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Tragisches Schauermärchen

Die Inszenierung mit ihrer halbherzigen Dekonstruktion des Geschehens einerseits und dem Anspruch, große Gefühlsoper hervorzubringen andererseits, erzeugte mal Verwunderung mal Ratlosigkeit. Und auch aus musikalischer Sicht zeigte sich diese Premiere zumindest zwiespältig, kommentiert Mascha Drost.

Von Mascha Drost | 22.04.2013
    Der typische Premierenbesucher der Deutschen Oper ist es nicht unbedingt gewohnt, auf der Bühne seinem Spiegelbild zu begegnen: Herren im Anzug und roter Fliege, Damen in großer Garderobe, Glitzertaschen auf dem Schoß - Opernchor und Statisten blicken aus der Deutschen Oper als Kulisse in die reale Deutsche Oper hinein. Als Theaterregisseur wird es Jan Bosse gewohnt sein, die sogenannte "vierte Wand" einzureißen, den Zuschauer miteinzubeziehen, die Grenzen zwischen Bühnengeschehen und Publikum verschwimmen zu lassen - die Opernbesucher gestern jedoch schienen die Rolle der passiven Interaktion nicht sonderlich zu schätzen, das machten vehemente Buhrufe schon nach dem 1. Akt mehr als deutlich. Allerdings wurde dieser Ansatz vom Regisseur auch nur halbherzig verfolgt - ein paar Lichteffekte, etwas Konfetti im Zuschauerraum, die Sänger zeitweilig auf der Brüstung, das war's auch schon; Konsequenz sieht anders aus.
    Nun hatte Jan Bosse allerdings das Pech, dass sein Konzept, Oper in Realität zu überführen, an der Surrealität des Abends scheiterte. Denn der wartete nicht nur mit einer, sondern zwei weiblichen Hauptfiguren auf - Lucy Crowe als einer Gilda, die spielen und nur stumm den Mund bewegen durfte und der Einspringerin Olesya Golovneva, die ihr vom Rand her die Stimme lieh und deren Debüt zur Sensation geriet. Die sinnliche Leichtigkeit ihrer Koloraturen, der jugendlich-kraftvolle Klang, das makellos-silbrige Timbre und ihre enorme Ausdrucksstärke zwangen die Aufmerksamkeit fast schon magnetisch zum Bühnenrand und machten die eigentliche und ohnehin dürftige Personenregie - zumindest während der Gilda-Auftritte - obsolet.


    Nicht nur die Inszenierung mit ihrer halbherziger Dekonstruktion des Geschehens einerseits und andererseits dem Anspruch, große Gefühlsoper hervorzubringen, erzeugte mal Verwunderung mal Ratlosigkeit - auch aus musikalischer Sicht zeigte sich diese Premiere zumindest zwiespältig. Neben der grandiosen Olesya Golovneva überzeugten noch Andrzej Dobber als kraftvoller Rigoletto, Albert Pesendorfer als abgründig-düsterer Sparafucile und als dessen Schwester Maddalena Clémentine Margaine, ein Vollblut-Mezzo. Der eingesprungene Eric Fennel als Herzog von Mantua allerdings zeigte sich vielleicht weniger mit seiner Rolle als vielmehr der Größe des Saales überfordert - von tenoraler Großspurigkeit, dem virilen Schmettern dieser Rolle war kaum etwas wahrzunehmen, selbst "La donna e mobile"muss in halber Lautstärke wirkungslos verpuffen.

    Es waren also nicht die besten Bedingungen für den Dirigenten Pablo Heras-Casado, der das neuzusammengewürfelte Ensemble souverän und ohne Ausfälle durch den Abend brachte, das Orchester immer wieder zu virtuosen Höchstleistungen animierte und stellenweise vielleicht doch unter seinen Möglichkeiten blieb oder bleiben musste. Unter weniger stressigen Voraussetzungen wären einige Partien vielleicht noch schärfer, noch düsterer gelungen, hätten Kantilenen entspannter ausgesungen werden können - Risiko statt Sicherheit.
    Die Vorgängerproduktion von Hans Neuenfels hat ebenso radikal wie prägnant die Seelenzustände in naiv-surrealistische Szenerien übersetzt - der Effekt hat 20 Jahre überdauert. Die Wirkung des gestrigen Abends verflog leider spätestens im Foyer.