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Transatlantische Beziehungen
"Trump gibt Europa eine Schocktherapie"

US-Präsident Trump hat in seiner kurzen Amtszeit aus Sicht des Politologen Stephan Bierling die wichtigste Währung in der internationalen Politik verspielt: Verlässlichkeit. Die Zeit, in der Europa Probleme auslagern konnte, werde zu Ende gehen, sagte Bierling im DLF. Gleichwohl biete "Europa im Moment nicht unbedingt den Anblick, als dass es besonders stark zusammenstehen würde".

Stephan Bierling im Gespräch mit Manfred Götzke | 04.06.2017
    Der Politologe Stephan Bierling von der Universität Regensburg
    Der Politologe Stephan Bierling von der Universität Regensburg (Deutschlandradio / Stefan Obermeier)
    Manfred Götzke: "Die westliche Welt ist ein kleines bisschen kleiner geworden", sagte Sigmar Gabriel.
    "Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück weit vorbei", sagte die Kanzlerin. Beide meinen damit die USA – oder genauer gesagt Donald Trump, der Merkel und ihre europäischen Kollegen beim G7-Gipfel vergangene Woche mehrfach brüskiert hat. Und am Freitag nach langem Hin und Her ernst gemacht hat mit seiner Unverlässlichkeit – und aus dem Klimaabkommen ausgestiegen ist. Was bedeutet das alles für das transatlantische Verhältnis, für die westliche Wertegemeinschaft? Darüber möchte ich mit Stephan Bierling sprechen, er ist Professor für Internationale Politik an der Universität Regensburg.
    Herr Bierling, die "Süddeutsche" schrieb diese Woche, Merkels Satz könnte die Transatlantischen Beziehungen stärker erschüttern als die Snowden-Enthüllungen, die "New York Times" spricht gar von tektonischen Verschiebungen. Sehen Sie das ähnlich?
    Stephan Bierling: Da ist auf jeden Fall was dran. Was Trump getrieben hat in seinen ersten vier Amtsmonaten, ist wirklich die Säge an das Fundament der transatlantischen Beziehungen zu legen, vor allem, weil er mit lang eingeübten Praktiken wie etwa dem Bündnis der NATO oder auch der Zusammenarbeit gegenüber Drittstaaten gebrochen hat und damit im Grunde in Frage stellt die Berechenbarkeit der USA, was immer das größte Pfund Washingtons war.
    "Einfluss auf Trump sehr begrenzt"
    Götzke: Läutet Merkel dann mit ihrem Satz tatsächlich ein neues Verhältnis zu den USA ein?
    Bierling: Ich glaube nicht, dass es der Satz so sehr ist, der das neue Verhältnis einläutet, als vielmehr die Wahl von Donald Trump. Merkel stellt im Grunde nur fest, was jetzt Sache ist. Sie hat einige Monate versucht – denken Sie an ihren Besuch in Washington am 17. März, denken Sie an den gemeinsamen Auftritt mit der Tochter von Trump Ivanka in Berlin –, möglichst viel Einfluss zu nehmen, Trump sozusagen einzunorden auf westliche Politik, auf transatlantische Gemeinsamkeiten, und sie musste feststellen, beim NATO-Gipfel, beim G7-Gipfel auf Sizilien und jetzt durch die Entscheidung, aus dem Klimaabkommen auszusteigen, dass der Einfluss auf Trump doch sehr begrenzt ist.
    "Verlässlichkeit ist die wichtigste Währung in der internationalen Politik"
    Götzke: Angela Merkel ging es ja in ihrer Rede, in ihrem Auftritt vor allem um den Wert der Verlässlichkeit. Was bedeutet es denn für das transatlantische Verhältnis, wenn man sich auf den Partner nicht mehr verlassen kann, wenn auch geschlossene Verträge einer Vorgängerregierung keine Gültigkeit mehr haben wie beim Klimavertrag?
    Bierling: Das ist im Grunde eine Katastrophe. Vertrauen, Verlässlichkeit ist die wichtigste Währung in der internationalen Politik. Wir haben ja dort kein Rechtssystem, das wirklich durchsetzbar ist. Auch Verträge, die kann man brechen, da kann man ausscheiden. Auch ganz legal kann man aus diesen Dingen austreten. Das heißt, eingeübte Praktiken des Vertrauens, der Zusammenarbeit über gerade die transatlantischen Institutionen, das macht wirklich dieses Verhältnis im Westen so ganz besonders. Das gibt es nicht zwischen Russland und China, das gibt es nicht zwischen Europa und China oder Europa und Russland. Das gab es aber zwischen Europa und Washington. 70 Jahre haben wir uns hier wirklich aneinander gewöhnt, zusammen gemeinsam die Sowjets außen vor gehalten, wir haben zusammen Probleme bewältigt, zuletzt in Afghanistan oder bei den Iran-Verhandlungen und jetzt beim Klimaschutz, und Trump stellt das wirklich infrage. Und wenn diese Verlässlichkeit raus ist, dann wird im Grunde internationale Politik unberechenbar. Sie wird ad hoc durchgeführt und man kann sich im Grunde dem anderen auch nicht mehr wirklich als Partner präsentieren.
