Donnerstag, 25. April 2024

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Trans-Freeriderin Hannah Aram
"Jeder hat das Recht, Sport zu machen"

Die Britin Hannah Aram ist die erste trans* Frau, die in der Freeride World Tour startet. Diese Pionier-Rolle trägt sie bei jedem Wettkampf mit sich. Sie sagt: "Überhaupt mitzumachen, wird für mich zum politischen Akt".

Von Tilo Mahn | 05.04.2021
Hannah Aram steht in einem schneebedecktem Tal im Gebirge.
Hannah Aram an ihrem Rückzugsort, den Bergen (Deutschlandradio / Tilo Mahn)
Hannah Aram war immer ein Mädchen, auch wenn die Welt gebraucht hat, um das zu verstehen. Mit drei Jahren hat sie in Schottland Skifahren gelernt, später in still gelegten Minen Abfahrten trainiert. Heute mit 37 startet sie in der Freeride World Tour der Frauen. Als Transgender-Athletin in der Szene beschäftigt sie sich zwischen Training bei Tiefschneeabfahrten und Wettkampfvorbereitung mit den Rechten von Trans* Personen:
"Die olympische Charta sagt: "sport is a human right" – jeder hat das Recht, Sport zu machen ohne Ausgrenzung aufgrund von race, sexuality, Behinderung, Körper, gender und so weiter. Und im Grundgesetz ist es genauso."

"Meine Auszeit ist eine Sportart, die sehr weiß ist"

Ungleichheit macht Hannah Aram wütend. Auch, weil sie Opfer von Gewalt wurde und mit Traumabewältigungen zu kämpfen hat. Wenn sie bei der Freeride World Tour antritt, ist es in ihrer eigenen Wahrnehmung nie nur ein Start einer Skifahrerin, sondern auch immer ein Wettkampf der Transgender-Frau Hannah Aram.
"Und ich brauche dann eine Auszeit. Aber meine Auszeit ist eine Sportart, die sehr weiß ist, die sehr cis ist, die sehr able ist. Und in der Darstellung von Skifahren und vom Freeriden, die wir alle mitbekommen, sind die meisten Förderungen und Möglichkeiten für Sponsorship und auch die meisten competitions. Die meisten Coaches sind alle männlich. Und überhaupt mitzumachen, wird dadurch für mich zum politischen Akt."
Hannah Aram lächelt in die Kamera
Hannah Aram (Aram)
Und zu einem anstrengenden Akt - die Situation vieler nicht heteronormativer Sportler:innen. Die Frage nach Geschlechtsidentität, nach Gleichberechtigung in Sport und Gesellschaft ist dabei keine neue. Die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität war schon 2017 an den Deutschen Olympischen Sportbund herangetreten - um sich auszutauschen und um die Position des DOSB abzufragen. Kirsten Witte-Abe arbeitet beim DOSB im Ressort Chancengleichheit und Diversity und begleitet die Entwicklungen im eigenen Verband und in einzelnen Vereinen. Sie sagt:
"Schritt halten ist vielleicht ein gutes Stichwort. Da sind wir natürlich nicht in dem Tempo unterwegs, wie es sich wahrscheinlich vor allem auch Trans* und Inter*Personen wünschen würden. Das ist sicherlich auch der Tatsache geschuldet, dass langjährige Tradition dahintersteckt und sicherlich auch ein System, das sich lange bewährt hat und auch den Systemen entspricht, die gesamtgesellschaftlich existieren."

