Freitag, 19. April 2024

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Transatlantische Beziehungen nach der US-Wahl
"Das Verhältnis wird mit Sicherheit freundlicher“

Mit der künftigen US-Regierung werde die Zusammenarbeit Amerikas und der EU verbindlicher, sagte Constanze Stelzenmüller im Dlf. Dennoch sieht die Expertin für Außenpolitik auch Streitpunkte, darunter die Frage, ob Russland und China europäische Infrastruktur wie Pipelines oder Funknetzwerke erwerben dürfen.

Constanze Stelzenmüller im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 09.11.2020
Merkel spricht mit Trump während Macron, Abe und Bolton zuhören.
Das Verhältnis zwischen Angela Merkel und Donald Trump galt als angespannt - hier am Rande des G7-Gipfels im Jahr 2018 (dpa / Jesco Denzel / Bundesregierung)
"Ganz gewiss wird diese Regierung die EU nicht als Feind betrachten, so wie das Trump legendärer Weise mal gesagt hat", sagte Stelzenmüller. Im Gegenteil: Von Biden sei bekannt dass er die EU schätze und wisse, was sie im Bündnis mit Amerika einbringe – in Hinblick auf Machtressourcen, Diplomatie und demokratischer Legitimität.
Dennoch prognostiziert die Expertin für Außenpolitik von der Brookings Institution in Washington, dass die Regierung Biden von Europa erwarte, sich mehr um die eigene Sicherheit zu kümmern als bisher. "Es ist auch in unserem eigenen Interesse, das tun zu können, weil das uns wiederum in die Position versetzt, da, wo wir gemeinsame Anliegen und Interessen haben mit den Amerikanern, auch gerade bei dem Umgang mit Russland und China, unsere Argumente einzubringen und gelegentlich, wo es notwendig ist, Vorbehalte anzumelden", erläuterte Stelzenmüller.
Heiko Maas (SPD) - "Die USA werden nicht mehr der Weltpolizist sein"
Bundesaußenminister Maas (SPD) geht davon aus, dass die USA ihre Außen- und Sicherheitspolitik auch mit Joe Biden nicht grundsätzlich ändern werden. Weil sich das Land aus bestimmten Regionen der Welt aber zurückziehen werde, müsse sich Europa intensiver um unmittelbare Nachbarn kümmern, sagte Maas im Dlf.
Wenn es – in Hinsicht auf Naturell und Charakter – einem Politiker gelingen könne, zukünftig Brücken zwischen Siegern und Verlierern in den USA zu bauen, sei das Joe Biden, dessen Lebensbiografie für seine Empathie spreche, meint Stelzenmüller. "Aber es bedarf natürlich auch eines groß angelegten politischen, sozialen, ökonomischen Reformprogramms und vor all dem muss dieses Land die Pandemie in den Griff kriegen, die momentan gänzlich unkontrolliert hier wütet."

