Loots:

    "Schon der Begriff ist umstritten. Aber ich denke er beschreibt die neue Tanzsprache sehr gut, die sich hier momentan entwickelt. Vincent Mantsoe ist einer der Pioniere: Geboren in eine Familie traditioneller Heiler, ist seine Tanzsprache tief in der afrikanischen Kultur verwurzelt. Gleichzeitig beschäftigt er sich mit den drängenden Fragen der Gegenwart. Der wachsenden Kluft zwischen Armen und Reichen in Südafrika. Seine eigenwillige Tanzsprache transportiert diese aktuelle politische Aussage."

    Diese Verknüpfung von Tradition und Moderne gelingt leider nur wenigen Künstlern. Die meisten bleiben in der Vergangenheit hängen. Musik, Bewegungen und Bühnenbild bleiben zu nah am Brauchtum, rutschen teilweise ins Folkloristische ab. Bezüge zum modernen Südafrika, künstlerische Provokationen und mutige Experimente fehlen. Ein Mangel, den auch Jay Pather beklagt, Direktor des einflussreichen Instituts für darstellende Künste, GIPCA, in Kapstadt und selbst Choreograf.

    "Es fehlt an Mut und Selbstvertrauen persönliche Geschichten zu erzählen, eine künstlerische Identität zu entwickeln, die sowohl zeitgenössisch ist, als auch in afrikanischen Traditionen verankert. Beides ist wichtig: Viele einheimische Kulturen wurden in der Vergangenheit vernachlässigt und verdienen zwar auf die Bühne zu kommen. Gleichzeitig aber dürfen wir nicht vergessen, dass wir in der Moderne leben. Wenn es uns gelingt, das und die Vielzahl der Kulturen hier in Südafrika zu verbinden, dann hätten wir der Welt etwas Einzigartiges, sehr Eindrucksvolles zu bieten."

    Jay Pather macht mit seiner neuen Choreografie vor, wie das aussehen könnte. "Caesar, interrupted" ist eine gelungene Melange aus zeitgenössischem Tanz, multimedialer Installation und bissiger Kulturkritik.

    Auf der Bühne proben Tänzer für die Adaption des Klassikers "Julius Caesar", doch dann erfahren sie, dass die Fördermittel für das Stück drastisch gekürzt wurden, dass der Aufführungsort nicht zur Verfügung steht und dass der Tänzer der Hauptrolle wegen eines lukrativeren Angebots abspringt. Schlechte Neuigkeiten, die Jay Pather seinem Tanzensemble per E-Mail mitteilt, groß an die Bühnenwand projiziert. Kein fiktionaler Stoff, sondern der wahre Hintergrund von "Ceasar, interrupted", dem unterbrochenen Caesar.

    "Diese E-Mails habe ich wirklich geschrieben. Es ist also eine sehr persönliche Geschichte, aber sie hat universellen Charakter. Es ging mir nicht darum, mich auf der Bühne zu beschweren, dass es mit der Caesar-Adaption nicht geklappt hat. Mich interessierte, wie man mit einer solchen Situation umgehen kann: Einem geplatzten Traum, einem Projekt, das man nicht realisieren kann. Im Mittelpunkt stehen Themen wie Verwundbarkeit, Fehlbarkeit und Glaubwürdigkeit. Es war auch für unser Ensemble eine wichtige Lehre, aus diesem Rückschlag noch etwas Neues zu erschaffen."

    Auf der Bühne verwandeln die Tänzer ihre anfängliche Frustration, Enttäuschung und Orientierungslosigkeit in komplexe Bilder. Ein neuer Tanz entwickelt sich, wie eine Traumsequenz, eine Zukunftsvision. "Ceasar, interrupted" bleibt damit zwar unvollendet, aber nicht unvollkommen. Ohne Frage das Highlight des diesjährigen Tanzfestivals in Durban.