    "Trump ist ein Minderheitenpräsident"
    Götzke: Es wird ja jetzt tatsächlich viel über diese Wertegemeinschaft gesprochen, die ihre Grundlage ein Stück weit auch verloren habe, sagen Sie ja auch. Aber gab es die denn überhaupt immer in dieser Form, in der sie jetzt immer wieder heraufbeschworen wird, oder gab es nicht auch immer wieder Zeiten, in denen diese Gemeinschaft eingetrübt war, in denen es Probleme gab?
    Bierling: Ich glaube, wir sollten das Ganze nicht nur auf die Wertegemeinschaft verkürzen. Das war natürlich einer der beiden Pfeiler, der das transatlantische Verhältnis so besonders gemacht hat. Der andere Pfeiler sind die Interessen. Wir hatten massive gemeinsame Interessen und ich würde auch argumentieren, selbst heute haben wir noch massive gemeinsame Interessen. Dass Trump das anders definiert, ist sein Problem im Moment, weil er Amerika damit schwächt, aber große Kräfte in den Vereinigten Staaten, auch die ganze Bürokratie, die Mehrheit der Bevölkerung würde im Grunde sehr gerne mit den Europäern zusammenarbeiten. Trump ist nach wie vor ein Minderheitenpräsident, nur gewählt von 46 Prozent der Bürger in den USA. In der Klimapolitik zum Beispiel hat er 70 Prozent der Amerikaner gegen sich. Das heißt, wenn man diese Trump-Jahre überstehen kann – und darüber machen wir uns ja Sorgen, ob das vier oder acht Jahre sein werden –, dann gibt es schon ein Fundament an Interessen und an Werten, die diese Gemeinschaft zusammenhalten können.
    "Bei Bush eine ganz andere Dimension"
    Götzke: Sie sagen ja, man muss diese Trump-Jahre irgendwie überstehen. Aber hat man das nicht auch bei Bush gesagt? Gab es da nicht auch solche Brüche dieser immer wieder heraufbeschworenen unverbrüchlichen Freundschaft?
    Bierling: Ja bei Bush war es aber wirklich eine ganz andere Dimension. Bush war in vielen Dingen ein schlechter Präsident, der große Fehler gemacht hat, vor allem den Irak-Krieg. Aber er hat aus diesen Fehlern gelernt und schon in seiner zweiten Amtszeit ist er auf die Europäer zugegangen. Da war er international isoliert, da hat er sich gerade um Merkel über alle Maßen bemüht, da hat er sich im Klimaschutz angenähert. Das heißt, er war keine, im Englischen würde man sagen, "Loose Cannon" wie Trump, jemand, der einfach aus der Hüfte schießt, impulsiv ist, und insofern war bei ihm doch das transatlantische Verhältnis nie wirklich zur Disposition gestanden, trotz seiner schweren Fehler und damit der Belastungsproben, denen er dieses Verhältnis unterworfen hat.
    "Unser Gewicht wird international nicht so stark sein können"
    Götzke: Merkel hat ja noch einen zweiten entscheidenden Satz vergangene Woche gesagt. "Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in die eigene Hand nehmen", lautet der. Welche Konsequenzen sind damit verbunden?
    Bierling: Der Satz klingt sehr schön und den sprechen wir immer wieder aus in Europa, wenn es im transatlantischen Verhältnis knirscht. Damals auch während des Irak-Krieges oder bei früheren Krisen kam immer wieder dieser Satz, dass Europa sich enger verbünden muss. Die Umsetzung ist das große Problem. Im Gegenteil bietet ja Europa im Moment nicht unbedingt den Anblick, als dass es besonders stark zusammenstehen würde. Der Brexit wird uns auf Jahre belasten, es gibt innerhalb der Europäischen Union mit Orbán und Kaczynski in Ungarn und in Polen zwei Staatschefs respektive indirekte Staatschefs - Kaczynski ist ja nicht mal in offiziellem Amt –, die wirklich dieses Wertefundament gefährden. Das heißt, im Letzten haben wir vielleicht drei, vier Leute, die dieses Europa zusammenhalten können.