"Keine leichte Debatte" um Startklassen

Im Leistungssport, bei Wettkämpfen oder olympischen Spielen dominieren die Diskussionen um Chancengleichheit, Grenzen von Hormonwerten und die Einteilung in Leistungsklassen. Der DOSB versteht sich beim Thema Trans*Personen im Sport als Vermittler, organsiert Tagungen und Workshops, in denen sich Interessensgruppen austauschen können. Konkrete Lösungen für die vollständige Integration von Trans*Personen ins Wettkampfgeschehen gibt es bisher nicht, sagt Witt-Abe:
"Und es gibt da auch unterschiedliche Einschätzungen, selbst von den Interessengruppen. Auch die diskutieren. Würde das nicht zu Chancen-Ungerechtigkeit führen? Oder wenn wir dritte Klassen für diverse Sportler:innen einführen: Wäre das des Pudels Kern? Würde man damit überhaupt irgendjemandem helfen? Also das ist wirklich keine leichte Debatte und schaut man sich jetzt wirklich den Spitzensport, die Toplevel-Ebene an, dann ist das nicht einfach."
Die Fahne weht in pink, blau und weiß mit dem Trans-Symbol über einem Demonstrationszug.
Diversität im US-Schulsport - Bundesstaaten streiten um Inklusion von Trans-Mädchen
In den USA wird derzeit eifrig diskutiert, ob Transgender-Athletinnen im High School – und College-Sport gegen Mädchen und Frauen antreten dürfen oder nicht. Die Diskussion ist längst du einem politischen Thema geworden, in das sich sogar der US-Präsident eingemischt hat.
Im Breitensport auf Vereinsebene seien demnach eher Veränderungen möglich, sagt Witte-Abe. Der Berliner Fußballverband hat beispielsweise seine Spielordnung geändert. Dort dürfen diverse Sportler:innen selbst entscheiden, ob sie bei den Frauen oder bei den Männern mitspielen. An vielen Stellen scheinen gesellschaftliche Normen und Entwicklungen die Strukturen des Sports allerdings überholt zu haben. Für Hannah Aram bedeutet das, dass sie wegen ihrer Geschlechtsidentität ungewollt zur Projektionsfläche für eine Debatte in Sportverbänden wird:
"Ich glaube, die politische Komponente kann man nicht von den anderen Dingen trennen, die gleichzeitig stattfinden. Es wird politisch gemacht. Ich entscheide das nicht. Meine Existenz wird politisiert. Und wenn ich dann auftrete bei einer competition, wenn ich überhaupt in der Gesellschaft auftrete oder auf der Straße langgehe, dann ist das ein politisches Statement. Nicht nur für mich, sondern auch für andere Menschen."

"Ein Mensch oder ein Unmensch?"

Für Vereine besteht langfristig die Frage, ob Personen, die nicht ins Raster passen, sich nicht mehr willkommen fühlen. Dann wird es spätestens auch deshalb ein relevantes Thema, weil Mitglieder schwinden. Im Leistungssport sieht Kirsten Witte-Abe neben strikten Regelwerken und festgefahrenen Strukturen beim Thema Teilhabe die größten Hürden:
"Die Definition von "alle´" hat sich einfach verändert. Früher hatte man ein klassisches Bild von "allen". Ganz früher waren es nur die Männer, dann irgendwann kamen die Frauen dazu. Mittlerweile sind wir bei einem nochmal erweiterten Bild. Und ich denke, dass das Anliegen nach wie vor auch ist, alle Personen, je nachdem, wie der gesellschaftliche Begriff dann eben auch geprägt ist, die Möglichkeit zu bieten, an Wettkämpfen teilzunehmen."
Alltag und Sport verschwimmen bei Hannah Aram. Sie setzt sich für ihre Community ein und drückt Missstände auch in Kunst und Musik aus. Für die 37-Jährige ist die Frage nach der Leistungsfähigkeit von Körpern und deren Einteilung absurd, denn alle Körper seien unterschiedlich. Entscheidend bleibt für sie, wie man dabei mit den Menschen in den Körpern umgeht.
"Es ist die gleiche Frage wie sie immer wieder von Frauen im Sport, schwarzen Menschen im Sport, behinderten Menschen im Sport, schwarzen Frauen im Sport und Transgender Menschen im Sport gestellt wird. Die darunter liegende Frage ist, ob diese Person ein Mensch ist oder Unmensch. Und darf diese Person entscheiden für sich selbst, dass sie ein Mensch ist, dass sie Frauen sind oder liegt diese Entscheidung woanders."
Dabei glaubt Hannah Aram an das Gemeinsame, dass die Sportwelt und die Gesellschaft mehr verbindet als trennt. In Pandemiezeiten kommt sie kaum zum Freeriden, dafür mehr zum Nachdenken und Lesen. Immer wieder stößt sie dabei auf das Leitbild, von dem sie fest überzeugt ist: vom Sport in seiner unerschöpflichen Vielfalt.