Tobias Armbrüster: Wie sehen Sie das? Haben die USA jetzt noch einmal ungemütliche Wochen vor sich?
Constanze Stelzenmüller: Das hängt alles davon ab, wie sich der Präsident entscheidet, und ich glaube auch, wie sich einige mächtige Republikaner in seiner Umgebung entscheiden. Das ist in der Tat auch eine Richtungsentscheidung über die Zukunft des konservativen Lagers in den USA.
Wird das ein reiner Trump-Betrieb - manche sagen hier schon, ein Trump-Kult -, in dem Loyalität und Clan-Zugehörigkeit über allem anderen zählt, oder gibt es noch eine Rolle und Einfluss für die traditionellen Machtstrukturen und deren oberste Gestalter sowie den Mehrheitsanführer im Senat, Mitch McConnell, den Minderheitsanführer im Kongress, Kevin McCarthy, oder die lange Zeit informelle Macht hinter dem Thron, Rupert Murdoch, den Chef von Fox News. Das ist allerdings ein Sender, der nicht mehr ganz so beliebt ist im Weißen Haus wie lange, weil er sich inzwischen doch deutlich abgesetzt hat von dieser Regierung.
Die Politikwissenschaftlerin Constanze Stelzenmüller sitzt im Studio während der ZDF-Talksendung "Maybrit Illner".
Die Politikwissenschaftlerin und US-Expertin Constanze Stelzenmüller (picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
Armbrüster: Was ist denn Ihre Einschätzung? Hat sich jetzt durch Donald Trump massiv etwas verschoben im Mobiliar der amerikanischen Politik?
Stelzenmüller: Ich glaube, man muss sagen, Donald Trump ist sowohl ein Symptom als auch eine Ursache. Er ist ein Symptom einer größeren Bewegung, von einem Ethno-Nationalismus, der aus Angst vor der Globalisierung sich nährt und der aus Angst vor dem Kontrollverlust weiterlebt. Gleichzeitig hat er durch sein autoritäres Auftreten, seine Missachtung der Verfassungsnormen und der Normen des politischen Anstandes natürlich auch selber in der Fläche der amerikanischen Politik breitflächig abgeholzt.
Ich glaube, es findet jetzt in der Tat ein Kampf um die Seele und die Zukunft der Republikanischen Partei statt und keiner hier würde sich trauen zu sagen, wie das ausgeht. Man merkt schon bei einigen Republikanern deutliche Absetzbewegungen, aber es haben wichtige Republikaner noch überhaupt nichts gesagt zu dieser Wahl. Beispielsweise Condoleezza Rice, die frühere Außenministerin und nationale Sicherheitsberaterin, hat Biden bereits gratuliert, dito der frühere republikanische Präsident George W. Bush. Selbst Gerry Cohen, einer der Anwälte der Regierung Trump, hat ihm gratuliert. Aber die wesentlichen Figuren schweigen nach wie vor und da spielt sich jetzt, glaube ich, ein Machtkampf ab, dessen Ausgang wir abwarten müssen, fürchte ich.
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Corona-Pandemie als dringendstes Problem
Armbrüster: Frau Stelzenmüller, dann lassen Sie uns auf die andere Seite gucken, auf die Seite des Gewinners Joe Biden. Der sagt jetzt immer wieder, dass er die amerikanische Gesellschaft heilen möchte. "To heal", "Healing" ist da sein großes Wort, das er immer wieder benutzt. Kann ihm das gelingen, wenn man sich diesen knappen Wahlausgang ansieht? Er hat ja fast die Hälfte der Wählerschaft in den USA gegen sich gehabt.
Stelzenmüller: Es ist Tatsache: Dieses Wahlergebnis mit einer Wahlbeteiligung, wie es sie in diesem Land in 100 Jahren nicht gegeben hat – das war so eine Art von Generalmobilisierung des amerikanischen Wahlvolkes -, hat gezeigt, wie tief polarisiert dieses Land ist. Ich glaube, wenn es vom Naturell, vom Charakter her irgendeinem Politiker gelingen kann, Brücken zu bauen zwischen den Siegern und den Verlierern, dann ist das Joe Biden, dessen ganze Lebensbiografie für seine Empathie, seine Fähigkeit, mit anderen zu fühlen, spricht.
Aber es bedarf natürlich auch eines groß angelegten politischen, sozialen, ökonomischen Reformprogramms und vor all dem muss dieses Land die Pandemie in den Griff kriegen, die momentan gänzlich unkontrolliert hier wütet, wie Markus Pindur das schon gesagt hat, mit erschreckenden Fallzahlen und wirklich bestürzenden Entwicklungen in einigen Staaten, wo die Ärzte, wo die öffentliche Verwaltung schon damit droht, zu Triage-Systemen überzugehen, Patienten nach ihrer Überlebensfähigkeit auszuwählen, ob sie überhaupt Behandlung bekommen oder nicht.
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Armbrüster: Dann lassen Sie uns auf die Außenpolitik blicken. Die ist natürlich hier für uns in Deutschland von besonders großem Interesse. Da haben wir in den letzten Tagen immer wieder gehört, dass es große Hoffnungen gibt, dass es jetzt wieder partnerschaftlicher zugehen wird, dass sich auch der Umgangston wieder drastisch verbessern könnte oder wird mit Joe Biden. Ich würde gerne mal die andere Frage stellen. Wo könnte es denn in Zukunft schwierig bleiben oder schwierig werden im Verhältnis zwischen Deutschland und Joe Biden?
Stelzenmüller: Ich glaube, das Verhältnis wird in der Sache mit Sicherheit freundlicher und verbindlicher werden, aber in der Substanz an vielen Stellen weiter schwierig. Ganz gewiss wird diese Regierung die EU nicht als Feind betrachten, so wie das Trump legendärer Weise mal gesagt hat von der EU. Im Gegenteil: Von Biden ist bekannt, dass er die EU schätzt und weiß, was sie im Bündnis mit Amerika an Machtressourcen, an diplomatischen Ressourcen und auch an demokratischer Legitimität beibringt.
Das Bild zeigt die amerikanische Flagge, Dossier zur US-Wahl 2020 
Themen wie der Umgang mit China, der Umgang mit Russland, die Frage, ob die Europäer es zulassen sollten, dass Russland und China Pipelines, Funknetzwerke, sonstige physische und digitale Infrastruktur Europas erwerben dürfen sollen – das sind alles Fragen, die wir mit der Regierung Biden genauso strittig zu behandeln haben werden.
Dasselbe gilt für europäische Verteidigungsausgaben. Ich glaube, eine Regierung Biden wird überhaupt nichts dagegen haben, dass Europa größere strategische Autonomie erwirbt, das heißt, übersetzt vom Strategendeutsch in normales Deutsch, sich mehr um die eigene Sicherheit kümmert. Sie wird es auch erwarten und es ist auch in unserem eigenen Interesse, das tun zu können, weil das uns wiederum in die Position versetzt, da, wo wir gemeinsame Anliegen und Interessen haben mit den Amerikanern, auch gerade bei dem Umgang mit Russland und China, unsere Argumente einzubringen und gelegentlich, wo es notwendig ist, Vorbehalte anzumelden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.