    Götzke: Macron vor allen Dingen jetzt.
    Bierling: Macron und Merkel. Das dürfte wieder ein Gespann werden, wie wir es vielleicht aus den 80er-, Anfang der 90er-Jahren wie Mitterrand und Kohl damals kannten. Das ist im Grunde eine Wiederbelebung alter Traditionen. Aber es ist doch ein sehr viel kleineres Europa, ohne die Briten, und damit wird unser Gewicht international auch nicht so stark sein können wie vor dem Brexit.
    "Chinesen profitieren vom Totalausfall Amerikas als Führungsmacht"
    Götzke: Jetzt wird viel über die Chinesen geredet, die jetzt in die Rolle der USA schlüpfen könnten. Sind die momentan die verlässlicheren Partner?
    Bierling: Das halte ich für eine lächerliche Annahme. Die Chinesen profitieren natürlich vom Totalausfall Amerikas als Führungsmacht, aber natürlich haben wir mit den Chinesen nicht sonderlich viel gemeinsam. Weder von den Interessen, noch von den Werten ist China nur entfernt nahe dem, was wir Europäer von der internationalen Ordnung erwarten. Da könnte man jetzt erwarten, dass sich Europa eher an Russland anlehnt, wo die USA ausfallen, aber diese Idee, diese Möglichkeit hat Putin durch seine Aggression völlig zerstört.
    "Ideal steht in einigen Fragen zur Disposition"
    Götzke: Herr Bierling, Sie haben die Werte gerade noch mal angesprochen. Über welche Werte reden wir denn, wenn wir über die westliche Wertegemeinschaft sprechen?
    Bierling: Wir reden über das, was sich rausgebildet hat in den letzten 70 Jahren – primär promotet zunächst von den Amerikanern und mit offenen Armen von den Europäern unterstützt. Da ist zum Beispiel die liberale internationale Wirtschaftsordnung, die uns alle zusammenschweißt, die uns alle reich gemacht hat, die den internationalen Handel berechenbar gemacht hat und explodieren hat lassen. Das sind aber auch Bekenntnisse wie etwa Multilateralismus, dass es keine Alleingänge gibt in der internationalen Politik. Und dann gibt es natürlich auch die Werte der Menschenrechte, die Werte, dass wir uns gemeinsam für bestimmte Dinge einsetzen. Da ist von beiden Seiten ab und zu ein bisschen verstoßen worden, aber im Letzten ist dieses Ideal etwas gewesen, was die beiden Seiten des Atlantiks immer zusammengehalten hat, und das steht in einigen Fragen zur Disposition.
    "Amerikanische Ideen übernommen"
    Götzke: Durch Trump. Zwei Dinge, die Sie genannt haben, Multilateralismus und liberale Wirtschaftsordnung, werden von ihm ja massiv infrage gestellt.
    Bierling: Absolut. Das ist das, was uns so dramatisch verunsichert, weil es eigentlich amerikanische Ideen sind, die wir Europäer nach dem Zweiten Weltkrieg übernommen haben. Wir waren ja sehr lange protektionistisch und gerade die Deutschen haben von dem internationalen Handel sehr stark profitiert. Deshalb ist Deutschland im Grunde hier insbesondere betroffen, gerade weil die Kanzlerin ja nach der Zeit, wo sie sozusagen aus dem Kalten Krieg, aus der DDR kam, die USA in vielen Fragen immer wieder als leuchtendes Vorbild der Freiheit sah. Da ist die persönliche Enttäuschung schon über Bush am Anfang mit dem Irak-Krieg und jetzt über Trump natürlich massiv.
    "Mehr Verantwortung übernehmen"
    Götzke: Macht Trump Europa great again?
    Bierling: Hah! Wenn wir jemals so richtig great gewesen wären als vereintes Europa, wäre ich ja schon glücklich. Aber er gibt uns zumindest eine Schocktherapie, die uns helfen kann, dieses Europa stärker zusammenzuschmieden, weil die Zeit zu Ende geht, wo wir unsere Probleme exportieren konnten, auslagern konnten an den großen Bruder in den USA, und das ist egal, ob Trump im Amt bleibt, noch mal vier Jahre, ob Obama im Amt war, das haben wir selbst unter Bush schon gesehen. Die Europäer werden aufgefordert, als überaus reicher Kontinent gerade in Form der EU mehr Verantwortung zu übernehmen.
    Götzke: Herr Bierling, danke für das Gespräch.
    Bierling: Mit Freuden.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.